EU-Erweiterung nach dem ‚Erlkönig-Prinzip‘
Anmerkungen zu den Antworten des zuständigen Kommissars auf eine schriftliche Anfrage / Von Hans M o d r o w, Mitglied des Europaparlaments
In der Europäischen Kommission in Brüssel dürfe in diesen Tagen die Maschinerie auf Hochtouren laufen: An den sogenannten Fortschrittsberichten, in denen halbjährlich der Stand der Vorbereitungen der einzelnen Kandidatenländer auf den Beitritt zur EU bewertet wird, wird letzte Hand angelegt, im November werden sie dem Parlament und den jeweiligen Parlamentarierkommissionen für den Beitritt vorliegen. Diese Kommissionen setzen sich paritätisch aus Vertretern des EP und der nationalen Parlamente zusammen; von Seiten der Fraktion der Vereinten Europäischen Linken / Nordische Grüne Linke (GUE / NGL) gehöre ich der gemischten Delegation für den Beitritt der Tschechischen Republik als 1. Vizevorsitzender der EP-Seite an. Sobald die Berichte vorliegen, wird sich die Delegation zur Beratung in Brüssel treffen, nachdem wir im Frühjahr in Prag zusammengekommen waren.
Die „Fortschrittsberichte“ – auf der Kommissionsseite auch über Internet abrufbar – umfassen in der Regel um die 100 Seiten. Doch so umfangreich und akribisch sie sind, so wenig fundamental Neues enthalten sie, wenn man sie miteinander vergleicht. Man hat eher den Eindruck, dass hinter der ermündenden Aufzählung von Einzelheiten die Absicht steckt, die eigentlichen Probleme, die sich mit dem Beitritt sowohl für die EU-15 als auch die künftigen Mitgliedsländer aus Ost- und Mitteleuropa ergeben, zu verschleiern oder schön zu reden. Man redet zwar fortwährend über Transparenz, doch übt sie in der Praxis nicht oder nur selten. Da diese Berichte – das wird auch für den kommenden gelten – nur bedingt aussagekräftig sind, ich andererseits auf Versammlungen und Foren immer wieder mit Fragen hinsichtlich der Erweiterung konfrontiert werde, habe ich mich Anfang Juli, unmittelbar vor den Parlamentsferien, mit einer schriftlichen Anfrage an den für die Erweiterung zuständigen Kommissar Günter Verheugen gewandt. Das geschah, bevor die Kommission Ende Juli mit ihrem Förderprogramm für die Grenzregionen an die Öffentlichkeit trat, das landauf, landab und quer durch alle Parteien Enttäuschung und Unverständnis hervorrief.
Auf meine Fragen erhielt ich, ebenfalls schriftlich, am 2. Oktober „Antwort von Herrn Verheugen im Namen der Kommission“. Ich kenne Verheugen aus meiner Tätigkeit im Bundestag und schätze durchaus sein Engagement als „Erweiterungskommissar“, wenngleich ich seine Sichtweise und sein Herangehen in vielen Punkten nicht teilen kann.
Damit sich die Leserinnen und Leser selbst ein Bild von der Strategie der Kommission und ihrer Art der Problembewältigung machen können, werden im Folgenden die Antworten auf die Fragen ausführlich wiedergegeben und wo nötig mit einigen Anmerkungen versehen.
E r s t e n s hatte ich gefragt, wie im Sinne eines partnerschaftlichen Verhältnisses zwischen den Mitglieds- und den Beitrittstaaten die Entwicklung der Euroregionen (größere Gebiete zwischen zwei oder drei Ländern) gestaltet werden soll und ob die Kommission dazu ein spezielles Förderprogramm auflegen wird.
Antwort: „Die Initiative zur Schaffung von Euroregionen geht ausschließlich von den jeweiligen Partnern aus. Die Kommission beabsichtigt nicht, ein spezielles Förderprogramm zur organisatorischen Unterstützung von Euroregionen einzurichten. Euroregionen,, die an die Beitrittsländer der Union angrenzende Gebiete der Union umfassen, sind jedoch bereits jetzt aktiv an der Umsetzung der Programme für grenzübergreifende Zusammenarbeit beteiligt, die von der Gemeinschaft über Interreg und PHARE-CBC finanziell unterstützt werden ….Außerdem billigte die Kommission am 21. Juli 2001 eine Aktion mit spezifischen Maßnahmen zur Intensivierung der Gemeinschaftsinitiative für die Entwicklung der an die Beitrittsländer angrenzenden Regionen.“
Anmerkung: Wiederholt, zuletzt auf der Konferenz „Grenzregionen – für ein solidarisches Europa“ im September in Frankfurt/Oder, wurde von Politikern, kommunalen Vertretern und Leitern kleinerer und mittlerer Unternehmen scharfe Kritik daran geübt, dass die von Brüssel aufgelegten und finanzierten Programme nur einen Bruchteil der beabsichtigten Wirkung erzielen, weil die Bewilligungswege extrem zeitaufwendig und der bürokratische Aufwand unwahrscheinlich hoch ist, vor allem aber, dass es keine Abstimmung zwischen den einzelnen Programmen gibt, Interreg bezieht sich auf deutsche Förderprojekte, PHARE steht für Projekte in den Kandidatenländern. Die von der Kommission gebilligte „Aktion zur Intensivierung der Gemeinschaftsinitiative“ ist wie der kreißende Berg, der ein Mäuslein gebar. Statt der als Minimum von Experten errechneten 1 Milliarde Euro für die Förderung der Grenzregionen setzt Brüssel lediglich 245 Millionen Euro ein, verteilt über fünf Jahre bis 2006, die noch dazu aus Umverteilung zwischen den einzelnen „Töpfen“ kommen. Insgesamt ist die Summe ein Tropfen auf den heißen Stein.
Z w e i t e n s fragte ich nach der Haltung der Kommission zu den Übergangsfristen.
Antwort: „Die Übergangsmaßnahmen müssen sowohl zeitlich als auch bezüglich der Bereiche, für die sie gelten, begrenzt sein. Sie dürfen keine Änderungen bei den Regeln und Politiken der Union bewirken, deren reibungsloses Funktionieren nicht beeinträchtigen und keine größeren Wettbewerbsverzerrungen hervorrufen. Es gibt drei Kategorien von Übergangsmaßnahmen: einige können akzeptiert werden, andere sind verhandelbar und wieder andere inakzeptabel.“
Anmerkung: Die Antwort ist gerade durch ihre karge Aussage bezeichnend für die Grundhaltung der Kommission, die ja nur das ausführende Organ der 15 Regierungen ist: Die Beitrittskandidaten werden nicht behandelt wie souveräne Staaten, sondern wie unmündige Schüler, denen man das ABC beibringen muss. Der Beitrittsprozess ist aus Brüssler Warte eine Einbahnstraße – die Kandidaten haben Vorleistungen zu erbringen, Bedingungen (z. B. Einführung der Marktwirtschaft, Privatisierung etc.) zu erfüllen und bis zum letzten i-Tüpfelchen das 80 000 Seiten umfassende Werk an Gesetzen, Regeln, Standards der Gemeinschaft, den sogenannten gemeinschaftlichen Besitzstand, zu übernehmen. Als die „Südländer“ Spanien, Portugal und Griechenland der EU beitraten, wurden ihnen großzügig Übergangsregelungen eingeräumt, obwohl es sich um Staaten mit traditioneller kapitalistischer Struktur handelte, im Gegensatz zu den Beitrittsländern, die von der zentralisierten sozialistischen zur privatkapitalistischen Produktionsweise übergingen und dieser Transformationsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Die von der Kommission aufgezählten Kategorien gibt es nur in der Theorie – in der Praxis verfährt man in der Regel so, dass die begründeten Ersuchen der Kandidaten um Übergangsfristen, beispielsweise um die Umweltauflagen zu erfüllen, als „inakzeptabel“ zurückgewiesen werden. So möchte Tschechien in 23 Bereichen Übergangsfristen haben – die Kommission will lediglich in fünf Fällen zustimmen.
Krass zeigt sich die Ungleichbehandlung in der Frage der Übergangsmaßnahmen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Hier tendiert die EU unter dem Druck vor allem der deutschen Regierung in Richtung auf eine siebenjährige „Karenzzeit“. Das bedeutet, dass die Bürger jener Staaten wie Polen und Tschechien, mit denen schon Mitte der 90-er Jahre Verhandlungen über den EU-Beitritt aufgenommen wurden, 15 bis 20 Jahre darauf warten müssen, dass ihnen das Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit zusteht, das in den EU-Verträgen festgeschrieben ist.
D r i t t e n s wollte ich wissen, wie die EU den Prozess der De-Industrialisierung ganzer Regionen aufzuhalten gedenkt und ob die neuen Länder in der BRD, also das Gebiet der ehemaligen DDR, auch nach dem Beitritt der mittelosteuropäischen Länder bevorzugte Förderziele bleiben werden.
Antwort: „Die industrielle Umstrukturierung in den Beitrittsländern liegt in der Verantwortung dieser Länder. Die im Rahmen der Heranführungsstrategie von der Gemeinschaft geleistete Hilfe in Höhe von 3,2 Milliarden Euro jährlich soll diese Länder bei ihren Bemühungen um die Übernahme und Umsetzung des gemeinschaftlichen Besitzstandes unterstützen, einschließlich im Bereich der gewerblichen Wirtschaft. Ein großer Teil der PHARE-Mittel – nämlich ein Drittel des Budgets – wird bereits jetzt zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts eingesetzt. Aus dem PHARE-Programm werden zudem Investitionen zur Unterstützung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts in den Beitrittsländern kofinanziert.
Die neuen Länder der Bundesrepublik Deutschland bleiben bis mindestens 2006 (Ende des laufenden Programmplanungszeitraums) Ziel-1-Regionen. Über die nach dem Jahr 2006 geltenden Auswahlkriterien für Ziel-1-Regionen wurde noch nicht entschieden; diese Kriterien müssen von den derzeitigen und den neuen Mitgliedsstaaten genehmigt werden. Daher lässt sich augenblicklich nicht sagen, welchen Status die derzeitigen Ziel-1-Regionen der Bundesrepublik nach dem Jahr 2006 haben werden.
Anmerkung: Der sogenannte Transformationsprozess war und ist für die mittelosteuropäischen eine „Rosskur“, die Anpassung an die Marktwirtschaft wird begleitet von einem rapiden Abbau der sozialen Standards, einer Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums, der Verarmung großer Bevölkerungsschichten, wachsenden Arbeitslosenzahlen auf Grund der Deindustriealisierung ganzer Regionen, augenfällig in Tschechien und Polen zu beobachten. Die Kandidatenländer werden zwar als verlängerte Werkbank (Volkswagen in Tschechien, Ungarn) und als Absatzmärkte geschätzt, aber ansonsten werden die Bürger der Beitrittsländer vor allem als Kostgänger am Tisch der Reichen betrachtet. Es ist sonnenklar: Wenn die zehn mittel- und osteuropäischen Anwärter der EU angehören, wird das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der Gemeinschaft zumindest mittelfristig deutlich sinken, weil die Neuen auf Grund ihres die Hälfte und weniger betragenden Produktionsniveaus den Gesamtdurchschnitt drücken. Nach den Fördergrundsätzen der EU werden jene Regionen als Ziel-1-Gebiet mit größtem Förderanspruch eingestuft, wo das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung weniger als 75 Prozent des EU-Durchschnittes beträgt. Bei unveränderten Fördergrundsätzen würde etwa die Hälfte der Regionen der EU vom Ziel-1-Gebiet zum Ziel-2-Gebiet zurückgestuft werden, nicht etwa, weil sie plötzlich reicher geworden wären, sondern weil sie sich unversehens über der 75-Prozent-Marke befänden. In Ostdeutschland beträfe das alle Regionen außer Chemnitz und Dessau!
Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich Spanien und Frankreich, aber auch Portugal und Griechenland, Länder, in hohem Maße von den Brüsseler Fonds profitieren, gegen eine Neubestimmung der Kriterien wehren.
Bezeichnend für die sich herausbildende Zwei-Klassen-Gesellschaft sind zwei Beispiele: im Rahmen der bis Ende 2006 laufenden EU-Finanzplanung sind für die neuen Mitglieder 70 Milliarden Euro vorgesehen – das klingt viel, doch ist das nur ein Viertel der Summe, die sich die 15 derzeitigen Mitglieder in dem Zeitraum allein ihre Landwirtschaft kosten lassen in Form von Direkt- und Ausgleichszahlungen und Exportsubventionen. Noch krasser ist das Missverhältnis in der Regionalpolitik: Hier stehen den 280 Milliarden für die heutigen Mitgliedsstaaten lediglich 50 Milliarden für die künftigen Mitgliedstaaten gegenüber!
V i e r t e n s fragte ich, was die Kommission unternimmt, um der zum Teil wachsenden Ablehnung einer EU-Mitgliedschaft in den mittelosteuropäischen Ländern durch mehr Transparenz in den Beitrittsverhandlungen und konkreter Informationen über die Konsequenzen einer EU-Mitgliedschaft zu begegnen.
Antwort: „Die Kommission hat eine Kommunikationsstrategie beschlossen, die dezentral in den Beitrittsländern und in den Mitgliedsländern umgesetzt werden soll. Sie erfordert vor allem eine ständige und enge Abstimmung mit den Maßnahmen der Regierungen, der Parlamente und der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen.“
Anmerkung: Mit der „Kommunikationsstrategie“, von deren nachhaltiger Wirkung weder in den Mitglieds- noch in den Beitrittsländern viel zu spüren ist, hat die Kommission auf den Erosionsprozess in der öffentlichen Meinung reagiert, der sich schon über mehrere Jahre abzeichnet und in dem Nein der Iren zum Nizza-Vertrag evident geworden ist. Mangel an Transparenz und fehlende demokratische Einwirkungsmöglichkeiten verbunden mit realen Ängsten vor einer verschärften Konkurrenzsituation in Folge der Erweiterung sind in den derzeitigen Mitgliedsstaaten wesentliche Gründe dafür, dass sich eine negative Grundhaltung in weiten Bevölkerungskreisen aufbaut; in den Kandidatenländern speisen moralische Faktoren (Verweigerung der Gleichberechtigung), soziale Faktoren (sinkender Lebensstandard) und ökonomische Faktoren (Massenarbeitslosigkeit) verbunden mit der Unkenntnis über die Folgen der Erweiterung die Front der Euroskeptiker. Nur 26 Prozent der EU-Bürger sehen die Erweiterung als vordringlich an, 35 Prozent sind überhaupt dagegen, der Rest ist unentschlossen, wenngleich viele die Erweiterung „im Prinzip“ gut heißen. In Deutschland begrüßt nur jeder Dritte die Erweiterung vorbehaltlos, in Griechenland hingegen sind dies 70 Prozent.
In den Kandidatenländern ist die euphorische Zustimmung zum Beitritt, die vor fünf Jahren 80 und mehr Prozent betrug, auf 40 bis 50 Prozent gesunken, und je länger sich die Verhandlungen hinziehen und je näher die „heiße“ Phase mit den schwierigen Kapiteln Landwirtschaft, Strukturhilfe, Freizügigkeit rückt, desto mehr wachsen Misstrauen und Enttäuschung in Warschau, Prag und Budapest. Böse Zungen zitieren in Bezug auf den Erfolg der Erweiterungsstrategie den „Erlkönig“: …erreicht den Hof mit Müh´und Not, das Kind in seinen Armen, das war tot …
Die f ü n f t e Frage bezog sich auf die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Gemeinschaft. Ich wollte wissen, wie im Rahmen der GAP genossenschaftliche Produktionsfirmen in der Landwirtschaft der Beitrittsländer bewahrt und gefördert werden sollen.
Antwort: „Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) zielt weder in der Preis- und Marktpolitik noch im Bereich der Unterstützung der ländlichen Entwicklung auf die Förderung bestimmter Formen von Zusammenschlüssen ab. Landwirtschaftliche Genossenschaften können jedoch die im Rahmen bestimmter Marktorganisationen vorgesehenen Hilfen für Erzeugergemeinschaften sowie die Unterstützung bei der Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, die im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 1257/1999 des Rates vom 17. Mai 1097 über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) gewährt wird, in Anspruch nehmen.“
Anmerkung: Der Agrarsektor ist, nicht erst seit heute, der „weiche Bauch“ der Union. Erstens ist die Agrarpolitik der einzige Bereich, der wirklich europäisch, gemeinschaftlich gestaltet wird, das heißt, hier hat Brüssel das Sagen. Zweitens fließt nahezu jeder zweite Euro in diesen Bereich, drittens sind wie wohl auf keinem anderen Gebiet nationale Interessen und Emotionen tangiert, siehe BSE- und MKS-Krise. Nach mehreren vergeblichen Anläufen wollen die Mitgliedsländer im nächsten Jahr beginnend die GAP reformieren, nicht zuletzt unter dem Druck der Welthandelsorganisation und deren Spiritus rector USA. Auch ohne den Beitritt der stark agrarisch geprägten Länder Mittel- und Osteuropas dürfte sich die Konkurrenzsituation in der EU-15 verschärfen.
Das Kapitel Landwirtschaft ist in den Beitrittsverhandlungen, die hinter verschlossenen Türen ablaufen, das heikelste. Noch hat sich die EU hierbei nicht auf eine gemeinsame Linie einigen können. Die Frage, um deren Beantwortung man sich herumdrückt, lautet, ob man den Bauern der neuen Mitglieder die gleichen Rechte einräumen will, sie ebenso in den Genuss der Direktbeihilfen und Ausgleichszahlungen kommen wie ihre Kollegen in Frankreich oder Spanien. Die derzeitigen Finanzplanungen gehen davon aus, dass das nicht der Fall sein soll, was zur Etablierung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft führen und den Bauern in den MOE-Ländern jede Chance auf einen fairen Wettbewerb nehmen und die Arbeitslosigkeit weit über das prognostizierte Maß hinaus steigern würde. In den meisten der mittelosteuropäischen Staaten sind zwischen 15 und 25 Prozent der Menschen in der Landwirtschaft beschäftigt, davon wie z. B. in Polen mehr als die Hälfte in Klein- und Kleinstbetrieben; die radikale Anpassung an den EU-Markt würde Arbeitskräfte in Größenordnungen freisetzen.
Viele der derzeitigen Kleinbetriebe würden dem Druck nicht standhalten, aber – das zeigen Erfahrungen auch in Ostdeutschland – Genossenschaften und andere Formen des Zusammenschlusses sind durchaus wettbewerbsfähig. Doch statt gerade sie zu fördern, wurden und werden sie häufig mit dem Argument, sie seien „Hinterlassenschaften des kommunistischen Regimes“ offen oder versteckt benachteiligt. Die Kommission lügt sich also selbst in die Tasche, wenn sie von Chancengleichheit zwischen den verschiedenen Eigentumsformen innerhalb der Beitrittsländer oder zwischen den Bauern der Alt- und der Neumitglieder der EU spricht.
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Die Antworten zeigen: Zwischen dem immer wieder beteuerten Willen zur Erweiterung und der tatsächlichen Aufnahme- und Beitrittsfähigkeit der Union wächst die Kluft. Gegen die Erweiterung gibt es im Prinzip keine Alternative – aber so, wie die Dinge jetzt laufen, könnte die große historische Chance weitgehend ungenutzt bleiben. Nur wenn die bis Mitte nächsten Jahres laufenden Verhandlungen mit den aktuellen Beitrittskandidaten die erforderliche Qualität und Partnerschaftlichkeit erreichen, wird es möglich sein, die hohen Hürden der Ratifizierung der Verträge in den Parlamenten zu nehmen. Die Kommission wird dafür noch viele „Schularbeiten“ zu leisten haben.