Regionalkonferenz im Dreiländereck – Schritt zu einem Europa von unten?
„Entwicklung und Förderung der Euro-Region Neisse-Nisa-Nysa“ lautete der anspruchsvolle Titel der Konferenz, die am 2. Dezember in der „Aula“, dem Festsaal des Landkreises in Zittau stattfand. Eingeladen dazu hatten MdEP Hans Modrow und Heiko Kosel, europapolitischer Sprecher der PDS-Fraktion im sächsischen Landtag. Gekommen waren polnische, tschechische und deutsche Bürgermeister sowie andere Kommunalpolitiker, Vertreter von regionalen Wirtschaftsorganen, von der Hochschule Zittau/Görlitz, den Gewerkschaften, zahlreichen Vereinen sowie Diplomaten der beiden Nachbarstaaten.
Die Veranstaltung solle mithelfen, sagte Hans Modrow zu Beginn, „Öffentlichkeit für die Probleme dieser Region zu schaffen, Räume auszuloten für die gemeinsame Lösung konkreter Vorhaben“. Die Notwendigkeit eines solchen Meinungs- und Erfahrungs-austausches vor Ort begründete er unter anderem mit der Feststellung, „dass weder in Brüssel noch in Berlin, Prag oder Warschau ausreichend konkrete Kenntnisse über die Lage in der jeweiligen Euroregion vorhanden sind. Dabei müssten die gemeinsame Ausarbeitung und abgestimmte Förderung von grenzüberschreitenden oder interregionalen Projekten die Hauptform der Zusammenarbeit sein.“
Mit einem ähnlichen Anspruch war zuvor Landrat Volker Stange (CDU) vom Landkreis Löbau/Zittau aufgetreten. Vieles geschehe schon in der Grenzregion, aber gebündelt könne mehr und so manches schneller erreicht werden. In dem Zusammenhang unterstrich er die Verantwortung der Zentralen. „Wenn unsere Regierungen in Prag, Warschau und Berlin nicht zu Stuhle kommen, müssen wir sie auf den Stuhl setzen. Wir sind die Betroffenen“, erklärte er.
In der anschließenden Diskussion und den beiden Podiumsgesprächen kam Erreichtes und nicht Erreichtes, Förderliches und Hemmendes zutage. Angesprochen wurden grundsätzliche Probleme der Osterweiterung, die sich in den Grenzregionen mit besonderer Brisanz schon zeigen bzw. ankündigen. Unterschiedlich war die Haltung zur EU-Osterweiterung insgesamt – von der wohl eher zweckoptimistischen Auffassung, dass die Zukunft glücklich sein werde, bis zu starken Zweifeln, ob dieses Projekt den Interessen der Bürgerinnen und Bürger sowohl der Mitglied- als auch der Beitrittsstaaten dienen kann. Sichtbar war die Tendenz, dass die Osterweiterung nicht mehr aufzuhalten sei und man versuchen müsse, gemeinsam das Beste für die Region und die Menschen daraus zu machen. Dazu gehöre auch, über die Parlamente Druck auf die Regierenden auszuüben, damit sie sich der Probleme der Region bewusst werden und sich bewegen.
Die Rede war von gemeinsamen Lösungen zur Ausbildung junger Leute, ob in Bad Muskau, worüber die Bürgermeisterin der Stadt, Heidi Knoop, sprach, oder durch die abgestimmte Zusammenarbeit der Hochschulen von Zittau/Görlitz, Wroclaw und Liberec zur Ausbildung von Studenten auf dem Gebiet des Informations- und Kommunikationsmanagements. Grenzübergreifend arbeiten auch Krankenhäuser und Ärzte zusammen, ebenso Theaterleute, Museen, Tourismuseinrichtungen, Sportvereine und andere Verbände wie das Frauen-Eurozentrum in Zittau, das sich zum Ziel gesetzt hat, durch Kooperation Probleme von Frauen und Mädchen lösen zu helfen. Vertreterinnen der Industrie- und Handelskammern in Zittau und auf der tschechischen Seite informierten über Stammtische für polnische, tschechische und deutsche UnternehmerInnen. Häufig fiel das Wort Partnerschaftsvertrag zwischen Städten und Gemeinden diesseits und jenseits der Grenzen, wobei auch von schon jahrzehntelanger freundschaftlicher Zusammenarbeit die Rede war. Gemeinsam wurden Lösungen zur Trinkwasserversorgung, zur Abwasserbeseitigung und zur Abfallwirtschaft erarbeitet.
Kritisch vermerkt wurde in der Diskussion unter anderem, dass nicht selten Politiker auf Landes- und Bundesebene feierlich Ziele der EU-Osterweiterung proklamierten, sie dann aber kleingeistig angingen. Nicht überzeugt sei die Wirtschaft in der Oberlausitz vom Erfolg der EU-Erweiterung. Die Unternehmer befürchteten, dass sie bei dem zu erwartenden Vordringen von Dienstleistern aus Polen und Tschechien auf den sächsischen Markt nicht chancengleich seien. Eine andere, sehr grundsätzliche Frage warf die Bürgermeisterin von Bad Muskau auf, als sie feststellte: „Die EU ist eigentlich ein Problem der Menschen, aber ich kann ihnen nicht sagen, was auf sie zukommt.“ Dass es Sorgen, Ängste besonders im grenznahen Raum, aber insgesamt auch in Ostdeutschland gibt, ist verständlich. Die Ostdeutschen haben bereits einen tiefgreifenden Wandel erlebt. Viele haben ihn noch nicht bewältigt. Jetzt kündigt sich die zweite große Veränderung an, die Einführung des seit Monaten kränkelnden Euro und die Osterweiterung, über deren Konsequenzen sie im Dunkeln gelassen werden. Und inzwischen erleben sie das Machtgerangel in Nizza, die wütenden Verteilungskämpfe, aber schnelles Agieren, wenn es um die weitere Militarisierung der EU geht. Bei den Menschen in den Grenzregionen kann sich angesichts all dessen und ihrer Erfahrungen nur der Verdacht verstärken, dass man sich in Brüssel und in den Hauptstädten noch weniger um sie kümmern wird als bisher.
Gewisse konzeptionelle Überlegungen ließ Dr. Wolfgang Nicht vom DGB-Landesbezirk Sachsen, Koordinator für die interregionale Zusammenarbeit mit Polen und Böhmen erkennen. Er berichtete unter anderem davon, dass sie vor acht Jahren den ersten Interregionalen Gewerkschaftsrat gegründet haben und seit dem eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gestalten konnten. Nach seiner Auffassung würde es im Zuge der EU-Osterweiterung nur in geringem Maße zu einer Übersiedlung von Arbeitskräften aus Polen und Tschechien in die östlichen Regionen der Bundesrepublik kommen, was mit einer dynamischen Lohnentwicklung jenseits der Grenze zu tun habe. Zu unterscheiden sei davon die Frage der Grenzpendler, die in stärkerem Maße kommen würden. Entscheidend sei für ihn, dass sie nach deutschem Tarifrecht, nach deutschem Sozialrecht und Sozialversicherungsrecht sowie nach deutschem Arbeitsschutzrecht beschäftigt würden.
Wie weit er allerdings mit seiner Auffassung Recht behält, dass eine dynamische Lohnentwicklung jenseits der Grenzen die Migrationsbereitschaft dämpfen würde, bleibt dahingestellt. Eine von der Europäischen Kommission, Generaldirektion Beschäftigung, in Auftrag gegebene Studie zu den Auswirkungen der Erweiterung auf die Beschäftigung und die Arbeitsmärkte in den EU-Ländern kommt zu dem Schluss, dass die großen Einkommensunterschiede zwischen der Europäischen Union und den Beitrittsländern eher über Jahrzehnte als über Jahre anhalten würde.
Was mir wichtig schien, war die Tatsache, dass eigentlich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer in ihren Beiträgen die Bereitschaft bekundeten, mit Partnern innerhalb der EU-Region nach Lösungen zu suchen und die Probleme gemeinsam anzupacken. Angesichts dessen kam Peter Porsch, PDS-Fraktionschef im Landtag und Vizevorsitzender der Partei, zu dem Schluss, er habe in Zittau erlebt, dass hier „Europa von unten gebaut werde, nicht von oben“. Dieses Europa von unten sollte den Beitrittsprozess höchst kritisch begleiten. Ihm sei deutlich geworden, was landespolitisch aktiviert werden müsse, damit die Region nicht zum „Durchmarschgebiet“ würde, ohne dass sie Menschen auch anziehe.
Welche Vorstellungen sie zur Entwicklung der Region haben, legten Hans Modrow, Peter Porsch und Heiko Kosel in einem mehrseitigen Papier „Für ein Europa der Regionen/Schritte und Vorschläge für die Entwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Interesse der Bürgerinnen und Bürger der Euroregion Neisse-Nisa-Nysa“ dar. Unter anderem schlagen sie vor, dass durch die Parlamente auf
EU-, Bundes- und Länderebene regionale Programme der wirtschaftlichen Entwicklung erarbeitet werden sollten. Vom sächsischen Landtag sollte die Initiative zur Bildung eines Ständigen Arbeitsausschusses Euroregionen ergriffen werden, dem Abgeordnete der mittleren und höchsten parlamentarischen Ebenen der drei Länder angehören. Konkrete Aufgaben sind auch für das Europabüro der PDS in Bautzen genannt, das maßgeblichen Anteil an der Vorbereitung der Konferenz hatte.
Zittau kann sicher als ein gelungener Auftakt in dem Bemühen der PDS gewertet werden, zur „Bündelung“ all jener Kräfte in der Euroregion beizutragen, die sich verantwortungsvoll den Menschen dort zuwenden, die sich für mehr Demokratie, mehr soziale Gerechtigkeit und ein friedliches Zusammenleben an der Grenze einsetzen. Wie weit hier nächste Schritte getan werden können, hängt unter anderem auch davon ab, wie sich die Partei auf allen Ebenen mit überzeugenden konzeptionellen Überlegungen zu Worte meldet, wie weit sie Bündnispartner im Lande findet und wie es – auch durch ihr Bemühen – international gelingt, die Linken Europas stärker zusammenzuführen und den Erweiterungsprozess solidarisch mit den Völkern in den mittel- und osteuropäischen Staaten zu begleiten.n