Zur Rückkehr an den Verhandlungstisch gibt es keine Alternative
Wenige Wochen nach dem hoffnungsvollen gemeinsamen Auftritt des Vorsitzenden der Knesset, Avraham Burg, und des Vorsitzenden des Palästinensischen Legislativrates, Abu Ala, im Hohen Haus in Strassburg dreht sich im Nahen Osten die Eskalationsspirale der Gewalt.
Wir haben von Raketenangriffen zerstörte Häuser in Dörfern und Flüchtlingslagern gesehen, besichtigten das Panorama israelischer Siedlungen inmitten palästinensischen Territoriums, erlebten eine Demonstration, auf der 10.000 junge Israelis forderten, den palästinensischen Terroranschlägen durch massive Militärgewalt gegen Palästina ein Ende zu bereiten.
Wir kommen zurück mit der Erkenntnis, dass es eines grundsätzlichen Neuanfangs im Friedensprozess bedarf, der außerordentlich schwer zu erreichen ist. Die Erfahrung mit Krieg und Terror, Okkupation und Flucht haben die Menschen und die Politik auf beiden Seiten geprägt.
Es bedarf dringend internationaler Unterstützung, damit die unverhältnismäßige Gewalt des israelischen Militärs gegen die palästinensische Zivilbevölkerung beendet wird.
Unser erster Besuchstag war überschattet von einem Attentat auf einen israelischen Schulbus, bei dem zwei Lehrer und 11 Schüler verletzt wurden. Während unserer Gespräche in der Knesset wurde der Angriff des israelischen Militärs auf Gaza bekannt. Unser Weg von Jerusalem nach Ramallah war gezeichnet von den Spuren der Straßenkämpfe zwischen palästinensischen Jugendlichen und israelischen Soldaten. Im Krankenhaus von Gaza sahen wir Jugendliche mit Kopfverletzungen – einer im Koma, ein anderer hirntot, ein dritter mit ausgeschossenem Auge. Junge Männer mit schweren Brust- und Bauchverletzungen – keiner älter als 18 Jahre.
„Ich habe als Arzt alle Volksaufstände seit 1967 erlebt“, sagte uns der palästinensische Gesundheitsminister. „Noch nie ist die israelische Armee so brutal gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen.“ Starben während der ersten Intifada durchschnittlich 14 bis 15 Menschen im Monat, so sind es gegenwärtig 6 bis 7 Menschen pro Tag. Die israelische Armee verwendet neuartige – schwere Verletzungen verursachende – Munition, sogenannte „live bullets“, die sich im Körper öffnet und Splitter verteilt. Von den Verletzten der vergangenen zwei Monate wird jeder vierte lebenslang behindert sein.
Zorn, Verzweiflung und Hass angesichts der Toten und Verletzten auf beiden Seiten, aber vor allem auch die heute jugendlichen lebenslang Behinderten sind das furchtbare Erbe der Eskalation der Gewalt, in der sich sehr ungleiche Partner gegenüberstehen. „Warum hat die NATO im Kosovo eingegriffen, während die internationale Gemeinschaft Israel gewähren lässt?“, wurden wir immer wieder gefragt. Wir haben ein Land im Ausnahmezustand erlebt. Den Palästinensern ist das Verlassen der von ihnen bewohnten Gebiete verboten. Überall patroulliert israelisches Militär. Auf jeder Ortseingangs- und -ausgangsstraße begegnet man sogenannten „Checkpoints“ – von israelischer Armee besetzte Kontrollpunkte, an denen sogar Krankenwagen mit Blaulicht oft stundenlang aufgehalten werden. Den palästinensischen Bauern wird der Zugang zu ihren Olivenhainen und Obstplantagen verwehrt – die diesjährige Ernte verkommt. Handel und Tourismus sind zum Erliegen gekommen. Zeitweise werden Energie, Telefon und Internet abgeschaltet. Benzin und Erdgas werden knapp.
Einhellig haben uns unsere palästinensischen Gesprächspartner erklärt, dass die durch den provokatorischen Gang Scharons ausgelöste neue Intifada eine Bewegung von unten ist, ein Volksaufstand, dessen Beginn und Beendigung man nicht verordnen kann. Die Palästinenser wollen nicht länger in einem okkupierten Land leben. Sie hassen die Siedler, die die an die Siedlungsmauern grenzenden Olivenhaine abholzen lassen, um mit übersichtlichen Sandstreifen, Polizei- und Militärpräsenz ihr „Sicherheitsbedürfnis“ im okkupierten Land zu befriedigen. Sie vertrauen Israel nicht mehr, das seit 10 Jahren über Frieden verhandelt und parallel dazu die Zeit nutzt, um mit dem Bau immer neuer und der Erweiterung bestehender Siedlungen Tatsachen zu schaffen, die das Entstehen eines palästinensischen Staates de facto unmöglich machen. Und sie vertrauen nicht mehr der amerikanischen Vermittlung – künftig sollen am Verhandlungstisch auch die UNO, die EU und Russland sitzen. Sie fordern die vollständige Umsetzung der UN-Resolution über den Rückzug Israels aus den 1967 besetzten palästinensischen Gebiete und die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge. Nur um den Zeitplan zur Umsetzung dieser Resolutionen könne es in künftigen Verhandlungen gehen.
Bei unseren Gesprächen in der Knesset begegneten wir durchaus Partnern, die die Notwendigkeit der Korrektur der Siedlungspolitik anerkannten und einseitige, vertrauensbildende Vorleistungen Israels befürworteten.
Aber auch Israel hat leidvolle Erfahrungen im Kampf um seine Existenz in der Region. Die Terroranschläge auf die israelische Zivilbevölkerung wecken schmerzhafte Erinnerungen. Groß ist der Einfluss religiöser Kräfte, die die Teilung Palästinas nie akzeptiert haben. Symbolisch und provokatorisch wehen an immer mehr Häusern im arabischen Viertel der Altstadt von Jerusalem israelische Fahnen. Die Friedensbewegung ist schwach. Die Worte der Vernunft verhallen angesichts des Schmerzes über die Opfer der Terroranschläge und des parteipolitischen Kräftemessens. Die jungen Leute, denen ich auf der Demonstration begegnete, sind in den Siedlungen geboren und aufgewachsen. Ich hatte den Eindruck, dass sie gar nicht wissen, dass sie auf okkupiertem palästinensischen Territorium leben. „Dies ist unser Land und wir werden es nie hergeben“, erklärte mir leidenschaftlich ein junger israelischer Demonstrant. So ist die Stimmung, die Scharon und seine Likhud-Partei für den Wahlkampf ausnutzen.
Aber parallel zur Kompromisslosigkeit gibt es auf beiden Seiten auch die Erkenntnis, dass es zur Rückkehr an den Verhandlungstisch keine Alternative gibt. Wie schnell sich die Erkenntnis durchsetzt, dass sich keine der Seiten durch Terror und Gewalt Bedingungen diktieren lassen wird, davon hängt das Leben vieler Menschen ab.
Die Autorin war Mitglied einer Delegation der Fraktion GUE/NGL, die vier Tage Palästina und Israel besuchte