Zerplatzter Traum von der Inflationsbremse Euro
Steigende Teuerungsraten und Kursverfall sind Folge der fehlenden politischen Union. Von Sylvia-Yvonne Kaufmann (MdEP) – Leicht gekürzt erschienen in: „Neues Deutschland“, 19. Juni 2001
Nur kurz dauerte die Erholungsphase des Euro. Seit Wochen ist der Kurs der europäischen Gemeinschaftswährung wieder im
Tiefflug, während die Teuerungsraten stark zunehmen. Dass die EU-Geldpolitik ihre eigenen Ziele verfehlt, liegt an der immer noch
fehlenden politischen Union in der EU.
Am 31. Mai notierte der Euro mit 0,8463 US-Dollar auf einem Halbjahrestief -kein Geburtstagsgeschenk für die Europäische
Zentralbank (EZB), deren Gründung sich am 1. Juni zum dritten Mal jährte. Devisenhändler peilen bereits unter 80 Cents an, während
Finanzminister Eichel eine baldige „Annäherung“ von Euro und Dollar voraussagte. Seit seiner Einführung am 1. Januar 1999 verlor der
Euro gegenüber dem Dollar ein Viertel seines Werts. Je näher seine Bargeldeinführung rückt, wird der Euro zum „Teuro“. Er ist nicht,
wie versprochen, stabiler, sondern schwächer als die D-Mark geworden. Nachdem sein Außenwert in den Keller ging, bröckelt mit
anziehender Inflation und geringem Wachstum in der Eurozone nun auch sein innerer Wert, und die Handlungsspielräume der EZB
verringern sich. Jetzt rächt sich seine überstürzte Einführung als „kränkelnde Frühgeburt“, wie Gerhard Schröder noch vor seiner
Kanzlerschaft bemerkte. Hier zu Lande will eine Mehrheit der Bevölkerung nichts vom Euro wissen. Aber auch große internationale
Geldanleger meiden den Euroraum. Allein 2000 flossen über 140 Milliarden Euro aus Euroland in profitträchtigere Regionen, vor allem
in die USA.
Der Dollar ist nicht an allem Schuld
Als der Außenwert des Euro stetig absackte, im Herbst 2000 mit 0,8252 Dollar sein niedrigstes Niveau erreichte und die EZB zu
ungeliebten Interventionen (Stützungskäufen) zwang, sahen Analysten, Banker und Politiker unisono in der boomenden US-Wirtschaft
den Schuldigen. Es handele sich eher um „eine Dollar-Stärke als um eine Euro-Schwäche“. Der Euro spiegele die günstige
Wirtschaftslage im Eurogebiet nicht wieder, jammerte die EZB und pries sein Aufwertungspotenzial, das freilich umso größer wird je
tiefer der Euro fällt. Als dann Ende 2000 die Konjunktur in den USA stockte, ohne dass die Wirtschaft in der Eurozone bereits lahmte,
waren es die Negativwirkungen der amerikanischen „Wachstumsdelle“ auf die Weltwirtschaft, die für den unverdrossen dümpelnden
Euro bis heute verantwortlich gemacht werden. Selbst die Zinssenkung der US-Notenbank Mitte April, infolgedessen die kurzfristigen
Zinsen in den USA erstmals seit Einführung des Euro unter die Zinsen im Euro-Raum fielen, half dem Euro nicht. Auch die
optimistischen Prognosen internationaler Organisationen, die für die Wirtschaft im Euroland 2002 ein größeres Wachstum als für die
USA voraussagen (2,5 zu 1,5 Prozent), bewirkten keinen Kursanstieg, obgleich Wachstumsperspektiven ansonsten als
mitentscheidend für Wechselkurse angesehen werden. Mithin ist der aktuelle Wechselkurs des Euro nicht auf einen starken Dollar,
sondern auf einen schwachen Euro zurückzuführen, ergo hausgemacht.
Und seit Frühjahr 2001 kommt hinzu, dass mit dem rasanten Preisauftrieb – durch höhere Energie- und Lebensmittelpreise verursacht
durch Ölpreissteigerungen, BSE, MKS und eben auch durch die anhaltende außenwirtschaftliche Euro-Schwäche, die alle Importe in
den Euro-Raum verteuert, – nunmehr auch der Innenwert des Euro ins Trudeln geriet. Im Jahresbericht 2000 registrierte die EZB im
Euro-Währungsgebiet bereits einen Anstieg der Erzeugerpreise infolge höherer Einfuhrpreise und damit eine durchschnittliche
Teuerungsrate von 2,3 Prozent (1999: 1,1). Sie gestand ein, dass dies „in erster Linie auf die Entwicklung der Ölpreise und des
Euro-Wechselkurses zurückzuführen“ sei. Im Monatsbericht April 2001 bekräftigte die EZB, dass „der Preisanstieg bei den
Konsumgütern auch die allmähliche Weitergabe der vorausgegangenen Rohstoff- und Ölverteuerung sowie die Abwertung des Euro“
widerspiegele. Mit dem schwachen Euro ist somit nun auch eine Verringerung des Realeinkommens verbunden. Deshalb stehen die
Zeichen vor der neuen Tarifrunde im Wahljahr 2002 auf Sturm, denn die Gewerkschaften werden sich angesichts der
Preissteigerungen nicht wie in diesem Jahr mit Lohnabschlüssen unter drei Prozent begnügen. Und wenn die Wirtschaft dann versucht,
diese Lohnerhöhungen auf die Preise abzuwälzen, wäre die gefürchtete Lohn-Preisspirale in Bewegung gesetzt. Die EZB hatte bereits
im September befürchtet, dass es einen relativ inflationsfreien Wachstumsprozess vorerst nicht mehr geben wird.
Unbestrittene Aufgabe der EZB ist es, für wertstabiles Geld als Funktionsbedingung einer Geldwirtschaft zu sorgen und inflationären
Prozessen rechtzeitig zu begegnen, indem eine drohende Geldentwertung dadurch gestoppt wird, dass sich für Geschäftsbanken die
Refinanzierung verteuert. Inflationsgefahren im Euroraum waren neben dem Außenwertverlust ein Grund dafür, dass die EZB bis
Oktober 2000 die Leitzinsen siebenmal um zusammen 2,25 Prozentpunkte erhöhte. Die EZB reagierte ferner darauf, dass die über dem
Referenzziel liegende Zuwachsrate der Geldmenge M3 mit ihrem Stabilitätsziel des knappen Geldes nicht zu vereinbaren war.
Außerdem sollte durch die Zinserhöhung die Zinslücke zwischen der Eurozone und den USA verringert werden, um mehr Kapital zum
Verbleib in Europa zu locken.
Zerplatzt ist der Traum von einem Euro, der – wie EU-Währungskommissar Pedro Solbes meinte – als „Inflationsbremse“ wirke, weil
durch besseren Preisvergleich automatisch Wettbewerb gefördert und so Preise gedrückt würden. Mit einer Inflationsrate von
gegenwärtig 3,5 Prozent in Deutschland – die Teuerung erreichte damit ein Sieben-Jahres-Hoch, vier Prozent in Spanien, etwa fünf
Prozent in den Niederlanden und in Irland wurde die Schallmauer von zwei Prozent deutlich überschritten. Politik, Wirtschaft und Banken
hatten tagaus, tagein die exportfördernde Wirkung eines billigen Euro als Konjunkturspritze und Wachstumsfaktor beschworen, aber die
damit einhergehende Gefahr der importierten Inflation kleingeredet, ganz abgesehen davon, dass der anhaltende Kursverfall des Euro –
quasi als Nebeneffekt – den Kapitalabfluss aus Europa begünstigt. Geldwertstabilität in Euroland und Kursstabilität des Euro nach
außen lassen sich eben doch nicht voneinander trennen.
Und der nächste große Preisauftrieb steht spätestens dann ins Haus, wenn Wirtschaft und Handel die Euro-Bargeldeinführung im
Kleinen wie im Großen für ein verstecktes Aufrunden der Preise nach oben nutzen. Denn die Selbstverpflichtung des Handels zur
Transparenz (doppelte Preisauszeichnung) war laut Verbraucherzentrale nie auch eine Verpflichtung zur Preisstabilität. Die Kosten der
Euro-Bargeldeinführung in Deutschland werden auf 60 Milliarden D-Mark geschätzt, wovon allein der Handel bis zu zehn Milliarden zu
tragen hat. Da sie steuermindernd geltend gemacht werden können, trägt der Steuerzahler einen Teil davon. Allein das Aufrunden
krummer Euro-Beträge, so eine Studie der Hypo Vereinsbank, könnte die Inflationsrate in Euroland um ein bis eineinhalb Prozent nach
oben treiben. „Wir wissen um die Gefahr“, gestand EZB-Präsident Wim Duisenberg jüngst vor dem Wirtschafts- und
Währungsausschuss des Europaparlaments ein.
Als der Euro 1999 startete, waren die Unterschiede zwischen den Volkswirtschaften, den Steuer- und Sozialsystemen der
EU-Mitgliedstaaten noch immer gravierend, obwohl ein einheitlicher Währungsraum weitgehend Konvergenz erfordert hätte. Dies
deshalb, weil die fortan bei der EZB liegende Verantwortung für die gemeinsame Geldpolitik nicht mehr auf nationale, regionale bzw.
strukturelle Erfordernisse der einzelnen Wirtschaften und Sozialsysteme zu reagieren vermag. Eine dementsprechende Differenzierung
ist in einem einheitlichen Währungsgebiet und einem Markt mit voller Freizügigkeit für Güter und Dienstleistungen eben auch für Geld
und Kapital nicht länger möglich. Da 1999 monetäre Konvergenz infolge Respektierung der Maastrichter Schuldenkriterien gegeben sei,
werde der Euro auch die realwirtschaftliche Annäherung der Volkswirtschaften erzwingen, war damals die simple Antwort der Politik.
Keine Konvergenz in der Eurozone
Doch diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Ein Blick sowohl auf die divergierenden Fundamentaldaten der beiden größten
EU-Volkswirtschaften in Deutschland und Frankreich wie auf die für 2001 vorliegenden Wachstums- und Inflationsdaten aller
Euro-Mitgliedstaaten zeigt dies. Während die irische Wirtschaft zum Beispiel um 6,5 Prozent wächst, kommt die deutsche als
EU-Schlusslicht vielleicht auf 1,6, und in den Niederlanden wird mit einer Inflation von 4,4, in Frankreich aber nur mit 1,7 Prozent
gerechnet. Zum Vergleich: 1997, dem Jahr des Konvergenztests anhand der Maastricht-Kriterien, lag die Spreizung der Inflationsraten
lediglich bei 0,7 Prozent.
Doch dieser auseinander driftenden Entwicklung, die unter anderem Folge der unterschiedlichen nationalen Wirtschafts- und
Finanzpolitiken ist, kann nicht mehr durch eine differenzierte, in nationaler Verantwortung liegende Geld- und Zinspolitik begegnet
werden. Das heißt, die sich eher vergrößernden Inflations- und Wachstumsunterschiede zwischen den einzelnen Euro-Ländern sind
gefährlich, weil die auf monetäre Stabilität abzielende Geldpolitik der EZB mit einheitlichen Zinsen dann für einige Euro-Staaten zu
restriktiv und für andere zu expansiv wirkt. Dieser Konflikt kann durchaus zum Sprengsatz für die Währungsunion werden, wie die
unterschiedlichen Wirkungen der EZB-Zinsentscheidungen im Hinblick auf Deutschland, Irland oder Spanien zeigen.
Am 10. Mai entschied die EZB, alle drei Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte trotz wachsender Inflation auf 4,5 Basispunkte zu senken.
Begründet wurde dies mit „Anpassung des Zinsniveaus an einen etwas geringeren Inflationsdruck“. Außerdem liege das korrigierte
Geldmengenwachstum M 3 vorgeblich unter dem Referenzwert von 4,5 Prozent. Die Abschwächung des realen BIP-Wachstums in
Euroland werde den Preisauftrieb dämpfen. Überzeugend war diese Begründung nicht, weil der Preisauftrieb noch nicht gestoppt war
und die Entwicklung der Ölpreise ohnehin schwer prognostizierbar ist. Offensichtlich beugte sich die EZB politischem Druck. Sie
entschloss sich zu diesem Schritt, um dem deutlich rückläufigen Konjunkturverlauf in Deutschland, der mittlerweile eine bremsende
Wirkung auf das europäische Wachstum ausübt, entgegenzuwirken. Die EZB legt ihren Entscheidungen Durchschnittswerte zugrunde,
weshalb große Länder wie die Bundesrepublik, die etwa 30 Prozent der Leistungskraft in der EU stellt, die Nase vorn haben, die
Interessen kleinerer aber auf der Strecke bleiben. So erhielt Irland als erstes Land der Währungsunion im Februar wegen seiner hohen
Inflationsrate einen „blauen Brief“ der Euro-Finanzminister. Unter Bezugnahme auf den so genannten Stabilitäts- und Wachstumspakt
zu Schuldenabbau und Haushaltsdefizit monieren sie darin Irlands prozyklische Finanzpolitik (Steuersenkungen bei gleichzeitigen
Ausgabensteigerungen), die, wie sich heute zeigt, entgegen den Erwartungen der EU-Kommission die Inflation nicht weiter anheizte,
sondern dämpfte, ohne das Wirtschaftswachstum zu beeinträchtigen. Gefangen in den monetären Fallstricken des Stabilitätspakts
forderten die Finanzminister Stabilität durch Sparen und Steuererhöhungen ein. Damit setzten sie auf Stagnation – statt auf Stabilität
durch Wachstum.
Geflissentlich übersehen wurde, dass sich Irland im Hinblick auf die Maastrichter Schuldenkriterien als Musterschüler verhält, und die
hohe Inflationsrate nicht primär Folge der irischen Politik, sondern der für Irland zu niedrigen EZB-Zinsvorgaben sowie der
Euro-Schwäche ist. Die Niederlanden, deren Inflationsrate die irische inzwischen eingeholt hat, kamen offensichtlich wegen ihrer
„Nähe“ zu Brüssel ohne offizielle Rüge davon, während die Finanzminister Portugal aufgrund nicht ausreichend angesehener
Budgetkonsolidierung als zweites Euro-Mitglied im März ebenfalls abmahnten. Portugals Stabilitätsprogramm und die Reformierung
der Sozialgesetzgebung seien unzureichend; es werde zuviel konsumiert und zuwenig investiert.
Von Interesse wird das künftige Verhalten der EU-Kommission gegenüber den großen Ländern Spanien und Italien sein. Spanien
verzeichnet seit 1995 seine höchste Inflationsrate und spart bei anhaltendem Wirtschaftswachstum zu wenig. Auch gegenüber Madrid
ist die EZB-Zinspolitik objektiv zu lasch und heizt die Wirtschaft über Gebühr an. Italien wird in diesem Jahr die Schuldenmesslatte mit
einem Etatdefizit verfehlen, das wesentlich größer als geplant ist.
Im Euro-Währungsraum müsste es entweder eine gemeinsame Wirtschaftsregierung geben, die für die zur EZB-Geldpolitik passende
Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik sorgt, oder alle Euro-Mitglieder halten sich an gemeinsame Regeln, die eine gleichgerichtete
Politik sicherstellen. Beides ist aber nicht der Fall und daher ein Problem für das Funktionieren der Währungsunion. Von daher ist es
unverständlich, dass die französischen Vorstöße zur Etablierung einer europäischen „Wirtschaftsregierung“ als Gegengewicht zur
allmächtigen EZB keine Beachtung finden. Es kann doch wohl nicht sein, dass die Euro-Staaten – wie ihre chaotische Reaktion auf den
Ölpreisanstieg mit den Mineralölsteuern offenbarte – nicht einmal über eine funktionierende gemeinsame Energie- und Ölpolitik
verfügen, obwohl doch (leider) fast alles vom Öl abhängt. Zu groß sind eben die Widersprüche zwischen neoliberaler geldpolitischer
Ratio der EZB und den konkreten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen und Zwängen von Regierungen und
Parlamenten der Euro-Mitglieder. Hinzu kommt der wachsende Druck auf die EZB, nicht nur auf die innere Geldwertstabilität des Euro zu
achten, sondern wie die US-Notenbank gleichrangig auch Wachstums- und Beschäftigungsziele zu verfolgen, obwohl dies laut Statut
nicht ihre Aufgabe ist.
Es bestätigt sich heute, dass es eben ein gravierender Fehler war, nicht einmal versucht zu haben, parallel zur Währungsunion, die
Wirtschaftsunion verdient bislang ohnehin ihren Namen nicht, auch die politische Union voranzutreiben. So zielen die Forderungen der
Euro-Finanzminister nach einem stärkeren Dialog zwischen Politik und Zentralbank im Grunde ebenso ins Leere wie das Bemühen,
ihre Euro-Zwölf-Gruppe, ein Gremium, das im politischen Konsens handelt und im Unterschied zum Finanzministerrat keine förmlichen
Entscheidungen fällt, dahingehend aufzuwerten, dass wichtige wirtschaftspolitische Maßnahmen auf nationaler Ebene erst nach
Vorabsprache in der Euro-Gruppe in Gang gesetzt werden dürfen. Auch die Ernennung eines „Mister Euro“, der die Interessen der
Währungsunion gegenüber der Finanzwelt zu vertreten hätte, scheiterte vorerst.
Folgenlose Predigten der EU-Kommission
Nicht anders erging es EU-Kommissionspräsident Romano Prodi Mitte November, als er die Regierungen der Euro-Mitgliedstaaten
dazu aufrief, mit einer Stimme zu sprechen, um dem Euro mehr Gewicht zu verleihen. Er benötige eine stärkere Verzahnung der
Wirtschafts- und Haushaltspolitiken in Euroland, betont Währungskommissar Solbes bei jeder sich bietenden Gelegenheit nahezu
folgenlos.
Verheerend war auch das Signal des Nizza-Gipfels der EU-Staats- und Regierungschefs vom Dezember in Richtung Finanzmärkte und
Investoren. Überdeutlich wurde, dass dem Euro nach wie vor das politische Fundament fehlt, um eine dem Dollar ebenbürtige
Weltwährung zu werden. Dass in Nizza nicht die vertiefte Integration, sondern rückwärtsgewandt intergouvernementaler Streit im
Mittelpunkt stand, musste dem Euro ganz einfach schaden. Auch der Sondergipfel im März in Stockholm vermochte es nicht, dem Euro
Auftrieb zu verleihen. So wurden die Energiemarktöffnung und der einheitliche Luftraum vertagt. Die Post-Liberalisierung blieb weiterhin
offen. Beschlossen wurde lediglich ein einheitlicher EU-Finanzmarkt bis 2003.
Die Bevölkerung in den Eurostaaten muss wissen, dass der Euro als supranationale Währung eben so konzipiert ist, dass er sich nur
dann optimal entfalten kann, wenn (neben ständiger Produktivitätssteigerung) die erforderlichen neoliberalen Wirkungsbedingungen
geschaffen werden, die allerdings den Sozialstaat mehr denn je aushöhlen. „Eine Wohlstandgarantie für alle“, so dazu kürzlich
Ex-Bundesbankpräsident Tietmeyer, „gibt es nicht“. Das heißt, das neoliberale Währungsmodell funktioniert eben nur dann, wenn die
sozialen Sicherungssysteme weiter drastisch abgebaut und die Arbeitsmärkte zügiger flexibilisiert werden. Mit dem
eigenkapitalgestützten Rentensystem und der Steuerreform wurden in der Bundesrepublik erste Schritte in diese Richtung
unternommen. In Griechenland wird versucht, unter anderem das Rentenalter zu erhöhen, was dort auf massive Proteste der
Bevölkerung stößt.
Dies zeigt, dass sich hinter der Euro-Schwäche nicht nur wirtschaftspolitisches Versagen verbirgt. Der Kurs des Euro und die weitere
Konjunkturentwicklung werden künftig entscheidend durch die Erwartungen der Großunternehmen und Konzerne sowie von Investoren
und Anlegern in die neoliberale Reformfähigkeit von Euroland bestimmt. Danach müssten vor allem in Deutschland, Frankreich und
Italien die Arbeits- und Gütermärkte weiter flexibilisiert, Sozialhilfe und Arbeitsmarktpolitik verknüpft, das Einstellungsrisiko der Betriebe
verringert, die Sozialversicherungssysteme durch noch mehr Eigenverantwortung „modernisiert“ und weitergehende Steuersenkungen
durchgeführt werden. Das bedeutet, dass es eine auf monetäre Stabilität gerichtete europäische Geldpolitik und gleichzeitig mit ihr
konkurrierende nationale Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitiken auf Dauer nicht geben kann.