Abbau der europäischen Demokratien als Kollateralschaden der Terrorismusbekämpfung?
Nur wenige Tage nach den Attentaten in den USA legte die Europäische Kommission zwei fertig ausgearbeitete Vorschläge für Rahmenbeschlüsse auf dem Tisch des Rates, einer zur „Bekämpfung des Terrorismus“ und einer mit dem Ziel der „Einführung eines europäischen Haftbefehls und der sich daraus ergebenden Auslieferungspraxis“. Der Europäische Rat wird bereits Anfang Dezember abschließend über diese beiden Vorlagen entscheiden. Damit dürften diese Vorschläge in Rekordzeit Beschlüsse werden. Eine ordentliche Beratung im Europäischen Parlament, das eh nur das Recht zu einer Stellungnahme hat, oder gar in den nationalen Parlamenten wird auf diese Weise von vornherein unmöglich gemacht.
Sollte das Realität werden, was da am 22. September auf den Weg gebracht wurde, würden die innenpolitischen Verhältnisse vieler EU-Staaten frostiger werden, sie würden sich illiberalen spanischen, britischen und nicht zuletzt deutschen Zuständen bedenklich annähern.
Dies beginnt bei dem vorgesehenen weiten Terrorismusbegriff, der ausdrücklich auch „Beschädigungen öffentlicher Einrichtungen, öffentlicher Transportmittel, Infrastruktureinrichtungen, öffentlicher Plätze und von Eigentum (privatem wie öffentlichem)“ als unter Umständen terroristische Straftaten nennt. Ausdrücklich wird in der Begründung darauf hingewiesen, dass dies auch „Akte städtischer Gewalt“ umfasst. Voraussetzung zur Bewertung dieser Taten als terroristisch ist das Ziel von Einzelpersonen oder Gruppen, dies zur „Einschüchterung, grundlegenden Veränderung oder Zerstörung der politischen, ökonomischen oder sozialen Strukturen dieser Länder“ zu nutzen. Wer denkt da nicht unwillkürlich an die jüngsten Zusammenstöße in Göteborg und Genua? Vorbilder für diesen weiten Terrorismusbegriff finden sich bereits in den Rechtsordnungen einiger EU-Mitgliedsländer. In Spanien und Frankreich wird ein terroristischer Akt bereits in der „Bedrohung der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Friedens“ gesehen. In Großbritannien und Portugal wird darunter eine „Beeinträchtigung des reibungslosen Funktionierens der Regierung und der Institutionen“ verstanden. In diesen beiden Ländern soll auch schon „eine Einschüchterung von Personen oder Gruppen“ genügen, um Straftaten als terroristische Akte zu bewerten.
Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen: Es geht hier nicht um eine Infragestellung der Tatsache, dass solche Taten strafwürdig sind. Sie sind es selbstverständlich und alle Mitgliedstaaten der EU sehen dafür natürlich schon heute empfindliche Sanktionen vor. Kritisiert werden muss die bedenkliche Ausweitung des Terrorismusbegriffs, der zukünftig auch auf einen großen Bereich politisch motivierter Straftaten angewandt werden soll. Dies führt zu einer Stigmatisierung der Täter und ihres politischen Umfeldes und nicht zuletzt zu einer drastischen Heraufsetzung des Strafmaßes. Manche Täter, die bisher mit Geldstrafen oder mit zur Bewährung ausgesetzten Haftstrafen glimpflich davonkamen, werden zukünftig wohl Jahre hinter Gitter verbringen müssen. Um aber auch hier nichts den Gesetzgebern in den einzelnen Mitgliedsländern zu überlassen, liefert der Kommissionsvorschlag gleich den Strafrahmen für die Taten mit, der von den EU-Staaten nur noch übernommen werden muss.
Der EU-Ratsbeschluss wird die Rechtslagen vor allem der Mitgliedsländer grundlegend verändern, die den Terrorismus auf ihrem eigenen Territorium gar nicht kennen, so etwa in den skandinavischen oder den Benelux-Staaten. Der Richtlinienentwurf nennt denn auch lediglich Frankreich, Deutschland, Italien, Portugal, Spanien und Großbritannien, in denen bereits jetzt spezielle Antiterrorgesetze existieren, die anderen neun, und damit die übergroße Mehrheit der EU-Staaten, kommen seit jeher mit den dort bestehenden allgemeinen Bestimmungen des Strafrechts und Strafprozessrechts aus. Diese Länder kennen auch die Probleme eines militanten Sezessionismus nicht, wie er etwa Spanien, Frankreich oder Großbritannien terrorisiert. Dennoch sollen sie nun Bestimmungen akzeptieren und damit weitreichende Einschränkungen von Freiheitsrechten in Kauf nehmen, die sich andere Nationen unter ganz bestimmten politischen Konstellationen zur Bekämpfung terroristischer Gefahren gegeben haben. Zu Recht müssen die Öffentlichkeiten dieser Länder dort die Beschlüsse des Europäischen Rats als bürokratischen Akt empfinden, mit denen Dinge von ihnen verlangt werden, für die bei ihnen überhaupt kein Bedarf existiert. Da aber die Beratungszeit der neuen Rahmenbeschlüsse kaum mehr als zwei Monate betragen soll, werden die Beschlüsse bereits in Sack und Tüten sein, ehe dies die Öffentlichkeiten in jenen Ländern überhaupt bemerkt haben. So funktioniert eben Europa!