Brücke der Linken über den Atlantik, Europaabgeordnete und Vertreter des Sao-Paulo-Forums erörterten Zusammenarbeit

Gerd Gabriel

Artikel von Gerd Gabriel, Brüssel

Zu einem »Uhrenvergleich« trafen sich dieser Tage in Brüssel Vertreter des Forums von São Paulo mit Mitgliedern der Fraktion der Vereinten Europäischen Linken / Nordischen Grünen Linken (GUE /NGL) im Europäischen Parlament.
Es war, zeitlich und räumlich, ein langer Weg von São Paulo, der Wiege des Forums von über 100 linken Parteien Latein- und Zentralamerikas, bis nach Brüssel, dem Sitz des Europäischen Parlaments. Bereits Mitte der 90er Jahre war die Idee einer Verständigung zwischen den progressiven politischen Kräften dies- und jenseits des Atlantiks geboren worden, doch es brauchte fünf Jahre, bis das erste Treffen zustande kam. Insofern verdient es das Attribut »historisch«. Francis Wurtz, Vorsitzender der Fraktion der GUE/NGL, würdigte in diesem Zusammenhang insbesondere die beharrlichen Bemühungen von Hans Modrow von der Abgeordnetengruppe der PDS.

Eine bessere Welt…

Vor elf Jahren in der intensiven Auseinandersetzung über das Schicksal der Linken nach dem Fall des europäischen Sozialismus entstanden, ist das Forum mittlerweile eine pluralistische, offene und freie Instanz, die zur Ausarbeitung von alternativen Lösungen zu den konservativen und neolib! eralen Modellen beitragen will. Wie Sprecher aus Brasilien, Kuba und Mexiko erläuterten, versteht sich das Forum nicht als eine Art Dachorganisation oder neue Internationale, sondern als Raum für den Austausch von Erfahrungen und für solidarisches Handeln.

Einig war man sich mit den Europaparlamentariern darin, dass solidarisches Handeln angesichts der rasch fortschreitenden Globalisierung für die Linken in Lateinamerika wie in Europa ein kategorischer Imperativ ist. Anne Maria Stuart von der Arbeiterpartei Brasiliens, zuständig im Forum für internationale Beziehungen, brachte es auf den Nenner: »Lokal, regional handeln, international denken.« Sie verwies auf die Botschaft, die vom Weltsozialforum in Porto Alegre ausgegangen ist: Eine andere, bessere Welt ist möglich. Für die Linken dürfe der Kampf um die politische Macht nicht zum Selbstzweck werden, vielmehr gehe es darum, stärker in den mannigfaltigen sozialen Bewegungen Fuß zu fassen und sich an den Aktivitäten zu bete! iligen. Juan Jose Garcia von der mexikanischen Partei der Demokratischen Revolution (PRD) griff diesen Gedanken auf. Nach über zehn Jahren intensiver Diskussion stelle sich für die Parteien die Frage, wie und womit sie sich in die sozialen Bewegungen einbringen können, ohne diese dominieren zu wollen. In Porto Alegre seien Kräfte vertreten gewesen, deren Ambitionen sich in den politischen Parteien nicht wiederfinden. Eine Partei, warnte er, kann auf die Dauer nicht erfolgreich sein, wenn sie sich von ihren sozialen Wurzeln entfernt. Es sei nicht produktiv, einen Gegensatz zwischen Porto Alegre und São Paulo zu konstruieren, beides gehöre zusammen und stehe in produktiver Wechselbeziehung.

Leonel Bucaro von der Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) aus El Salvador schilderte die Situation in seinem Land und betonte, dass die Lage in vielerlei Hinsicht dramatischer sei als zur Zeit des Bürgerkrieges. Dennoch fänden die Probleme Lateinamerikas heute weit weniger Aufmerks! amkeit als zu Zeiten der Blockkonkurrenz. Auch von der internationalen Solidarität sei nur noch wenig zu spüren. Er plädierte für ein internationales Netzwerk, das die unterentwickelten Ländern beim Kampf gegen die Armut unterstützt.

Carlos Flanagan von der Frente Amplio in Uruguay wertete das Treffen als einen qualitativen Fortschritt, doch nunmehr müsse es um Kontinuität und um die Arbeit an konkreten Projekten gehen. Roberto Regalado von der KP Kubas, die im Dezember Gastgeberin des zehnten Treffens des São-Paulo-Forums sein wird, äußerte die Erwartung, dass in Havanna Werte und Inhalte, Struktur und Funktionsweise des Forums einer gründlichen Diskussion unterzogen und strategische Perspektiven entwickelt werden.

…auf beiden Kontinenten

In seinen Schlussbemerkungen skizzierte Hans Modrow eine Reihe von gemeinsam interessierenden Schwerpunktthemen und Aufgabenfeldern – von der Armutsbekämpfung bis zum Kampf gegen die Militarisierung der! Außenpolitik. Er wertete das zweitägige Treffen als einen Mut machenden Brückenschlag zwischen den Linken auf zwei Kontinenten. Der PDS-Politiker regte an, auf dem Treffen in Havanna die Möglichkeit zu prüfen, Mitte 2002 in einer ersten gemeinsamen Veranstaltung Fragen der Programmatik linkssozialistischer und kommunistischer Parteien unter den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu diskutieren.

(ND 16.07.01)