An der Grenze: Nichts Neues aus Tarifa

Sylvia-Yvonne Kaufmann, Martin Hantke

Am 8. Mai berichtete eine Nachrichtenagentur folgendes: „Die spanische Polizei hat am Dienstag 120 aus Afrika stammende Menschen festgenommen, die offenbar illegal einwandern wollten. Ein Junge wurde an der Küste in der Nähe von Tarifa tot aufgefunden. Die Einwanderer hatten die Straße von Gibraltar in einem Boot überquert. Polizeihubschrauber und Boote suchten die Gewässer ab, konnten an der Küste aber nur ein leeres Boot entdecken. Die Behörden hatten zuvor einen Notruf aufgefangen, wonach vor Tarifa ein Schiff in Seenot sei. Die Polizei griff dann die in Gruppen in dem Gebiet von Tarifa umherziehenden Einwanderer auf. Unter ihnen waren auch 27 Frauen, davon eine Schwangere, und drei Babys. Auch der marokkanische Bootsführer wurde festgenommen.“

Eine von zahlreichen Meldungen über Flüchtlinge und sogenannte illegale Einwanderer und Einwanderinnen an diesem Tag.

Die Außengrenzen der EU sind dicht. Jahrelang haben die Innenministerien der EU-Mitgliedsländer dafür gesorgt, dass die Abschottungsmaßnahmen der Union effizienter und strenger durchgesetzt werden. Mit der Übernahme des Schengener Abkommens in den Gemeinsamen Besitzstand der EU wurde dies auch rechtlich abgesichert. So ist das Mittelmeer selbst zu einer „natürlichen Mauer“ gegen die Flüchtlinge geworden. Auch die deutsch-polnischen Grenzflüsse Oder und Neiße werden in „natürliche Mauern“ gegen die unerwünschten Einwanderer und Einwanderinnen verwandelt. So sehen sich mehr und mehr Menschen gezwungen, immer gefahrvollere Wege auf sich zu nehmen, um in die EU, nach „Europa“, zu gelangen. Sie riskieren ihr Leben bei Fahrten in kleinen, völlig überladenen Fischerbooten oder in großen schrottreifen Frachtern. Sie überqueren im Winter die Oder, lassen sich in Laderäumen oder Zwischenböden von LKW einschließen, um Schutz vor Verfolgung und Armut zu suchen, um zu Freunden oder Verwandten ziehen zu können oder um schlicht für sich und ihre Kinder die Reise in ein besseres Leben anzutreten.

Damit ihre „Reise“ nicht von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist, brauchen sie heutzutage Fluchthelfer, im Polizeijargon „Schlepper“ genannt. Jede Verstärkung der „Befestigungen“ an den EU-Außengrenzen, wie etwa der flächendeckende Einsatz von Wärmebildkameras an der deutschen Ostgrenze, erhöht die Nachfrage nach verlässlichen Fluchthelfern, die selbstverständlich für ihre nicht ungefährliche Dienstleistung auch bezahlt werden wollen. Zu Zeiten des Kalten Krieges galten Entgelte für die Fluchthilfe von Ost nach West von über 40 000 DM nicht als sittenwidrig. Dies hat sich nun grundlegend geändert.

Mit der Verschärfung der Grenzkontrollen, der Verdichtung der Abschottungsmaßnahmen und dem erhöhten Verfolgungsdruck gegen Fluchthelfer wird jedoch vor allem eines erreicht: Die Situation an den EU-Außengrenzen wird immer unhaltbarer. Nicht illegale Einwanderung wird verhindert oder erheblich vermindert, wie all diese Maßnahmen der Öffentlichkeit suggerieren sollen, sondern es werden für Leib und Leben der Einwanderer und Einwanderinnen massive Gefährdungen geschaffen. So gehört es zur Normalität an der deutschen Ostgrenze, dass pro Jahr Dutzende von Flüchtlingen schwere Bissverletzungen durch Diensthunde des Bundesgrenzschutzes davontragen. In der Antwort der Bundesregierung auf die entsprechenden Anfragen der PDS-Bundestagsabgeordneten Jelpke ist von lebensgefährlichen Hundebissen in Kopf und Brust beim „Stellen“ der Flüchtlinge die Rede. Die antirassistische Menschenrechtsorganisation UNITED in Amsterdam schätzt, dass über 2000 Menschen pro Jahr bei dem Versuch, die „Festung“ Europa zu erreichen, ums Leben kommen. Die Europäische Kommission weigert sich bislang, Daten über Tote an den EU-Außengrenzen zu erheben.

Darüber hinaus erhöht sich trotz rigider Abschiebepraxis die Zahl der sogenannten Illegalen beständig, die in den EU-Mitgliedstaaten ohne jeden Rechtsstatus leben. Ihre soziale und gesundheitliche Situation ist nur all zu oft äußerst prekär. Die offensichtliche Brutalität, wie die europäischen Gesellschaften mit „unnützen“, „unerwünschten“ Asylsuchenden, Einwanderern und Einwanderinnen umgehen, verweist auf ihren eigenen Zustand. Ein Zustand, der umgehend geändert werden muss.