Zum Seminar von palästinensischen Abgeordneten und Europaabgeordneten am 27. und 28. Oktober 2001 in Gaza

Bericht der PDS-Europaabgeordneten Feleknas Uca

Auf Einladung des Palästinensischen Rates für Auswärtige Beziehungen und der Europäischen Kommission fand am 27. und 28.
Oktober 2001 ein Seminar in Gaza statt. Elf Mitglieder des Europäischen Parlament aus verschiedenen Fraktionen folgten dieser
Einladung, um in einem zwei tägigem Seminar über die EU-Mittelmeer-Partnerschaft und die Situation in den palästinensischen
Autonomiegebieten nach den Angriffen auf New York und Washington zu beraten.
Von der Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken (GUE) nahmen Frau Luisa Morgantini, Frau Roseline Vachetta und ich teil. Die
Sozialdemokraten waren durch Herrn Bruno Trentin, Frau Veronique de Keyser und Frau Olga Zrihen, die Europäische Volkspartei war
durch Jose Pacheco Pareira vertreten. Ulla Sandbaeck, Florence Kuntz und Paul Couteaux gehören der EDD Fraktion an. Frau Alima
Boumediene nahm als einzige Vertreterin der Grünen an dem Seminar teil. Der ehemalige italienische Ministerpräsident Massimo D´
Alema hat mit einer Delegation am Seminar teilgenommen. Auch Botschafter aus verschiedenen Ländern haben das Seminar besucht.

Samstag 27. Oktober 2001

Das Seminar begann am 27. Oktober mit einleitenden Worten der beiden Organisatoren. Dr. Ziad Abu-amr vom Palästinensischen Rat
für Auswärtige Beziehungen (PLC) dankte zunächst den Teilnehmern für Ihr Kommen. Als Vertreter der EU-Kommission in West Bank
und Gaza Streifen betonte Jean Breteche die Bedeutung des Seminars und die Absicht der Kommission, die
EU-Mittelmeer-Partnerschaft in den Palästinensischen Gebieten zu verstärken.
Danach schilderte Ahmed Qurie, der Sprecher des Palästinensischen Legislativrates (PLC) in seiner Eröffnungsrede die Entwicklung
des Konflikts in den Palästinensischen Gebieten seit Beginn der sog. Al-Aqsa-Intifada und nach den Anschlägen gegen die Vereinigten
Staaten. Dazu sagte er: „Wir erleben einen entscheidenden historischen Moment, in dem die Möglichkeiten, der Weg und die Zeit
begrenzt sind. Entweder werden sich Vernunft, Weisheit, Mäßigung und friedliche Koexistenz durchsetzen oder die Kräfte einer
fundamentalen, archaischen und veralterten Ideologie werden uns in einen Zustand zurückwerfen, in dem der Hass regiert. Dann
würden wir im Nahen Osten in einen Teufelskreis von Krieg und Gewalt kommen. Das eigentliche Problem, das die Krise noch
verschlimmern wird, ist die Mentalität und die Arroganz der Besatzungsmacht. Die israelische Regierung betrachtet die momentanen
Ereignisse und Entwicklungen nur aus einer Perspektive: unter dem Blickwinkel von Unterdrückung, Aggression und Zerstörung – alles
um die Besatzung des palästinensischen Volkes und Landes zu verfestigen.“ Durch gezielte Anschläge und Militäraktionen sind in
einem Jahr mehr als 780 Menschen gestorben und mehr als 30.000 Menschen verletzt worden. Der Sprecher der PLC warf der
israelischen Regierung vor, durch die neuerliche Besatzungspolitik den Friedensprozess zu gefährden. Israel nutze die weltweite Angst
vor dem Terrorismus nach den Anschlägen in New York und die Ermordung des Israelischen Ministers Rehavem Ze` evi dazu aus,
einen neuen Feldzug gegen die Palästinenser zu starten.

Um uns ein Bild von der sozialen Realität der Menschen vor Ort zu machen, nahmen wir dann an einer mehrstündigen Führung durch
den Gazastreifen teil. Dies hat mich sehr berührt und betroffen. Während unseres Aufenthalts hat die israelische Armee am 27. Oktober
2001 einen Anschlag auf die zweitgrößte Stadt im Gazastreifen Khan Yunis verübt.

In der Mitte des Gaza Streifens gibt es mehr als 180.000 registrierte Flüchtlinge. Die Wohnhäuser sind total zerstört und durch Schüsse
durchlöchert. Die Strassen sind furchtbar schmutzig und Müllberge dominieren die Ortsbilder. Die Kinder betteln auf der Strasse um
Geld. Überall im Gazastreifen, wo die Israelis Kontrollen durchführen, müssen die Palästinenser lange warten und nur die Israelis
können problemlos durchfahren. Bei den Checkpoints dürfen nur abgezählte Autos durchfahren. Die übrigen Autofahrer müssen sehr
lange warten, bis sie an der Reihe sind. Seit dem 6. September 2000 dürfen sich die Menschen in Palästina nicht frei bewegen. Das
Parlament kann nicht tagen, da sich die Abgeordneten aus Westbank und aus Gaza nicht treffen können aufgrund der Einschränkung
der Bewegungsfreiheit. Durch die Einschränkung der Bewegungsfreiheit wurden viele Familien auseinandergerissen, da die Menschen
die Städte nicht verlassen dürfen, um ihre Angehörigen in einer anderen Stadt zu besuchen.
Die Israelische Armee hat die Palästinensischen Städte teilweise oder ganz besetzt. Die Armee führt systematische Tötungen,
Anschläge, Zerstörung von Gebäuden, entwurzelt fruchttragende Bäume mit Armeebaggern und zerstört fruchtbares Land. Dieses
Vorgehen provoziert Gegengewalt auf der palästinensischen Seite. Radikale palästinensische Befreiungsorganisationen führen gezielt
Selbstmordanschläge durch. Ich kritisiere dies, denn dadurch wird der Kreislauf der Gewalt nicht unterbrochen.

Während unserer Führung hatten wir auch Kontakt mit den Menschen auf der Strasse. Wir haben Mütter und Kinder in die Arme
genommen, um sie zu trösten und unsere Solidarität auszusprechen. Die Menschen sagten uns, dass sie nachts nicht mehr schlafen
können aus Angst vor erneuten Anschlägen. Sie leben in ständiger Angst um das Leben ihrer Angehörigen, engsten Freunden und
Bekannten. Immer wieder wurde uns gesagt, dass es in Palästina ein Generationenproblem gibt. Familienangehörige nehmen Rache,
wenn ein Familienmitglied umgebracht wurde. Dadurch steigert sich der Hass und die Kette der Gewalt kann nicht abgerissen werden.
Die Menschen sagten, dass sie von Europa sehr enttäuscht sind. Frankreich, Großbritannien und die USA unterstützen die Israelis im
Kampf gegen die Palästinenser.

Am Abend hatten wir die Gelegenheit und die Ehre, den Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde, Herrn Yasser Arafat zu treffen.
Diese Begegnung hat mich sehr berührt.

Sonntag, 28. Oktober 2001

Am nächsten Tag fand zunächst ein Erfahrungsaustausch zwischen den Europaabgeordneten und den Vertretern des
Palästinensischen Legislativrates (PCFR), dem Parlament von Palästina, statt. Die palästinensischen Abgeordneten waren besonders
an unserer täglichen Arbeit im Europäischen Parlament interessiert. Nachdem am 20. Januar 1996 die ersten freien Parlaments- und
Präsidentschaftswahlen stattfanden, befinden sich die legislativen Strukturen in Palästina noch im Aufbauprozess. Die
palästinensischen Abgeordneten sind mit der Bitte an uns getreten, damit wir mit unseren Erfahrungsschatz den palästinensischen
Kollegen helfen, unabhängige politische und wirtschaftliche Strukturen zu schaffen, die für die Gründung eines eigenen und
unabhängigen Staats Palästina unerlässlich sind. Wir haben den palästinensischen Abgeordneten unsere volle Unterstützung bei ihrer
Arbeit und im Friedensprozess zugesagt.

Auf dem Seminar wurde auch die EU-Mittelmeer-Partnerschaft im Hinblick auf politische, ökonomische, soziale und humanitäre
Aspekte erörtert. Diese Partnerschaft ist ein Forum der Zusammenarbeit der EU mit 12 Staaten aus dem Mittelmeerraum,
einschliesslich der Palästinensischen Autonomiegebiete. Ziel der EU ist es, durch die Bemühungen um eine euro-mediterrane
Partnerschaft, alle Länder des Mittelmeerraumes in ein umfassendes Projekt für Frieden, Stabilität und Wohlstand einzubinden. Die
Unterstützung im Friedensprozess ist besonders wichtig, denn ich habe bei meiner Reise den Eindruck gewonnen, dass sich die
Menschen nach Frieden und Freiheit sehnen.

Diese Hoffnungen werden, wenn man sich die derzeitige Lage anschaut, getäuscht. In den letzten Tagen gab es Gewaltanschläge im
Westjordanland und im Gazastreifen. Israelische Soldaten nahmen Palästinenser fest und verletzten einen durch Schüsse. Bei den
Ausschreitungen kamen sogar Kinder ums Leben, darunter wurden ein drei- und neunjähriges Kind erschossen.

Ich hoffe, dass die Gewalt in Palästina ein Ende findet. Ich hoffe, dass die Menschen in Frieden und Freiheit leben können. Ich hoffe,
dass sich die Palästinenser und die Israelis die Hände zum Frieden reichen.