Kolumne ‚Brüsseler Spitzen‘

André Brie, Kolumne für ND vom 14.12.2001

Der EU-Gipfel von Laeken hat sich eine umfangreiche Agenda gesetzt. Neben Themen wie Wirtschaft, Beschäftigung und Erweiterung sowie der Einberufung eines Konvents zur Reform der Gemeinschaft stehen dabei auch Entscheidungen auf der Tagesordnung, die die weitere Entwicklung in Europa – und in der Welt – nachhaltig beeinflussen werden. Dazu gehört vor allem die Weichenstellung in Richtung weiterer Militarisierung der Europäischen Union. Laut Gipfelplanung sollen in Laeken die endgültigen Beschlüsse über die Einsatzfähigkeit der EU-Eingreiftruppe und deren Finanzierung fallen. Die entsprechenden Dokumente dazu wurden bereits Mitte November vom Rat der Verteidigungsminister hinter verschlossenen Türen ausgearbeitet.

Bereits der Amsterdamer Vertrag von 1997 sah vor, Möglichkeiten für ein autonomes militärisches Handeln der EU-Staaten – gegebenenfalls auch unter Verletzung der UNO-Charta – zu schaffen, dafür auf die WEU (Westeuropäische Union) zurückzugreifen und diese schrittweise in die EU zu integrieren. Zum Ende der neunziger Jahre hin wurde der Aufbau einer „europäischen Armee“ und militärischer Strukturen beschleunigt. Offenbar hatte der NATO-Krieg gegen Jugoslawien die militärischen Ambitionen der europäischen Großmächte noch verstärkt. Auf den Gipfeltreffen von Köln (Juni 1999), Helsinki (Dezember 1999) und Nizza (Dezember 2000) wurden die Vereinbarungen getroffen, Einrichtungen wie ein Lage- und Krisenzentrum sowie ein Ständiges Sicherheitspolitisches Komitee aufzubauen und eine Interventionstruppe in Stärke von 60.000 Mann aufzustellen. Diese Einheiten sollen über die militärischen Fähigkeiten verfügen, international, auch außereuropäisch, in Konflikten „friedenserhaltend“ und „friedenerzwingend“, zusätzlich und mehr oder minder unabhängig von der NATO einzugreifen. Spätestens im Jahr 2003 soll die Truppe stehen und dann im „Ernstfall“ innerhalb von 60 Tagen verlegt werden können. Da mit einer Ablösung der Truppen im Halbjahresrhythmus gerechnet und sich etwa ein Drittel der gesamten Streitmacht jeweils in der Ausbildung befinden wird, werden jedoch nicht nur 60.000 Mann, sondern insgesamt 180 000 bis 200 000 Soldaten benötigt.

Die Terroranschläge vom 11. September in den USA boten nun offensichtlich einen weiteren willkommenen Anlass, das Tempo beim Aufbau der europäischen Interventionstruppe nochmals zu erhöhen. Auf ihrem Gipfel Mitte Oktober im belgischen Gent, der sich vor allem mit Strategien gegen den internationalen Terrorismus beschäftigen sollte, stand der militärische Aspekt im Mittelpunkt. Ausdrücklich wurde gefordert, die europäische Eingreiftruppe schnell aufzubauen – obgleich dies in keinem Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung steht. Besonders bedenklich stimmt dabei, dass sich die EU – trotz ihrer vollmundig verkündeten militärischen Abnabelung von den USA – bedingungslos dem von Washington betriebenen Militärkurs in der internationalen Arena unterordnete. Die Rolle eines politischen Akteurs und Vermittlers in Krisensituationen, für die die EU mit ihrem Einfluss und Gewicht prädestiniert ist, wurde damit bewußt aufgegeben. Es ist bezeichnend, dass es auf dem ersten Ministertreffen zwischen EU und NATO vor wenigen Tagen nicht um Kooperation, sondernd allein um einen Rückgriff der Europäer auf Kapazitäten der Allianz ging.

Ohnehin gerät die sogar mit einem eigenen Hohen Repräsentanten ausgestattete Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU immer weiter auf ein Nebengleis. Auswärtige Politik scheint derzeit nur auf die (allerdings sehr wichtigen) Fragen der EU-Erweiterung beschränkt. Die Beispiele Afghanistan und Nahost zeigen die Konzeptionslosigkeit der Gemeinschaft in internationalen Fragen: Während man im ersten Fall politische Diktion und Handlungsmuster von den USA übernahm, belässt man es im zweiten im wesentlichen bei Erklärungen. Das aktive Handeln will die EU wohl den Militärs überlassen.