Die Unionsbürgerschaft – nur ein leeres Wort ?
Immer mehr Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union leben – wenigstens in einem Abschnitt ihres Lebens – nicht in ihrem Heimatland. Gründe dafür gibt es viele: Sei es ein Aufbaustudium, die Arbeitsaufnahme jenseits der Grenze oder der Daueraufenthalt als Rentner irgendwo in Europas Süden, um nur drei typische Situationen zu nennen. Dass dies heute grundsätzlich möglich ist, stellt eine der von der Öffentlichkeit geschätztesten Errungenschaften der Europäischen Union dar. Das Aufenthaltsrecht in anderen EU-Ländern ist dabei eng verbunden mit dem Grundrecht auf Freizügigkeit, das die Unionsbürgerschaft allen Bürgerinnen und Bürgern der EU seit Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte gewährt.
Natürlich wurde diese Freizügigkeit in erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen geschaffen, um einen europäischen Binnenmarkt und damit auch einen einheitlichen Arbeitsmarkt überhaupt erst möglich zu machen. Dieses Recht auf Freizügigkeit stellt aber auch eine Freiheit des Einzelnen dar, die es zu bewahren und auszubauen gilt. Denn sieht man sich die Ausgestaltung dieses Rechts einmal genauer an, so stellt man schnell fest, dass es keineswegs in allen Ländern unproblematisch, und d.h. vor allem unbürokratisch gewährt wird. Die Probleme beginnen schon damit, dass die die Freizügigkeit gewährleistende Unionsbürgerschaft allein den Staatsangehörigen der EU-Mitgliedsländer vorbehalten ist. Millionen von in den EU-Ländern lebenden und arbeitenden Menschen, ausgestattet mit Pässen von Drittstaaten, bleiben so im wahrsten Sinnes des Wortes außen vor.
Freizügigkeit für Studenten und Rentner
Doch auch für die Unionsbürger selbst liegt zwischen dem Entschluss für einen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedsland und seiner schließlichen Realisierung nicht selten ein langer und oft bürokratischer Weg. Die dem Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments von verzweifelten Bürgerinnen und Bürgern vorgetragenen Beschwerden füllen inzwischen viele Aktenordner und betreffen die unterschiedlichsten Sachverhalte. So benötigen etwa Studenten als Voraussetzung für ein Studium im Ausland zwar nur die Einschreibung bei einer anerkannten Lehranstalt und den Abschluss einer Krankenversicherung, für den Nachweis der Existenzmittel genügt eine einfache Erklärung, d.h. eine Verpflichtung der Eltern oder der Gastgeber im Aufenthaltsland. Nun kommt es aber vor, dass von Studenten verlangt wird, einen bestimmten Betrag bei einer Bank des Aufnahmelandes zu hinterlegen. Wird diese Voraussetzung nicht erfüllt, so kann es sein, dass Studenten die Einschreibung an einer Lehranstalt oder Leistungen der sozialen Sicherheit bzw. Beihilfen (z.B. für die Wohnung) verweigert werden. Auch Rentnern ergeht es nicht selten so. Ebenso wie die Studenten beklagen sie sich über schleppende Verwaltungsverfahren sowie über die vorgeschriebenen mehrmaligen und kostspieligen Erneuerungen der Anträge auf Aufenthaltserlaubnis. Sehr häufig geraten die Betreffenden in den Teufelskreis von voneinander abhängigen Verwaltungsvorschriften. In einem Bericht der Europäischen Kommission wird ausdrücklich bemerkt, dass die betreffenden Richtlinien auch „ungewollte“ Auswirkungen haben, denn die Mitgliedstaaten dehnen den vorgeschriebenen Nachweis ausreichender Existenzmittel unzulässigerweise auch auf Unionsbürger aus, die mit Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates verheiratet sind.
Arbeitnehmer in der Union
Vielfältigen Problemen sind auch Arbeitnehmer ausgesetzt, die vorübergehend in einem anderen Land leben. So unterliegen Arbeitnehmer mit kurzfristigen Arbeitsverträgen von höchstens einem Jahr der Verpflichtung, bei jedem Vertrag die Aufenthaltsgenehmigung erneuern zu lassen, selbst wenn ihre Arbeit keine Unterbrechung erfährt. Ebenso erhalten Zeitarbeitnehmer keine Aufenthaltserlaubnis, wenn sie nicht eine Beschäftigung von mindestens drei Monaten Dauer nachweisen können, was bei dieser Art von Arbeit natürlich nur selten der Fall ist. Besonderen Schwierigkeiten sind sie in vielen Ländern im Fall von Arbeitslosigkeit ausgesetzt. Häufig bleibt ihnen der Zugang zu staatlichen Beschäftigungsmaßnahmen verschlossen. Auch verlieren sie bei längerer Arbeitslosigkeit ein Anrecht darauf, dass ihre Aufenthaltserlaubnis verlängert wird. Die Familienangehörigen der Arbeitnehmer besitzen zudem kein individuelles Recht auf Aufenthalt. Ihre Rechtsstellung ergibt sich ausschließlich aus der Beziehung zu dem in den anderen Mitgliedstaat ziehenden Erwerbstätigen. Bei Trennungen führt dies oft zu unbilligen Härten.
In einem Bericht des Europäischen Parlaments wird daher als Schlussfolgerung festgestellt, dass „die Unionsbürgerschaft in allzu vielen Fällen ein leeres Wort ist. Der Zugang zum Arbeitsmarkt, zum Studium, zum Aufenthalt eines Nichterwerbstätigen ist jedesmal mit überzogenen wirtschaftlichen Voraussetzungen verknüpft. Außerdem bildet die ungerechtfertigte Forderung nach Vorlage einer Aufenthaltserlaubnis bei der Einstellung eine subtile Form der nationalen Abschirmung des Arbeitsmarktes, die dem Buchstaben und dem Geist der europäischen Integration widersprechen“. Es bleibt daher noch viel zu tun, ehe man von einer echten Unionsbürgerschaft sprechen kann.