Diskriminierung der Beitrittsländer darf nicht zugelassen werden!

Zur Vorlage der neuen Zwischenbilanz der EU-Beitrittsverhandlungen durch Kommissar Verheugen erklärt André Brie, MdEP:

Verheugens Zwischenbilanz klingt für alle jene, die einen schnellen, gleichberechtigten und demokratisch und sozial orientierten Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten sowie Maltas und Zyperns unterstützen, beunruhigend. Erstens werden von Rat und Kommission anders als vom Europäischen Parlament und den Beitrittsländern gefordert keine konkreten Termine, sondern allenfalls zeitliche Absichten, in Aussicht gestellt. Jene, die den Erweiterungsprozess verzögern wollen, haben offensichtlich großen Einfluss. Zweitens droht unter dem Druck vor allem der deutschen Bundesregierung das Problem der Arbeitnehmer-Freizügigkeit zu einem ernsten Hindernis zu werden. Die Bundesregierung, die es versäumt in der EU und in Deutschland beschäftigungspolitische Voraussetzungen für die Konsequenzen der Erweiterung zu schaffen, will mit über Gebühr langen Übergangsfristen und bürokratischen Einschränkungen die sich aus den EU-Veträgen zwingend ergebende Freizügigkeit für polnische und andere osteuropäische Arbeitnehmer begrenzen. Drittens droht offenkundig auch der Landwirtschaft in den Beitrittsländern eine andere, diskriminierende Behandlung als jener in den bisherigen EU-Mitgliedsländern.

Es wird ohne Zweifel bestimmte beschäftigungspolitische, finanzielle und andere Probleme mit der Erweiterung geben – am stärksten aber in den Beitrittsländern selbst. Eine Abschottungsstrategie der bisherigen EU-Staaten wäre die falscheste und eine illusionäre Antwort darauf.

Nachdem der Rat auf dem Gipfel von Nizza bereits eine völlig unakzeptable und alle demokratischen Grundsätze missachtende Diskriminierung der Tschechischen Republik und Ungarns bei der künftigen zahlenmäßigen Zusammensetzung des Europäischen Parlaments beschlossen hat (beide Länder sollen weniger Sitze erhalten als bisherige Mitgliedsländer mit niedrigerer Bevölkerungszahl), wird die Gefahr einer Zwei-Klassen-Union immer größer. Verheugen ist aufgefordert, konsequenten Widerstand gegen diese Politik der EU-Regierungen zu leisten und die berechtigten Interessen der Beitrittsländer ebenso ernst zu nehmen wie jene der EU selbst. Die Erweiterung muss ein demokratisches und soziales Projekt sein! Nur dafür wird es auch unsere Unterstützung geben.

Strasbourg, 17. Januar 2001