Bundesregierung contra EU-Kommission beim Europäischen Asylrecht
Zehn Jahre lang hat die Bundesregierung die Mär verbreitet, das deutsche Asylrecht beinhalte innerhalb der EU den weitestgehenden Schutz für Flüchtlinge. Auch die von SPD und CDU 1993 im „Asylkompromiss“ festgelegten Regelungen änderten daran nichts. Jetzt ist diese Legende zusammengebrochen. Der Kaiser ist nackt. Vehement war die Bundesregierung früher für die Vergemeinschaftung der Asylpolitiken der Mitgliedstaaten der EU eingetreten. Immer wieder wurde mit dem Finger auf die anderen gezeigt, die eine Vereinheitlichung nur blockierten. Jetzt ist alles anders.
Mit aller Macht wehrt sich in den letzen Monaten die rot-grüne Bundesregierung, insbesondere ihr Innenminister Schily, gegen die Vorschläge der Europäischen Kommission. Denn jetzt wird deutlich, dass sowohl in punkto Familienzusammenführung als auch beim aktuellen Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten fast ausschließlich die Bundesregierung blockt. Gemeinsam mit der schwarz-blauen Regierung in Österreich gegen den Rest der EU beharrt Innenminister Schily auf „bewährten Konzepten im deutschen Asylrecht“, wie „sicherer Drittstaat“ und „sicherer Herkunftsstaat“.
In der Tat würden die Vorschläge der Kommission die bisherige Asylrechtspraxis in der Bundesrepublik in großen Teilen in Frage stellen. So könnten Asylsuchende nicht mehr wie bisher von Bundesgrenzschützern an der Grenze mit Verweis auf einen „offensichtlich unbegründeten Antrag“ zurückgewiesen werden. Einrichtungen wie das „Flughafenverfahren“ wären kaum noch aufrecht zu erhalten.
Würden die Vorschläge der Kommission auch von der Bundesregierung akzeptiert, gäbe es endlich ein Mindestmaß an Schutz für Flüchtlinge und Asylsuchende. Ihnen könnte die Einreise nicht mit zum Teil fadenscheinigen Gründen verwehrt werden. Über ihren Antrag würde nicht vom Bundesgrenzschutz, sondern von einer eigenen Behörde entschieden werden. Für ein gerichtlich überprüfbares, rechtsstaatliches Verfahren würde Zeit gewonnen, ja es würde überhaupt erst ermöglicht.
Doch all dies ist von der rot-grünen Bundesregierung nicht gewollt. So setzte sie denn deutliche Stoppzeichen. Während die deutschen Europaabgeordneten von SPD und Grünen in Straßburg mit einigen Abstrichen den Vorschlägen der Kommission zur Familienzusammenführung zustimmten, legte sich ihre Bundesregierung auf dem EU-Gipfel in Nizza im Dezember 2000 quer. An der schönen Côte d’Azur forderte man von den anderen Mitgliedstaaten den Übergang zu Mehrheitsentscheidungen auf den meisten Politikfeldern, behielt sich selbst aber de facto ein Vetorecht bei Asyl und Migration vor. Hier soll ein Übergang zur Mehrheitsentscheidung erst erfolgen, wenn sich alle Mitgliedstaaten einvernehmlich über gemeinsame Regelungen zu Asyl und Migration verständigt haben. Eine allzu durchschaubare Forderung. Das heißt, ohne die Zustimmung der Bundesrepublik geht nichts.
Deutschland hält stur an seinem Sonderweg fest. Dabei riskiert man auch offenen Streit mit den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission. Dies wurde auf einer Veranstaltung der Vertretung der Europäischen Kommission in der Bundesrepublik am 14. Dezember letzten Jahres besonders deutlich. Nachdem der Verantwortliche der Kommission für Asyl, de Brouwer, die europäischen Vorschläge vorgestellt hatte, wurde er von Vertretern des bayerischen und des brandenburgischen Innenministeriums wütend attackiert. Grimmig verkündete der von Otto Schily entsandte Ministerialdirigent die deutsche Totalverweigerung gegenüber den Vorschlägen zur Sicherung menschenrechtlicher Standards im Asylrecht. Am Ende der Diskussion blieb de Brouwer nichts anderes übrig, als konsterniert mit den Schultern zu zucken. Resigniert stellte er fest, dass es, wenn er eine ähnliche Diskussion in den Niederlanden geführt hätte, dort mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Protesten gekommen wäre, nach dem Motto, die von der Kommission vorgeschlagenen Standards seien zu niedrig. In Deutschland hingegen werde er angegangen, weil die Standards angeblich zu hoch seien. Dabei habe die Kommission nur Vorschläge für Minimalstandards gemacht, Minimalstandards, auf die eigentlich alle Mitgliedstaaten durch ihre Unterzeichnung völkerrechtlich bindender Abkommen verpflichtet seien.
Eine beschämende Situation: Während man von bundesdeutscher Seite in anderen Staaten vehement zumindest verbal auf die Einhaltung der Menschenrechte dringt, ist man offensichtlich nicht willens, internationale menschenrechtliche Mindeststandards bei Asyl, zu denen man sich völkerrechtlich verpflichtet hat, anzuwenden, geschweige denn gemeinsamen europäischen Regelungen, die diese Standards festschreiben, zuzustimmen.
Die Vorschläge der Kommission für Asyl können nachgelesen werden unter www.europa.eu.int