Außenpolitik mit Waffen und Gewalt – Zukunftsstrategie der EU?

André Brie, Karin Schüttpelz

Seit der Übernahme der „Petersberg-Aufgaben“ in den Amsterdamer Vertrag gehören weltweite militärische Interventionen zu den Politikoptionen der EU. Die Dynamik des Projekts der „Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ ist präzedenzlos: 10 Tage nachdem der NATO-Rat ohne UNO-Mandat den Einsatzbefehl für die Bombardierung Jugoslawiens gebilligt hatte, werden die Positionen der Mitgliedstaaten auf einem informellen Treffen der Staats- und Regierungschefs am 23./24. Oktober 1998 sondiert. Anderthalb Monate später erklären Jacques Chirac und Tony Blair: „Die EU muss in der Lage sein, ihre Rolle auf der internationalen Bühne voll und ganz zu spielen. Dazu muss die Union über autonome Handlungsfähigkeit verfügen, die sich auf glaubwürdige militärische Kräfte stützt, mit der Möglichkeit, sie einzusetzen, und mit der Bereitschaft, dies zu tun, um auf internationale Krisen zu reagieren.“1 Unter deutscher Ratspräsidentschaft wird dies auf dem Gipfel in Köln EU-Position. 1999 beschließt der Europäische Rat die Führungsstrukturen und das Streitkräftepotenzial: Bis 2003 soll die EU in der Lage sein, 50.000-60.000 Soldaten, einschließlich Kampfunterstützungstruppen und Logistik und zusätzlich entsprechende Streitkräfteanteile von Marine und Luftwaffe innerhalb von 60 Tagen in Krisenregionen zu verlegen und eine entsprechende Operation für mindestens ein Jahr aufrechtzuerhalten. Die politischen und militärischen Gremien, die seit März 2000 arbeiten, sind so organisiert, dass weder demokratische Kontrolle noch Transparenz gewährleistet sind. Im November 2000 werden die jeweiligen nationalen Beiträge vereinbart. Im Dezember 2000 sind die Anpassungen im EU-Vertrag unterschriftsreif. Auf dem bevorstehenden EU-Gipfel in Laeken soll die langfristige Finanzierung vereinbart werden. Parallel dazu vollzieht sich, vor allem auf dem Wege der deutsch-französischen Zusammenarbeit, die Entstehung einer europäischer Rüstungsindustrie. Das Europäische Parlament unterstützt mit überwältigender Mehrheit diese Entwicklungen.2 Nur die GUE/NGL-Fraktion, einige wenige Abgeordnete der Grünen aus Irland und Nordeuropa und einzelne nordeuropäische Sozialdemokraten widersetzen sich hartnäckig dem Trend und fordern mit parlamentarischen und außerparlamentarischen Aktivitäten eine Rückbesinnung auf die Erkenntnis, dass die Anwendung militärischer Gewalt nicht geeignet ist, die regionale und internationale Sicherheit zu gewährleisten, nationale und internationale Konflikte einer Lösung zuzuführen und Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten3.

Der Prozess der Schaffung von EU-Militärstrukturen selbst ist nicht mehr aufzuhalten. Bleibt die Frage: Kann man etwas tun in einer Situation, in der die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU jeglicher parlamentarischer Mitsprache entzogen ist?

Die Grundsatzentscheidung, welche geopolitische Rolle Europa künftig spielen will, ob sie dem Beispiel der Hegemonialpolitik der USA folgen will oder als eigenständiger, politisch agierender Akteur internationale Politik beeinflussen will, ist noch nicht endgültig gefallen. Unübersehbar ist das Missverhältnis zwischen Krisenprävention und dem Engagement für EU-Interventionsstreitkräften. Das Fehlen einer öffentlichen Debatte über die künftige Rolle der EU in der internationalen Politik hat diese Entwicklung ermöglicht. Das offensichtliche Scheitern der Balkan-Politik und die Sorgen vieler, insbesondere junger Menschen, angesichts der Tatsache, dass Europa sich an Kriegen beteiligt, führt aber auch in der breiten Öffentlichkeit zu der Frage, warum die internationale Politik nicht früher eingegriffen hat. Gerade im Bereich der Krisenprävention verfügt die EU über ein gewichtiges Potenzial, das sie völlig unzureichend nutzt: Die EU ist ein bedeutsamer globaler wirtschaftlicher Akteur und wichtigster Geldgeber im Bereich der Entwicklungspolitik. Sie verfügt über ein ausgeprägtes Netz politischer, kultureller und diplomatischer Beziehungen weltweit. Sie hat sich spezifische Instrumente der Krisenerkennung und zivilen Konfliktbearbeitung geschaffen.4 An diesem Punkt können und müssen die Friedensbewegten ansetzten. Es ist höchste Zeit, mit einem breiten, öffentlichen Diskurs Einfluss auf die Grundausrichtung der Außen- und Sicherheitspolitik der EU zu nehmen. Im Ringen um mehr Krisenprävention und demokratische Kontrolle haben wir quer durch die Gesellschaft – bis in die Reihen der Militärs hinein – viele Gleichgesinnte.

1 Gipfeltreffen des französischen Staatspräsidenten, Jacques Chirac, und des britischen Premierministers, Tony Blair, am 4. Dezember 1998 in St. Malo
2 vgl. u.a. Bericht über die Verwirklichung einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU nach Köln und Helsinki (A5-0339/2000).
3 vgl. u.a. Entschließungsantrag, eingereicht von den Abgeordneten Brie, Frahm, Alavanos, Marset, Morgantini und Miranda im Namen der GUE/NGL-Fraktion zur gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Hinblick auf die Tagung des Europäischen Rates von Feira (B5-0524/2000).
4 vgl. Mitteilung der Europäischen Kommission zur Krisenprävention, KOM(2001)211 endg. und Programm der EU zur Verhütung gewaltsamer Konflikte vom Juni 2001.

EU-Mitgliedstaat
Deutschland
Großbritannien
Frankreich
Italien
Spanien Bodentruppen
13.500
12.500
12.000
12.000
6.000 Schiffe
20
18
15
19
keine Angaben Luftstreitkräfte
93
72
75
47
keine Angaben

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Niederlande

Griechenland
Österreich
Finnland 2 Battaillone
1 Brigade
4.000
2 Bataillone
1.430 1 Fregatte
1 Taskforce
keine Angaben
keine Angaben
1 Minensucher 1-2 Schwadronen
1 Batterie Patriot-Raketen
keine Angaben
keine Angaben
keine Angaben

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Schweden

Irland
Belgien
Portugal
Luxemburg
Dänemark 1 Battaillon
1 MP Kompanie
850
1.000
1.000
100
0 keine Angaben

keine Angaben
keine Angaben
keine Angaben
keine Angaben
0 keine Angaben

keine Angaben
keine Angaben
keine Angaben
keine Angaben
0