China: Auf einem guten Weg

Christel Fiebiger

Mitglieder der GUE/NGL-Fraktion waren im Mai diesen Jahres zu einem Arbeitsbesuch in China. Ausländischen Besuchern sind die Türen in China weit geöffnet. Wir wollten eine arme und eine reiche Region kennen lernen, mit Industriekapitänen und Bauern sprechen und mit Wirtschaftsexperten und Politikern diskutieren. Wir waren Gäste des Außenministers, der jedes dieser Anliegen – auf typisch chinesische Art – und mit wunderbarer Gastfreundschaft erfüllt hat. Wir haben interessierte Partner getroffen, die bereit sind, sich mit kritischen Fragen auseinanderzusetzen, die aber zurecht erwarten, dass Kritik aus Europa nicht im Kolonialstil erfolgt.

In China leben 1,3 Mrd. Menschen – eine unvorstellbare Zahl. Wer sich mit chinesischer Politik beschäftigen will, muss diese Tatsache immer im Hinterkopf haben. Für 1,3 Mrd. Menschen ein Lebensniveau zu sichern, dass das Leben lebenswert macht, das ist eine Herausforderung, die mit europäischen Maßstäben nicht messbar ist.

Mich hat am meisten die Genossenschaft für Gemüseproduktion beeindruckt, die wir in der Provinz Chongquing besucht haben. Ein Biopark im wahrsten Sinne des Wortes! So etwas hätte ich auf diesem Erdteil nicht erwartet! Der Mais wurde am 1. Mai gedrillt und nach 120 Tagen wird ein Ertrag von 127 dt/ha geerntet. Tomaten bringen je Pflanze einen Ertrag von 5-8 kg. Das Gewächshaus auf 500 qm wird vollautomatisch geregelt, Chemie kommt nicht zur Anwendung. Im Biopark wird geforscht: Man entwickelt z.B. Saatgut, das gegen Krankheiten weitgehend resistent ist und hohe Erträge sichert. Die Ergebnisse der Feldversuche werden den Bauern kostenfrei zur Verfügung gestellt.

Der Vorsitzende der Genossenschaft – ein Agronom wie er im Buche steht – ist von der Regierung eingesetzt und wird aus dem Staatssäckel bezahlt. Der Staat unterstützt die Genossenschaft außerdem über Startkapital und Kredite. Ansonsten unterliegt die Genossenschaft den Gesetzen des Marktes. Staatliche Lebensmittelpreise und Abnahmegarantien gibt es nicht. Die Genossenschaft muss das Land von den Bauern pachten. Die Pacht ist, wie man uns sagte, höher als das Einkommen, dass die Bauern früher auf ihren Feldern erwirtschaftet haben. Zahlreiche Bauern sind in der Genossenschaft angestellt. So hat man die Unterstützung der Bauern gewonnen.

Eines der chinesischen Wirtschaftswunder heißt Guangzhou: Die Provinz hat 71,5 Mio. Einwohner. Sie ist eines von insgesamt fünf sogenannten Sonderwirtschaftsgebieten, die von der Zentralregierung Entwicklungsförderung erhalten und einen besonderen Schwerpunkt auf Außenhandel und Auslandsinvestitionen legt. Die Ergebnisse einer beeindruckenden ökonomischen Entwicklung seit dem Beginn des Reformprozesses vor 20 Jahren sind anhand der Stadtentwicklung deutlich sichtbar: Die Stadt Guangdong ist eine moderne Stadt aus Glas und Stahl und Parks mit nagelneuen Industrie- und Wohnvierteln.

In der Provinz Guangdong wird etwa 10% der Bruttoinlandsproduktion der Volksrepublik Chinas produziert. Sie ist das wichtigste Außenhandelszentrum und realisiert 39 Prozent der Exporte Chinas. Ein Drittel der Auslandsinvestitionen in China werden in Guangdong getätigt. Zur Überwindung der Entwicklungsunterschiede in China leistet die Provinz Guandong finanzielle, ökonomische und personelle Hilfe für andere Regionen, insbesondere die Nachbarprovinzen und in jüngster Zeit auch Tibet. Schwerpunkte dieser Unterstützung sind der Kraftwerksbau, der Wohnungsbau und kulturelle Einrichtungen.

Mit den Auslandsinvestitionen, v.a. im Hightech-Bereich, ist die Entstehung eines einflussreichen privaten Wirtschaftssektors verbunden. Unseren Kollegen von der KP Griechenland interessierte besonders, wie sich das mit dem Ziel der sozialistischen Entwicklung verträgt. Auch die mit dem Beitritt Chinas zur WTO verbundenen Verpflichtungen zur Liberalisierung und Privatisierung stehen im Widerspruch zum sozialistischen Ziel. Die Antworten auf unsere diesbezüglichen Fragen zeugten davon, dass es bei den chinesischen Verantwortlichen ein Problembewusstsein gibt und die Überzeugung, dass auch diese Fragen lösbar sind. Richtig schient mir, dass angesichts der vor China stehenden Herausforderungen neuestes Knowhow und internationales Kapital genutzt werden sollten. Inwieweit das als Modell für sozialistische Marktwirtschaft aufgeht, wird die Zukunft zeigen. In jedem Falle ist die Entwicklung in China für unsere eigene Programmdiskussion hochinteressant.

In Peking gaben sich die europäischen Gäste die Klinke in die Hand: EU-Kommissar Patten, die Außenminister Belgiens und Deutschlands, der deutsche Finanzminister, der Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion, die sozialdemokratischen Kollegen aus dem Europaparlament. Uns unterschied von ihnen, dass wir uns für die Erfahrungen bei der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, dem Aufbau des chinesischen Modells des Sozialismus, interessierten.

In Peking sind für uns die Widersprüche der gesellschaftlichen Entwicklung in China am deutlichsten geworden: Stadtentwicklung, Architektur, Verkehr und reich gefüllte Geschäfte spiegeln die großartige ökonomische Entwicklung. Dass sich das Lebensniveau seit 1979 dem moderner Industriestaaten annähert, ist hier sehr deutlich sichtbar. Sichtbar ist aber auch die immer größer werdende soziale Differenzierung.

Jedes Gespräch, das wir führten, war ein Gespräch mit einem Mitglied der KP Chinas, so manches erinnerte mich an frühere Parteilehrjahre. Die dominante Rolle der kommunistischen Partei ist ungebrochen. Andersdenkende haben wir auf unserer Reise leider nicht gesprochen.

63 Millionen Menschen besitzen das Parteibuch, darunter auch viele junge Leute. Ob das mit dem „Weg nach oben“ zu tun hat, weiß ich nicht. Aber es stimmte mich schon nachdenklich, als ich hörte, das der Direktor des Automobilwerkes, das wir besuchten, auch Parteisekretär und Gewerkschaftsvorsitzender ist. Zwischen der Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaat und der ökonomischen Entwicklung gähnt eine tiefe Kluft.

Und doch: bei allen Widersprüchen und Problemen – mir scheint, sie sind auf einem guten Weg.