EU-Debatte über Antiterror-Paket. Kritik an der Gefahr weit reichender Einschränkungen der Bürgerrechte.

Andreas Wehr

Beitrag von Andreas Wehr im Neuen Deutschland vom 5. Dezember 2001

Die Justiz- und Innenminister der EU wollen sich auf ihrer morgen beginnenden Ratstagung endgültig auf ein Antiterror-Paket der Union einigen.

Es gehört zu den nur schwer verständlichen Eigenarten der EU, dass das Europäische Parlament in der Vorwoche zwar über einen Rahmenbeschluss über Terrorismusbekämpfung entschieden hat, aber niemand sagen konnte, wie dieser am Ende tatsächlich lauten wird. Da das Parlament in diesen Fragen nur ein Konsultationsrecht hat, steht es dem zuständigen Europäischen Rat letztlich frei, die Vorschläge und Bedenken des gewählten Parlaments zu berücksichtigen – oder eben nicht. So viel zur Demokratie in Europa.

Dabei geht es um brisante Fragen, denn der Beschluss legt fest, welche Handlungen in der EU künftig als terroristische zu bewerten sind. Geht es nach den Vorschlägen, die die Brüsseler Kommission dem Rat direkt nach den Anschlägen vom 11. September vorgelegt hat, so soll etwa »die widerrechtliche Inbesitznahme oder Beschädigung von öffentlichen Einrichtungen, Regierungsgebäuden oder -anlagen, öffentlichen Verkehrsmitteln, der Infrastruktur, allgemein zugänglichen Orten und E! igentum« dazu gerechnet werden können, ebenfalls »Anschläge durch Manipulation eines Informationssystems«. Als angesichts dieses weit gesteckten Rahmens die Europaabgeordneten der Vereinten Linken Guiseppe Di Lello und Alain Krivine davor warnten, dass zukünftig auch Demonstrationen wie jüngst in Göteborg oder Genua und sogar militante Streikaktionen darunter fallen würden, wurden sie von der Rechten prompt der Schwarzmalerei und der Panikmache geziehen. Inzwischen wird aber diese Kritik von vielen Nichtregierungsorganisationen, grünen, liberalen und selbst von einigen sozialdemokratischen Abgeordneten geteilt. So sah sich der SPD-Abgeordnete Gerhard Schmidt veranlasst, in einem Änderungsantrag zu fordern, dass »Arbeitskämpfe und die damit zusammenhängenden Handlungen von dem Rahmenbeschluss auszunehmen sind«.

Die Kritik an einer derart weiten Definition des Terrorismus hat auch Wirkung auf die im Rat versammelten Regierungsvertreter gehabt. Vor allem die skandinavischen L! änder verlangten, dass die Definition sorgfältig eingegrenzt wird. Nun heißt es aus dem Rat, dass »keine Bestimmung der vorliegenden Rahmenentscheidung so ausgelegt werden kann, dass sie die Rechte oder Grundfreiheiten wie die Versammlungs-, Vereins- oder Redefreiheit beschneidet oder verringert, einschließlich des Rechts, mit anderen Gewerkschaften zu gründen und sich zur Interessenverteidigung Gewerkschaften anzuschließen sowie des Demonstrationsrechts, das daraus folgt.« Übrigens hat die schwedische Regierung angekündigt, dass sie vor einer Zustimmung den Text erst dem eigenen Parlament vorlegen werde. Eine Praxis, die auch in Deutschland Schule machen sollte.

Selbst wenn diese Bedenken am Ende ausgeräumt sein sollten, bleibt doch die Frage, ob mit diesen Maßnahmen mehr Sicherheit vor terroristischen Anschlägen erreicht werden kann, oder ob lediglich die demokratischen Freiheitsrechte in Europa weiteren Schaden nehmen. Die als so genannte »Schläfer« in Deutschland behei! mateten Attentäter des 11. September wären jedenfalls auch nicht enttarnt worden, wenn diese Bestimmungen seinerzeit schon existiert hätten. So waren denn die Ereignisse in den USA lediglich Anlass, die Beratung des Rahmenbeschlusses zu beschleunigen, und sie boten zugleich eine willkommene Gelegenheit, den öffentlichen Druck zu ihrer Durchsetzung zu erhöhen, so wie es gegenwärtig ähnlich in den Mitgliedstaaten der EU geschieht.

Tatsächlich war der jetzt durch die Gremien gepeitschte Vorschlag bereits seit über einem Jahr von Kommission und Rat vorbereitet worden. Vor allem die Mitgliedsländer Spanien, Großbritannien und Frankreich haben seit längerem ein Interesse daran, auf europäischer Ebene Beschlüsse zur Terrorismusbekämpfung zu fassen. In all diesen Ländern gibt es seit Jahren sezessionistische Bewegungen, die auch vor terroristischen Gewalttaten nicht zurückschrecken. So kann der Versuch dieser Staaten nicht verwundern, dass man in der gesamten Europäischen Union ih! re Sicht der Dinge teilt. Dies könnte etwa die Verständigung über die Auslieferung verdächtiger Angehöriger der baskischen ETA erleichtern. Vor allem das Interesse der spanischen Politiker ist auffällig. Sowohl die spanischen Sozialisten als auch die konservative Volkspartei bemühten sich, eine Entschließung deutlich zu verschärfen, die nur gut eine Woche vor den Anschlägen in den USA vom Europäischen Parlament angenommen wurde. Und ganz »zufällig« ist auch der spanische Beamte Rocca in der Kommission für diese Fragen der zuständige Mann.

Doch was möglicherweise für die vom Terrorismus betroffenen Länder geeignet und angemessen ist, muss keineswegs für Länder gelten, die Terrorismus in ihren Grenzen gar nicht kennen, etwa die skandinavischen Staaten, Österreich, Belgien oder die Niederlande. Gegenwärtig gibt es lediglich in sechs der 15 EU-Mitgliedstaaten solche Spezialgesetze, die übrigen neun kommen sehr gut mit dem herkömmlichen Strafrecht aus. Nach der Verabschiedung d! es Rahmenbeschlusses zum Terrorismus wird dies jetzt anders. Zukünftig wird wohl auch in den Niederlanden die kurdische PKK als terroristische Vereinigung verfolgt werden müssen. Der von diesen Staaten zu entrichtende Preis für das Zusammenwachsen Europas ist denn auch eindeutig zu hoch.

(ND 05.12.01)