Agrarpolitik mit Augenmaß reformieren
Alle reden derzeit von einer „neuen Agrarpolitik“. Doch was ist das eigentlich? Bereits seit Anfang der 90-er Jahre kritisiert die PDS und auch die Fraktion GUE/NGL die herrschende Agrarpolitik. Im Wahlprogramm für die Europawahlen 1999 hat die PDS gefordert: „Eine Neubestimmung der Gemeinsamen Agrarpolitik ist notwendig. Die PDS setzt sich dafür ein, dass diese den Anforderungen des notwendigen sozialen und ökologischen Umbaus der Gesellschaft entspricht. … Die Agrarwirtschaft ist … eine wesentliche Säule regionaler Wirtschaft. Sie ist unerlässlich, um Natur und Kulturlandschaft als Einheit zu erhalten sowie Arbeitsplätze und Einkommen im ländlichen Raum zu sichern.“
Europarot sprach mit Christel Fiebiger, Geschäftsführerin der Agrargenossenschaft Groß Warnow und Abgeordnete des Europäischen Parlaments.
Christel Fiebiger : In der Tat geht es in der gegenwärtigen Diskussion um vorbeugenden Verbraucherschutz und Ökologisierung der Landwirtschaft. Dazu gehören die Erhöhung der Lebensmittelsicherheit und Qualität der Produkte, eine ökologischere Landbewirtschaftung und artgerechtere Tierhaltung. Es geht um die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum sowie die Stärkung regionaler Strukturen und regionaler Wertschöpfung. Diese Umgestaltung wird nur längerfristig zu machen sein. Ich bin jedoch gegen einen nostalgischen Neuanfang. Ein Zurück zur Landwirtschaft der Urgroßeltern wird es angesichts der fortgeschrittenen Entwicklung nicht geben. Wissenschaft und Technik müssen noch mehr für eine umweltschonende, tiergerechte und zugleich ökonomisch effiziente Produktion genutzt werden. Dies muss dazu führen, dass die Gesetze der Natur wieder mehr Beachtung finden. Der Landwirt produziert nun einmal unter freiem Himmel. Handlungsbedarf besteht zweifellos angesichts der negativen Folgen von Pflanzenschutzmitteln und Stickstoffüberschuss auf Artenvielfalt, Wasser, Lebensmittel und Mensch.
Welche Maßnahmen sind zu ergreifen?
Christel Fiebiger: Der Allmacht des Marktes sind staatliche Schranken zu setzen. Profite auf Kosten von Umwelt, Natur und Gesundheit müssen durch entsprechende Rahmensetzung verhindert und gesellschaftlich geächtet werden. Infolge der Globalisierung und Liberalisierung der Agrarmärkte bedarf es hierfür auch internationaler Regelungen.
Nun wird nicht von heute auf Morgen der Ökolandbauer die Marktführung übernehmen.
Christel Fiebiger : Darum geht es auch gar nicht. Im Zentrum der neuen Agrarpolitik müssen die konventionell produzierenden Betriebe stehen, da aus ihnen auch künftig die große Masse der Agrarprodukte kommt. Hier schrittweise höhere Umwelt- und Qualitätsstandards durchzusetzen, würde Verbrauchern wie Landwirten den größten Nutzen bringen. Die verbesserte Förderung des ökologischen Landbaus ist richtig, muss aber darauf gerichtet sein, dass im Öko-Landbau nicht am Markt vorbei produziert wird.
Noch liegt der Anteil der Ökoprodukte am gesamten Lebensmittelumsatz erst bei etwa 2 Prozent. Dieser Anteil lässt sich steigern. Allerdings muss verhindert werden, dass mangels hinreichender Vermarktungswege die Produkte nicht zu den Verbrauchern gelangen.
Wichtig ist, das richtige Schrittmaß für die Ökologisierung der gesamten Landwirtschaft zu finden. Das Vermögen konventioneller Betriebe, die im Vertrauen auf die bisher herrschenden Rahmenbedingungen ihre Betriebskonzepte entwickelt und dafür investiert haben, darf nicht entwertet wird.
Nach Jahrzehnten Gemeinsamer Agrarpolitik der EU-Mitgliedsländer ist auch klar, dass die Agrarwende nur als Reform der Gemeinschaftspolitik erfolgen kann. …
Christel Fiebiger : Das ist richtig. Seit der Agrarreform von 1992 und verstärkt mit der Agenda 2000 wurden die Weichen auf die fortschreitende Liberalisierung gestellt. Die bevorstehende WTO-Verhandlungsrunde soll zur weiteren Liberalisierung führen, was der Globalisierung einen neuen Schub verleihen wird. Die Kernfrage ist, ob bei der Halbzeitbewertung der Agenda 2000 eine Kurskorrektur durchsetzbar ist, durch die – auch im Sinne einer richtig verstandenen Multifunktionalität der europäischen Landwirtschaft – regionale Wirtschaftskreisläufe wieder eine größere Chance bekommen. Dazu bedarf es jedoch noch deutlich mehr öffentlichen Drucks. Außerdem müssen bei den anstehenden WTO-Verhandlungen Mindeststandards für Umweltschutz, Sozialfragen und Verbraucherschutz als unerlässliche Flankierung des profitdominierten Globalisierungsprozesses durchgesetzt werden. Und das wird schwierig. Z. B. halten die USA den Einsatz von Hormonen in der Rindermast und bei Milchkühen für unbedenklich. Amerikanische Farmer nutzen auf breiter Front die grüne Gentechnik, stellen aber zunehmend den Widerstand der Bevölkerung fest. Hier stehen schwierige Verhandlungen bevor. Auch dürfen international verbindliche Mindeststandards nicht zu neuen Handelsbarrieren gegenüber den Entwicklungsländern führen. Deshalb fordern wir für diese Länder besondere Übergangsfristen und technische Hilfe zur Standarderreichung.
Mit dem Umbau der Landwirtschaft wird es aber nicht getan sein.
Christel Fiebiger : Die Breite der Bevölkerung muss zu einer stärker gesundheitsorientierten Ernährungsweise kommen. Hierzu bedarf es sowohl eines politischen Förderungs- und Aufklärungswillens als auch eines Wertewandels der Verbraucher, der mehr ist als das durch Skandale hervorgerufene jeweilige aktuelle Konsumverhalten. Viel wird davon abhängen, ob die Masse der Verbraucher – im Gegensatz zu heute – die von den Handelsketten bestimmten und immer mehr globalisierten Lebensmittelmärkten überdrüssig wird und nach neuen Sicherheiten, Qualitäten und Identitäten jenseits der Weltmärkte sucht.
Aber auch die Handelsketten müssen den Druck spüren, mehr Produkte aus überschaubaren Wirtschaftskreisläufen und Qualitätsprodukte aus der Region anzubieten.
Der Neuanfang muss mit Augenmaß und darf nicht gegen die Bauern erfolgen.