Von der Straße auf die Schiene – aber wie?

Der Bahn-Güterverkehr in der EU leidet unter einem schleichenden Prozeß der Auszehrung. Seit 1970 ging der Anteil des Bahnverkehrs von 35 Prozent auf 19 Prozent in 1990 und 15 Prozent im Jahr 1999 zurück, während gleichzeitig der Güterkraftverkehr auf 74 Prozent zugenommen hat. Gerade Deutschland als wichtiges Transitland des europäischen Warenverkehrs leidet unter verstopften Autobahnen und hat ein essentielles Interesse an einer Verlagerung der Transporte von der Straße auf die Schiene.

Die Mehrheit der Regierungen der EU – Länder sehen in der Schaffung eines Binnenmarktes für den Eisenbahnverkehr und der Öffnung des Zugangs der nationalen Transportmärkte für Unternehmen der Gemeinschaft den Ausweg. Das setzt eine Reihe von Maßnahmen der Harmonisierung bestehender technischer Vorschriften und Regelungen, Stromversorgungssystemen, Spurweiten, Signalgebung, Zugsteuerung und -sicherung, aber auch für Waggons voraus. Seit Juni 1991 wurden Schritte zur Marktöffnung unternommen, die aber den Auszehrungsprozeß des Bahngüterverkehrs nicht aufgehalten haben. Über Zweckmäßigkeit, Umfang und Tempo der Liberalisierung ist es deshalb zu heftigem Streit zwischen den verschiedensten EU – Ländern gekommen, was sich auch in den Beziehungen zwischen Rat und Parlament niederschlägt.

Im Dezember des Jahres 2000 wurden im Vermittlungsverfahren zwischen Europäischem Rat und Europäischem Parlament im Paket 3 Richtlinien angenommen, die der Marktöffnung des Schienenverkehrs in der Europäischen Gemeinschaft und der Einführung des Wettbewerbs auf dem Schienennetz einen kräftigen Schub geben sollen:

– Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft
– Erteilung von Genehmigungen an Eisenbahnunternehmen
– Zuweisung von Fahrwegkapazitäten, Erhebung von Wegeentgelten im Eisenbahnverkehr und Sicherheitsbescheinigung

Bestandteile dieses Maßnahmepaketes sind die Festlegung von Maßnahmen zur Marktöffnung des gesamten Schienennetzes aller Mitgliedstaaten für alle Eisenbahnunternehmen im internationalen Güterverkehr (spätestens bis 2008), Bedingungen und Rechte für den Marktzugang, Trennung von Fahrweg und Netz. Die ursprünglich von der Mehrheit des Parlaments (Konservative, Liberale und Mehrzahl der Sozialisten/Sozialdemokraten) angestrebte Einbeziehung des nationalen Güterverkehrs sowie des nationalen und internationalen Personenverkehrs in die Marktöffnung konnte in den Verhandlungen mit dem Rat nicht durchgesetzt werden.

Die vom Rat vorgesehenen Ausnahmeregelungen für Irland, Nordirland, Griechenland (für 5 Jahre und anschließend verlängerbar) und Luxemburg (bis 2004), die aus den spezifischen Lagen der Bahnnetze dieser Länder resultierten, wurden vom Parlament letztendlich akzeptiert.

Die Veränderungen bei den Grundsätzen und Verfahren für die Festlegung und Erhebung von Wegeentgelten für die Fahrwege des inländischen und grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehrs sowie für die Zuweisung von Fahrwegkapazitäten wurden mit der Begründung vorgenommen, einen fairen Wettbewerb um die Erbringung von Leistungen im Eisenbahnverkehrsdienst zu ermöglichen.

In der Diskussion haben die PDS – Vertreter die Meinung vertreten, daß selbstverständlich die Effizienz der Eisenbahnunternehmen gestärkt und auch die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Straßenverkehr verbessert werden muß, um insgesamt zu umweltverträglicheren Verkehrssystemen zu gelangen. Die Verlagerung von Transporten von der Straße auf die Schiene ist mit allen geeigneten Mitteln zu unterstützen. Doch in der Bestimmung der geeigneten Mittel unterscheiden sich die Positionen. Wir stellten die Frage, ob tatsächlich nur der Wettbewerb verschiedener Eisenbahnunternehmen, darunter staatlicher und privater, zu mehr Effizienz und besserer Qualität der Tätigkeit führen könne? Diese Fragestellung sollte natürlich nicht bedeuten, daß der bestehende Status quo fest- oder fortgeschrieben werden sollte, da Veränderungen offensichtlich zwingend notwendig sind, um mehr Transport auf der Schiene durchzuführen. Aber die politische Wahl in den jeweiligen Ländern der Gemeinschaft über die bevorzugte und den nationalen Traditionen entsprechende Art und Weise der Entwicklung des Eisenbahnwesens in staatlicher oder privater Form müsse weiterhin möglich sein. Es kann nicht sein, dass über gemeinschaftliche Rechtsakte Regierungen gezwungen werden privaten Anbietern ihre nationalen Märkte zu öffnen, auch wenn in diesem Land ein staatliches Unternehmen den gesamten Markt abdeckt. Auch nationale staatliche Eisenbahnunternehmen können die internationale Kooperation und Integration entwickeln und auf diesem Weg einen einheitlichen EU-weiten Verkehrsmarkt schaffen. Auch sie sind in der Lage notwendige Reformen durchzuführen, um neue technologische Entwicklungen aufzunehmen (siehe die Entwicklung von Hochgeschwindigkeitssystemen in verschiedenen EU – Ländern, insbesondere in Frankreich).

Über einen sogenannten „policy mix“, der die Anwendung verschiedenster Arten der staatlichen bzw. öffentlichen Regulierung und marktwirtschaftlicher Mechanismen kombiniert, kann nach unserer Auffassung am ehesten den Bedürfnissen der Bürger, der Unternehmen und der Gesellschaft insgesamt nach umweltverträglichen, effizienten und wettbewerbsfähigen Schienenverkehr entsprochen werden.

Dokumente der Kommission:

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 91/440/EWG zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft KOM (98)0480 endg.- 98/0265 (COD)

Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 91/440/EWG zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft KOM(1999) 616 endg.- Vol I- 98/0265 (COD)

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 95/18/EG über die Erteilung von Genehmigungen an Eisenbahnunternehmen KOM (1998) 480 endg.- 98/0266(SYN)

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Zuweisung von Fahrwegkapazitäten, die Erhebung von Wegeentgelten im Eisenbahnverkehr und die Sicherheitsbescheinigung

KOM(1998) 480 endg.- 98/0267(SYN)