Postdienste als universellen Dienst erhalten

Der Prozess der Liberalisierung der Postdienste in der Europäischen Union wurde bereits 1989 eingeleitet. Bis zum Mai vorigen Jahres, als der neueste Vorschlag der Europäischen Kommission vorgelegt wurde, kam es bei der wichtigsten und gewinnbringendsten Sparte der Postdienste, den Briefsendungen, zu einer Marktöffnung von 3 %. Das liegt daran, dass die Versorgung der Bürger mit postalischen Dienstleistungen in den meisten Ländern der Europäischen Union als ein Grundanliegen der staatlichen Daseinsvorsorge betrachtet wird und sich eine Vielzahl unterschiedlicher nationaler Traditionen herausgebildet hat, die zumeist gesetzlich geregelt ist. Das betrifft z.B. auch Deutschland, in dem das nationale Postgesetz der Deutschen Post als nationalem staatlichen (zumindest noch teilweise) Anbieter ein Vorzugsrecht bei Briefen bis zu 200 Gramm bzw. dem Fünffachen des Standardpreises sowie bei inhaltsgleichen Massenbriefen bis 50 Gramm und 50 Exemplaren einräumt. Diese ursprünglich bis 2002 terminierten Sonderbedingungen, die eine universelle Gewährleistung der Versorgung der Bürger mit postalischen Dienstleistungen in allen Regionen des Landes gleichermaßen garantieren sollen, wurden erst im Juni diesen Jahres vom Deutschen Bundestag bis 2007 verlängert, da das Europäische Parlament (EP) den jüngsten Vorschlag weitgehend abgelehnt hat.

Die Europäische Kommission hatte noch 1997 in der vorletzten Richtlinie gefordert, eine allmähliche und kontrollierte Liberalisierung der Postdienste anzustreben. Der neue Vorschlag vom Mai 2000 ließ nach Meinung der großen Mehrheit des EP von dieser Absicht jedoch nichts mehr übrig. Vorgesehen war eine 20%-ige Marktöffnung in 2003 durch:

die Festlegung der Obergrenze des reservierten Bereiches bei Briefdiensten auf 50 Gramm ab 2004
die grenzüberschreitende Marktöffnung
eine Definition der speziellen Dienste und ihre Freigabe für den Wettbewerb
die Marktöffnung bei der Expreßpost
eine neue Phase der Marktöffnung ab 2003
die Festlegung eines Endtermins der vollständigen Liberalisierung in 2008/9.

Das EP hatte in seiner 1. Lesung lediglich der Absenkung der Gewichtsgrenze des reservierten Bereiches auf 150 Gramm zugestimmt und alle anderen Vorschläge der Kommission zurückgewiesen. Damit ist jedoch der Kampf um den Erhalt des Postdienstes als universellen Dienst nicht beendet, da die Kommission nun ihre Stellungnahme zur Position des Parlaments abgibt und dieses dann eine 2. Lesung durchführt. Angesichts der Unterschiedlichkeit der Auffassungen ist ein Vermittlungsverfahren nach der 2. Lesung gewiss.

Von verschiedenen Abgeordneten des linken Flügels des EP, darunter der GUE/NGL, war gefordert worden, dass die Kommission zunächst die in der Richtlinie von 1997 zugesicherte Analyse der Auswirkungen der ersten Phase der Marktöffnung auf das Dienstleistungsangebot der Postdienste und den Sektor selbst vorlegt. Das steht jedoch bis heute aus. Das EP hat nun in seiner Position vom Dezember 2000 diese Forderung wieder aufgenommen. Die Kenntnis der Auswirkungen wird als unerläßliche Voraussetzung angesehen, um über weitere Schritte der Marktöffnung überhaupt zu diskutieren.

Wie MEP Helmuth Markov in der Plenardebatte des EP darlegte, müssten nach Meinung der PDS günstige Preise, eine hohe Qualität der Dienstleistung und eine hohe Verfügbarkeit im Vordergrund der Gewährleistung der Postdienste stehen. Bei allen Schritten zur Marktöffnung ist auch der soziale und Arbeitsmarktaspekt zu berücksichtigen. Die Einführung des Wettbewerbs zwischen öffentlichen und privaten Anbietern darf nicht auf einen Wettbewerb um die niedrigsten Lohnkosten, die geringsten Sozialleistungen und die billigste Ausbildung gerichtet sein. Die bestehenden Standards der sozialen Absicherung der Beschäftigten und der Ausbildung sind das Ergebnis von Jahrzehnten beruflichen und gewerkschaftlichen Entwicklung und Kampfes, die qualitativ verbessert, aber nicht unterschritten werden sollten.

Die Qualität der postalischen Dienstleistung ist allemal besser mit gut qualifiziertem Personal in einem Postamt gewährleistet, als durch Verkaufspersonal eines beliebigen Geschäfts, das einen zusätzlichen Kurs für die Abwicklung bestimmter postalischer Operationen absolviert hat. Der bisherige Trend der Schließung von Postämtern, der Verringerung der Postzustellung und des massiven Abbaus von Personal in den Postdiensten der Ländern, die die Liberalisierung am weitesten vorangetrieben haben, wie auch die Bundesrepublik Deutschland, zeugt nicht von einer Verbesserung der Qualität und der Effizienz der Dienstleistung für den Bürger, sondern vom Vorrang von Gewinninteressen international agierender Konzerne. Die staatliche Garantie von allseits zugänglichen, erschwinglichen und qualitativ garantierten Dienstleistungen ist in Gefahr, beseitigt zu werden.

Dokument der Kommission

Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates zur Änderung der Richtlinie 97/67/EG im Hinblick auf die weitere Liberalisierung des Marktes für Postdienste in der Gemeinschaft

Bericht des EP über die Richtlinie KOM (2000) 319-C5-0375/2000-2000/0139 (COD)

Berichterstatter: Markus Ferber; Dokument A5-0361/2000