Für eine neue Europäische Union des 21. Jahrhunderts

Hans Modrow

Überlegungen zur notwendigen Reform der EU und den Aufgaben der Linken in diesem Prozess

Die Europäische Union steht vor dem Prozess einer Erneuerung,der weit mehr ist als ein »Post-Nizza-Prozess«. ND stellt im Folgenden
die Überlegungen des PDS-Politikers Hans Modrow, seit 1999 Mitglied der Konföderalen Fraktion der Vereinigten Europäischen
Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) im Europaparlament, vor.

Die in den 50er Jahren begonnene und bis in die 80er Jahre reichende Entwicklung ist abgeschlossen. Im letzten Jahrzehnt des
vorigen Jahrhunderts haben sich grundlegende Veränderungen vollzogen. Die Sowjetunion als einstige Supermacht neben und in
Konkurrenz zu den USA existiert nicht mehr; in den mittel- und osteuropäischen Staaten ist eine kapitalistische Marktwirtschaft eigener
Prägung entstanden, mit der sie der EU beitreten wollen. Aus der Europäischen Gemeinschaft ist eine durch die Verträge von Maastricht
und Amsterdam geprägte Europäische Union geworden, die mit Beginn des 21. Jahrhunderts vor neuen Herausforderungen steht. Die
Ratstagung von Nizza ist dem nicht gerecht geworden. Mit Wertungen, wonach mit der feierlich proklamierten Grundrechte-Charta der
Weg für eine Europäische Verfassung frei sei, das Tor zum Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten weit geöffnet wurde und die
Schritte zur Reform der EU der 15 in die richtige Richtung weisen, soll Nizza schöngeredet und der Misserfolg verdeckt werden.
Natürlich wird die Frage einer neuen Europäischen Union von den Konservativen, den Sozialdemokraten, den Liberalen, den Grünen
und den Linken unterschiedlich beantwortet werden. Eine schlüssige Antwort hat eigentlich keine der verschiedenen politischen
Richtungen. Einig ist man sich nur darin, dass eine öffentliche Debatte notwendig ist, die vor allem vom Europäischen Parlament (EP)
als dem einzig demokratisch legitimierten Organ angestoßen und mit den Bürgerinnen und Bürgern geführt werden muss, von denen
die Mitglieder des EP im Jahre 2004 gewählt werden sollen und wollen …

Die geringe Wahlbeteiligung 1999 muss als Kritik und als Distanz zur Europäischen Union begriffen werden. Trotz der Tatsache, dass
die Mehrheit der Regierungen der 15 gegenwärtigen EU-Staaten sozialdemokratisch geführt sind, sind die Konservativen als mit
deutlichem Abstand stärkste Fraktion aus den Wahlen hervorgegangen. Die Konföderative Europäische Linke / Nordische Grüne Linke
konnte 1999 mit 42 Mandaten ihre Position stabilisieren. Ob dieser Erfolg bei den nächsten Wahlen wiederholt werden kann, erscheint
im Augenblick zweifelhaft. Die nationalen Wahlen … nach der Wahl zum Europaparlament haben für einen Teil der Parteien drastische
Verluste gebracht; nimmt man die Spaltung unter den Linken in einigen Ländern hinzu, so stimmen die Aussichten für 2004 nicht
gerade optimistisch. Da die Debatte unausweichlich kommen wird und nicht nur unter den 15 jetzigen Mitgliedern, sondern auch mit
und unter den 12 künftigen geführt werden muss, steht die Europäische Linke vor der Herausforderung, eigene Standpunkte zu
entwickeln und perspektivische Positionen zu beziehen – und dies im Kontext des Prozesses der Herausbildung einer Vereinigten
Europäischen Linken ….. Wenn dies nicht gelingt, vergibt die Linke ihre Chancen, möglicherweise für längere Zeit, und wird ihrer
Verantwortung bei der Gestaltung einer neuen Europäischen Union, einer Union gleichberechtigter freier Völker, nicht gerecht. Mehr
noch: Ohne eine starke Linke, die sich für Gerechtigkeit, soziale Sicherheit, für eine neue Qualität der Solidarität, für Freiheit und
Demokratie, für Sicherheit und Frieden engagiert, wird es keine neue EU geben! Es reicht daher nicht aus, den einen oder anderen
Kompromiss im Europäischen Parlament zum Maßstab zu nehmen; erforderlich ist, von Grundprinzipien ausgehend eine konsequente
linke Europapolitik zu vertreten … . Gewiss ist das Spektrum dieser Politik breit und vielfältig, dochdie Kernfrage ist und bleibt: Welche
Reformen werden in der EU mit welchem Ziel, zu wessen Nutzen vollzogen, wie werden in der EU der 27 die Interessen aller Völker
austariert, wie wird die Union demokratischer, transparenter. Der Begriff der Reform wird gemeinhin als Veränderung der Institutionen
aufgefasst; die Linke muss indes weiter gehen. Reform muss in ihrem Verständnis auch und vor allem heißen: weg von einer Politik
des Neoliberalismus, die die Position der Konzerne und Banken stärkt weg vom Kurs der rücksichtslosen Privatisierung nein zur Politik
der Militarisierung der Gemeinsamen Außenpolitik der EU.

Reformkurs für eine neue EU

1. Die in den Verträgen von Maastricht und Amsterdam festgelegten Grundlinien für die Ziele der EU und der daraus resultierende Kurs
eines ungezügelten Neoliberalismus, der Sicherung der Profite der Monopole und Banken und des sozialen Abbaus sind grundlegend
zu verändern. Beschlüssen, Richtlinien und Berichten, die diesen Kurs in Form von Privatisierungsentscheidungen wie bei der Post, im
Verkehrswesen, dem öffentlichen Eigentum, bei der Fusion von Konzernen und Banken befördern, ist entgegenzutreten. Es muss eine
Neubestimmung der Inhalte der Politik im Interessen der Bürgerinnen und Bürger erfolgen, d. h., dass Steuergeld nicht länger vorrangig
den Konzernen und Banken zufließen, sondern der Schaffung von Arbeitsplätzen und dem Ausbau sozialer Leistungen dienen und für
Solidarität gegenüber den neu hinzukommenden Ländern und zurückgebliebenen Regionen eingesetzt werden. Sicherheitspolitik
muss der Gewährung der kollektiven Sicherheit mit nichtmilitärischen Mitteln verpflichtet sein statt der Durchsetzung der Interessen des
Kapitals nach Rohstoffen, Märkten und Einflussgebieten.

2. Es ist eine Neuordnung der Zuständigkeiten anzustreben, die auf alle drei Ebenen – Union, Länder und Regionen – gerichtet ist.
Schon jetzt ist die EU-15 weitgehend in ihren Handlungsmöglichkeiten blockiert, eine Fortsetzung des gegenwärtigen Kurses würde mit
der Erweiterung der Union auf 27 Staaten eine völlige Handlungsunfähigkeit auslösen, die bis zum Zerfall der Union führen könnte. Die
Linke steht damit vor der Frage, ob sie diesen Zerfall fördern will oder die Chance sieht und ergreift, die Europäische Union so zu
verändern, dass sie vom Kurs des Neoliberalismus abrückt und auf soziale Gerechtigkeit, auf Gleichheit in Freiheit, Frieden und
Sicherheit, auf alternative Entwicklungslinien hingedrängt werden kann. Wenn sich die Linke diesen Herausforderungen stellen will,
muss sie als Vereinigte Europäische Linke Konsens finden und den Weg für gemeinsame Aktionen suchen.

3. Eine Schlüsselfrage für die weitere Entwicklung der Union ist das Verhältnis zwischen dem Europäischen Rat, den
Ministerkonferenzen, der Kommission und dem Europäischen Parlament. Der jetzige Kurs läuft eindeutig in die falsche Richtung. Das
EP wird in seinen Rechten und Zuständigkeiten immer mehr eingeschränkt, während die Kommission quasi die Rolle einer
Europäischen Regierung übernehmen will. Die halbjährlich wechselnden Ratspräsidentschaften haben vor allem das Ziel, eine
Profilierung der jeweiligen Regierung im europäischen Rahmen zu erreichen. Hinsichtlich einer Reform der Institutionen und der
Neuordnung der Kompetenzen sind bereits verschiedene Varianten ins Gespräch gebracht worden, so vom deutschen Außenminister
Fischer der Vorschlag, die parlamentarische Vertretung aus den Nationalstaaten zu bilden, die Idee des nordrhein-westfälischen
Regierungschefs Clement vom Ministerrat als einer Staatenkammer, parallel dazu das Europäische Parlament als Bürgerkammer. In
beiden Optionen wird die Rolle der Kommission wachsen, die bereits heute mehr als überfordert ist. Bei Fortsetzung des
gegenwärtigen Kurses wird eine europäische Bürokratie wuchern, werden »Überkommissionen« tätig sein, die ohne parlamentarische
Kontrolle Machtstellungen einnehmen und eine subjektiv geprägte Politik verfolgen, die sich noch weniger als heute an den Interessen
der europäischen Bürgerinnen und Bürger orientiert. Wenn die Linke auf eine Stärkung des Europaparlaments setzen will, dann muss
sie verstärkte Bemühungen unternehmen, um als V e r e i n i g t e Europäische Linke in den Nationalstaaten erkennbar und damit
wählbar zu werden.

4. Wenn die Linke eine neue Europäische Union anstreben will, muss sie sich von Post-Nizza, so wie es konzipiert ist, lösen, den
Nizza-Vertrag ablehnen und Neuverhandlungen fordern. Da dies wenig wahrscheinlich ist, muss sie daher zugleich an Alternativen zum
Kurs des Rats und der Kommission arbeiten und diese öffentlich vertreten. Die Linksfraktion im Parlament muss dafür die Sacharbeit
leisten, die Bemühungen müssen aber auch darauf gerichtet sein, dass sich auch andere linke Parteien und Bewegungen dazu
äußern. Schwerpunkte sollten dabei sein:

soziale Gerechtigkeit, Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit, Wirtschafts- und Währungsfragen
Ausgleich der Entwicklungsunterschiede innerhalb der EU
Transparenz und Demokratie
Umwelt und nachhaltige Entwicklung
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
Gemeinsame Agrarpolitik
Entwicklungspolitik.

Die Parteien des so genannten Madrid-Prozesses sollten sich im Spätsommer dieses Jahres treffen, um ihre Positionen zu diskutieren
und entsprechende Schritte für mittelfristiges gemeinsames Handeln zu beraten.

Neugestaltung der EU-Erweiterung

1. Die EU vollzieht den Prozess ihrer Erweiterung durch die Länder Mittel- und Osteuropas immer mehr unter politisch-administrativen
Zwängen. Ging es zu Beginn der 90er Jahre darum, alle Element des realen Sozialismus zu beseitigen und neue Märkte zugewinnen,
besteht heute der Zwang darin, um den Preis der eigenen Glaubwürdigkeit das einmal gegebene Versprechen der
Aufnahmebereitschaft einzulösen. Zugleich wachsen in den Bewerberländern unverkennbar die Zweifel an der Sinnfälligkeit eines
Beitritts. Auch die Kommission spürt, dass sich der Prozess verlangsamt hat, Komplikationen auftreten und die bisher verfolgte
Verhandlungsstrategie mehr oder weniger festgefahren ist. Das neue Strategiepapier und die dazu in Nizza getroffenen
Entscheidungen sollen die gewachsenen Verkrustungen aufbrechen und den raschen Beitritt einer ersten Gruppe von Ländern
ermöglichen. Zur Verschärfung der Konkurrenz unter den Kandidaten wird als allgemeiner neuer Zeithorizont die Teilnahme an der
EP-Wahl 2004 genannt. Zwischen dem Abschluss der Verhandlungen mit den am meisten fortgeschrittenen Bewerbern – die
Kommission geht davon aus, dass dies im 2. Halbjahr 2002 der Fall sein wird – und dem Wahltermin sollen die Namen der ersten
Beitrittsstaaten genannt und die entsprechenden parlamentarischen Verfahren in Gang gesetzt werden. Die Linke sowohl in den 15
EU-Staaten wie in den Beitrittsländern ist herausgefordert, eigene Schwerpunkte zu setzen. Die Strategie der Kommission ist
bekanntlich darauf gerichtet, die in drei Etappen verlaufenden Verhandlungen zur Übernahme des Gemeinsamen Besitzstandes an
Gesetzen, Normen und Regeln bis zum 30. Juni 2002 im wesentlichen zu beenden. Danach sollen mit einer ersten Gruppe von Staaten
konkrete Aufnahmeverhandlungen geführt werden, die auf einen Termin abzielen, der eine Teilnahme an den EP-Wahlen 2004
ermöglicht… Die Vereinigte Europäische Linke steht vor der Notwendigkeit, ihre politischen Positionen und ihr politisches Verhalten und
Handeln in diesem Prozess zu bestimmen.

2. Angesichts der bestehenden Realitäten scheint eine Anti-Beitrittsbewegung politisch sinnlos zu sein, sie könnte sich sogar als
kontraproduktiv erweisen, da sie rechts-konservativen, nationalistischen, reaktionären Kräften in die Hände spielt. (Die Logik müsste
dann auch eine Bewegung zur Auflösung der EU insgesamt sein.) Die Entwicklung einer neuen Europäischen Union kann sich nur als
ein Prozess wirklicher Integration vollziehen, die mehr von unten als von oben wächst. Die Fraktion der GUE/NGL hat bisher die
Beitrittsbemühungen der Mittel- und osteuropäischen Länder im Parlament mehr oder weniger kritisch begleitet. Die Beratung des
erweiterten Fraktionsvorstandes in Budapest im Juni 2000 mit Vertretern von Linksparteien und -bewegungen aus Kandidatenländern
hat zwar die kritischen Positionen gestärkt, aber nicht zu einer kontinuierlichen Zusammenarbeit mit den linken Parteien und
Bewegungen dieser Länder geführt. Das Ende Juni geplante Treffen in Prag sollte als Chance genutzt werden, um über kritische
Betrachtungen hinaus eigene, alternative Positionen zu bestimmen. Als wesentliche Konfliktfelder einer erweiterten Union zeichnen sich
ab: hohes Niveau der Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit mit wachsender Armut, verschärfte Konkurrenz, aus Freizügigkeit
herrührende Ängste weiterer Abbau der Chancengleichheit in Bildung und Ausbildung; Ernüchterung der politisch herrschenden Klasse
in den neuen Mitgliedsstaaten darüber, dass Marktwirtschaft und radikale Privatisierung die Probleme der Gesellschaft n i c h t regeln
und lösen Streit um Übergangsfristen und Sonderregelungen z. B. bei der Übernahme kostenaufwendiger EU-Standards in Umwelt und
Verkehr, um den Beitritt für die Länder finanzierbar zu machen Strukturpolitik, die Nutzung des Kohäsionsfonds, die Kriterien der
Zielgebiete für die künftige EU-Förderpolitik Einbindung und Beteiligung an der Militarisierung der Außen- und Sicherheitspolitik der EU
… Das Treffen in Prag sollte genutzt werden, um bereits im Vorfeld eigene Positionen der Fraktion zu erarbeiten. In einer von Experten
aus Tschechien und der BRD gemeinsam erarbeiteten Studie wird am Beispiel eines Landes dargestellt, welche Probleme sich mit
und aus dem Beitritt ergeben. Da es sich um ähnlich gelagerte Probleme handelt, bietet eine solche Studie einen hohen Grad der
Verallgemeinerung und ermöglicht, Grundelemente und Grundtendenzen genauer zu erfassen.

3. Mit der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung des Prager Treffens sollten die Bemühungen in der GUE/NGL für einen Konsens
in Hinblick auf eine neue Europäische Union verstärkt werden. Prag sollte zum Ausgangspunkt für eine kontinuierliche und
zielgerichtete Kooperation mit den linken Parteien und Bewegungen der mittel- und osteuropäischen Staaten werden. Diese
Bemühungen sollten sich auf alle Länder richten, wobei der Tschechischen Republik und Zypern verstärkte Aufmerksamkeit geschenkt
werden sollte. In beiden Ländern bestehen im Falle einer Teilnahme an den EP-Wahlen 2004 die größten Chancen, mit Ländergruppen
die Linksfraktion im Parlament zu stärken. Deshalb sollten die KP Böhmen und Mähren und die AKEL zielgerichtet in Konsultationen
einbezogen werden, um linke Sichten aus der Perspektive von Beitrittsländern in den Diskussionsprozess einfließen zu lassen. Es ist
zu prüfen, ob die Fraktion dafür auch materielle und finanzielle Mittel einsetzt.

4. Auch eine um 12 Staaten erweiterte EU erfasst nicht ganz Europa! Völlig offen ist, wie wir mit den Staaten und linken politischen
Bewegungen auf dem Balkan umgehen wollen. Während Rat und Kommission zumindest die Andeutung einer Strategie haben –
Beitrittszusagen für Slowenien, Bulgarien und Rumänien, Stabilitätspakt etc. -, beschränkt sich das Interesse in der GUE/NGL-Fraktion
bestenfalls auf Kosovo und die Folgen der NATO-Aggression gegen Jugoslawien. Es ist jetzt dringend erforderlich, die künftige
Entwicklung auf dem Balkan als einen komplexen Prozess zu begreifen und zu behandeln … Es wäre zu prüfen, ob diese Probleme auf
de Basis eines Diskussionspapiers Anfang 2002 auf der Anhörung der Fraktion zur Beratung gestellt werden.5. Die EU hat mit Staaten
der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), besonders mit der Ukraine und Russland, Partnerschaftsabkommen geschlossen.
Sie sind mit einem hohen Anspruch formuliert, spielen aber in der Realität eine eher untergeordnete Rolle. In der GUE/ NGL-Fraktion
findet dieser Prozess im wesentlichen keine oder nur geringe Aufmerksamkeit. Eine neue Europäische Union des 21. Jahrhunderts
wird sehr bald gefordert sein, der Entwicklung der GUS-Staaten und den partnerschaftlichen Beziehungen mit ihnen wachsende
Aufmerksamkeit zu schenken. Die EU sieht ihre eigene Entwicklung in Wirtschaft und Währung sowie in der Außen- und
Sicherheitspolitik immer mehr unter geostrategischen Gesichtspunkten gegenüber den USA. Die neue Administration unter George W.
Bush setzt darauf, ihre Supermachtstellung auszubauen. Das wird die Konfliktsituation im Nahen Osten anheizen, mit Russland und
China z. B. im Zusammenhang mit den Plänen für ein Raketenabwehrsystem zu Konfrontationen führen und die EU vor die
Entscheidung stellen, wie weit sie sich dem Kurs der USA beugt und sich wie bei der NATO-Aggression gegen Jugoslawien anschließt
oder stärker eigene Interessen betont. Die Europäische Linke ist in Verbindung mit diesen Prozessen herausgefordert zu prüfen, wie
das Zusammenwirken der linken Kräfte West-, Mittel- und Osteuropas in entscheidenden Fragen europäischer und weltweiter
Entwicklungsprobleme zu gestalten ist … Es sollte geprüft werden, ob ein Auftrag zur Ausarbeitung einer Studie erteilt wird, die
Hauptprobleme dieses Prozesses erfasst. Zugleich ist der Vorschlag zu prüfen, für 2002 ein Treffen der Fraktion mit linken Parteien und
Bewegungen der GUS-Staaten in Kiew oder Moskau durchzuführen.

Eine neue EU-Entwicklungspolitik

1. Die EU hat in den vergangenen Jahrzehnten große finanzielle, materielle und personelle Aufwendungen für Hilfsaktionen in den
Entwicklungsländern eingesetzt. In Hinblick auf die Entwicklungshilfe ist die EU mit Abstand der größte Geldgeber. Mit EU-Geldern sind
Nichtregierungsorganisationen gefördert, die Auswirkungen von Naturkatastrophen bekämpft worden, Infrastrukturmaßnahmen wurden
realisiert, die paritätische Zusammenarbeit mit den asiatisch-pazifisch-karibischen Staaten (AKP-Staaten) entwickelte sich … Als
Hauptziel aller Bemühungen wurde und wird die Bekämpfung der Armut benannt. Dennoch ist die Armut weltweit im letzten Jahrzehnt
gewachsen und hat sich nahezu verdoppelt. Jetzt haben die EU und ihre Mitgliedsländer das Ziel verkündet, bis zum Jahr 2015 die
Armut zu halbieren. Die GUE/NGL hat sich auf Grund der Tatsache, dass mit J. Miranda ein Mitglied der Fraktion den Vorsitz im
Entwicklungsausschuss hat, aktiv in den Nord-Süd-Diskussionsprozess einschalten können. Dabei finden die AKP-Staaten die größte
Aufmerksamkeit, es gibt aber auch verstärkte Bemühungen, Lateinamerika insgesamt mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

2. Die Entwicklungspolitik der EU passt sich immer mehr den Vorgaben von Weltbank, Internationalem Währungsfonds und der
WTO-Direktion an und setzt die neoliberale Marschrichtung in der Entwicklungspolitik um. Die PDS-Gruppe im EP sollte in Kooperation
mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Entwicklungspolitik der EU und der Regierung der BRD einer kritischen Analyse unterziehen.
Zugleich sollten Alternativen aufgezeigt werden, die zu einer effektiven Bekämpfung der Armut führen … Die aus dem
Diskussionsprozess gewonnenen Erkenntnisse sind de Fraktion der GUE / NGL zur Verfügung zu stellen.

Quelle:
„Neues Deutschland“, 24./25. März 2001