Nach Genua – Vor Laeken: Grundrechte verteidigen
Der Innenausschuss des Deutschen Bundestages hat sich jetzt am 8. November geweigert, auf Antrag der PDS einen Untersuchungsausschuss zu den Übergriffen italienischer Sicherheitskräfte auf Kritikerinnen und Kritiker der neoliberalen Globalisierung beim G8-Gipfel in Genua einzurichten. Zahlreiche Bürger- und Menschenrechtsorganisationen, u.a. amnesty international, hatten eine öffentliche Untersuchung gefordert, nachdem die Untersuchungen des italienischen Parlaments keine Aufklärung gebracht hatten. Auch auf EU-Ebene gestaltet sich eine Untersuchung der Vorkommnisse äußerst schwierig, nachdem das Europäische Parlament die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses mit der äußerst knappen Mehrheit von 7 Stimmen abgelehnt hatte.
Zur Erinnerung: In Genua waren über 300 Menschen zwischenzeitlich inhaftiert worden. Gegenüber 220 Personen wurde Untersuchungshaft angeordnet. Allein beim Überfall auf die Schule Diaz wurden von 93 Festgenommenen 61 Personen verletzt. Knochenbrüche und Kopfverletzungen gehörten noch zu den leichteren Verletzungen. Der Demonstrant Carlo Guiliani wurde von Carabinieri erschossen. Zahlreiche Festgenommene berichteten über schwere Misshandlungen auf den Polizeiwachen, insbesondere in der Polizeikaserne Bolzaneto, was Polizeibeamte u.a. in Interviews in der italienischen Zeitung „La Repubblica“ bestätigten. Massiv und gezielt wurden Polizeiprovokateure im so genannten Black Block eingesetzt. Auch Informationen, dass zielgerichtet Provokateure der neonazistischen Gruppe „Forza Nuova“ von der Polizei angeworben wurden, um durch Gewalttaten aus linken Demonstrationen heraus diese zu diskreditieren und der Polizei Anlässe zum Einschreiten zu liefern, sind als Tatsache mittlerweile erwiesen.
Als ich mit meinem Mitarbeiter Martin Hantke Mitte September nach Genua reiste, um dort noch immer inhaftierte junge Männer aus Deutschland zu besuchen, hatte die italienische Regierung de facto nichts unternommen, um die Vorwürfe an die Adresse der italienischen Ordnungskräfte untersuchen zu lassen. Seit dem 11. September gibt es nun noch weniger Hoffnung. So brandmarkte der italienische Ministerpräsident Berlusconi bei seinem jüngsten Besuch in Berlin gleich alle Kritikerinnen und Kritiker der neoliberalen Globalisierung als Terroristen. Während ihm bei seiner unsäglichen Erklärung gegenüber dem Islam noch Widerspruch entgegenschlug, war auf den pauschalen Terrorismusvorwurf an die Adresse der 300.000 Demonstranten gegen den G8-Gipfel von der deutschen Regierung öffentlich kein einziges Wort entgegnet worden.
Dessen ungeachtet gibt es weiterhin politische Initiativen, die diese massive Verletzung von Grund- und Menschenrechten in einem Mitgliedsstaat der EU nicht auf sich beruhen lassen wollen. So hat sich aus dem Kreis der demokratischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte eine „Internationale Untersuchungskommission zum Schutze der Grundrechte in der Globalisierung“ gebildet. Sie wollen in Zukunft bei internationalen Gipfeltreffen präsent sein: Zum einen, um Polizei und Justiz bei ihrem Vorgehen gegen Demonstrant/innen zu beobachten und zum anderen, um Grundrechtsverletzungen der jeweiligen Länder zu dokumentieren. Nicht zuletzt wollen sie sich generell für den Schutz der Grundrechte einsetzen, die in der neoliberalen Globalisierung unter die Räder zu geraten drohen. Im Europäischen Parlament haben Mitglieder der Linksfraktion, der Sozialdemokraten und der Grünen nicht locker gelassen. So steht in den nächsten Wochen der Bericht des britischen liberalen Abgeordneten Watson zur „Sicherheit bei EU-Gipfeln und anderen vergleichbaren Ereignissen“ zur Abstimmung. Im Berichtsentwurf wird massive Kritik an den italienischen Behörden in bezug auf die Ereignisse in Genua deutlich. Auch die völlig willkürliche Praxis einzelner Mitgliedstaaten, die Freizügigkeit von Demonstrant/innen einzuschränken oder die Daten von Personen weiterzugeben, wird an den Pranger gestellt. Es bleibt abzuwarten, ob diese Kritik in der bisherigen Form durchdringen wird, denn die Konservativen unterstützen jetzt im Ausschuss die Leute von Forza Italia, Berlusconis Partei, die jede Kritik an italienischen Behörden wegstimmen will. Im Vorfeld des nächsten EU-Gipfels in Laeken (Belgien) Anfang Dezember steht daher die Frage, ob die Kritik von Abgeordneten, sozialen Bewegungen und Juristenvereinigungen zukünftige Grundrechtseinschränkungen bzw. -verletzungen in den Mitgliedstaaten der EU entgegenwirken kann.
Kontakt zur „Internationalen Untersuchungskommission“: „Droit fondamentaux et mondalisation“ 13 Boulevard Georges-Favon, CH 1204 Genève, tel. 0041 22 3121400 fax. 0041 22 3121452 oder in der Bundesrepublik über den Republikanischen Anwaltsverein: www.rav.de, Geschäftsführer Hannes Honecker, tel. 0511/312809 fax. 0511/ 3481659.
Der Berichtsentwurf des Abgeordneten Watson kann unter:
www.europarl.eu.int/meetdocs/commitees/libe/20011015/LIBE20011015.htm heruntergeladen werden.
Kontakt zu Kritikerinnen und Kritikern der neoliberalen Globalisierung unter: www.attac.org
Weitere Informationen zu Genua und Laeken unter: www.indymedia.de