Bericht der PDS-Europaabgeordneten Feleknas Uca über ihre Reise in die Türkei vom 17. bis 22. März 2001
Die PDS-Europaabgeordnete Feleknas Uca reiste vom 17. März bis zum 22. März 2001 in die Türkei, um politische Gespräche in Derik, Kiziltepe, Nusaybin, Mardin, Siirt und in Diyarbakir zu führen und sich ein Bild über die Lage der Kurden im Südosten der Türkei zu machen. Als Höhepunkt der Reise hat Frau Uca am Newrozfest der Kurden in Diyarbakir teilgenommen. Kulturelle Besichtigungen standen ebenso auf dem Programm wie z.B. die assyrische Kirche in Mardin.
Zu ihrer Reise berichtet Feleknas Uca:
Durch die Reise in den Südosten der Türkei konnte ich ein umfassendes Bild über die soziale und politische Lage in der Kurdenregion gewinnen. In Derik hatte ich die Gelegenheit, mit der HADEP Bürgermeisterin Ayse Karadag zu sprechen. Bei einem gemeinsamen Frühstück konnten wir über die Probleme der Stadt Derik sprechen. Die Bevölkerung der Stadt ist in den letzten Jahren stark angewachsen aufgrund des GAP Projektes der türkischen Regierung. Damit ist der Bau eines riesigen Staudammes im Südosten des Landes geplant, wobei auch die Dörfer der Region Derik entvölkert und zwangsgeräumt wurden / werden.
Durch den Bevölkerungszuwachs sind die Städte mit großen Problemen konfrontiert: infrastrukturelle, soziale, ökologische und wirtschaftliche. Die Suizidrate ist in den Städten besonders hoch, es gibt Probleme bei der Regelung des Trinkwassersystems und der Kanalisation. Die Versorgung der Flüchtlinge ist schwierig, da die Städte im Südosten von der türkischen Regierung kaum finanzielle Unterstützung bekommen. Als Verteilungsschlüssel für die finanzielle Unterstützung gilt in der Türkei die Einwohnerzahl der Städte, wobei die Flüchtlinge nicht berücksichtigt werden.
Bei einer Stadtbesichtigung durch Derik habe ich mit den Menschen über ihre Anliegen gesprochen. Der Grossteil der Bevölkerung lebt vom Anbau grüner Oliven. Die Arbeitslosenquote ist allerdings sehr hoch. Durch die fehlenden Investitionen in diese Region sieht sich die Bürgermeisterin überfordert, die ökonomischen und sozialen Probleme zu lösen. „Wir brauchen die Investitionen aus Europa ganz dringend“, sagte Ayse Karadag.
Bei der Fahrt von Derik nach Kiziltepe wurden wir vom Militär aufgehalten und unsere Pässe wurden kontrolliert. Das Auto der Bürgermeisterin wurde von vorne bis hinten durchsucht. Das hat mich besonders schockiert, denn selbst Funktionsträger können sich in der Türkei nicht frei bewegen.
In Kiziltepe habe ich die Hadep Bürgermeisterin Jihan Sincar und in Nusaybin den stellvertretenden Hadep Bürgermeister Mustafa Jildirim zu Gesprächen getroffen. Mit dem Bürgermeister von Siirt und Kurtalan habe ich ebenso Gespräche geführt. Mehr als 400 Menschen haben bei meiner Ankunft in Siirt im Hadep Gebäude auf die Genehmigung des Newrozfestes seitens des Gouverneurs gewartet. Dies hat mich besonders berührt und ich frage mich, warum die türkischen Behörden auch dieses Jahr die Newrozfeierlichkeiten in 18 Städten, darunter in Istanbul, verboten haben.
In Diyarbakir wollte ich es nicht versäumen, einige Elendsviertel der Stadt zu besuchen. Die Lage der Menschen ist verheerend und deren Armut hat mich tief getroffen. Viele sind obdachlos, sind Analphabeten und mehr als 90 % finden keine Arbeit. Es gibt kein sauberes Wasser und die medizinische Versorgung der Menschen lässt zu Wünschen übrig. Immer wieder fragten mich die Menschen, warum die Europäische Union tatenlos ihr Elend hinnimmt und nichts dagegen unternimmt.
In Diyarbakir habe ich am 19. März auf Einladung der Hadep an einem Essen mit mehr als 800 Gästen teilgenommen. Dies war eine gute Gelegenheit, um mich über die Vorbereitungen auf das Newrozfest zu erkundigen. Am 20. März habe ich auf einer Rezeption der Demokratischen Plattform teilgenommen, um Gespräche mit Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und Parteien zu führen. Am Vorabend von Newroz bin ich zu Fuß durch Diyarbakir gelaufen. Hinter jeder Ecke platzierte sich die Polizei und das Militär und jeder Passant – auch ich – wurde kontrolliert und durchsucht.
Newroz
Das traditionelle Neujahrsfest der Kurden Newroz war auch dieses Jahr ein Friedensfestival. Im Vergleich zum Vorjahr, wo 300.000 Menschen das Newrozfest gefeiert haben, wurde das diesjährige Newrozfest in Diyarbakir mit mehr als 500.000 Menschen zur bislang mächtigsten Kundgebung der Kurden. Mit ihrer Teilnahme haben die Menschen gezeigt, dass sie sich endlich nach Frieden sehnen und eine demokratische Lösung des Kurdenproblems wollen. Es wurde deutlich, dass die kurdische Bevölkerung die Anerkennung ihrer kulturellen Rechte wünscht.
Cüneyt Ülsever, ein Kolumnist der nationalistischen Zeitung Hürriyet schrieb am 10. März 2001, dass Kurden und Türken friedlich zusammenleben sollen, wie folgende Passage zeigt: „Ich wünsche mir, dass die diesjährige Newrozfeier ein Anstoß für die Brüderlichkeit und herzliche Begegnung zwischen Kurden und Türken werden wird. Die ist kein klassischer Wunsch. Wir brauchen diese herzliche Begegnung mehr denn je. Denn: Wenn wir es auch nicht verstehen wollen, wir haben als einzige Waffe die der Solidarität gegen das, was wir erlebt haben und noch erleben werden. Warum werden wir getrennt? (…) Am 21. März werde ich nach Diyarbakir gehen und tanzend mit meinen kurdischen Bürgern feiern. Dann werde ich irgendeine Autorität, die dies verhindern verdächtigen: Wessen Interessen dienen sie? „.
Die Hoffnungen der Kurden auf die Anerkennung ihrer kulturellen Rechte aber wurden mit dem Nationalplan, der zwei Tage vor dem Newrozfest von der türkischen Regierung veröffentlicht wurde, enttäuscht. Dieses „Reformprogramm“, das die Türkei in die Europäische Union bringen soll, ignoriert vollkommen die Existenz der kurdischen Kultur. Der Unterricht auf kurdisch sowie ein eigenes kurdisches Fernsehen wurden von der türkischen Regierung nicht zugelassen.
Durch die zahlreiche Teilnahme am Newrozfest haben die Kurden gezeigt, dass sie nicht einverstanden sind mit dem Nationalprogramm der türkischen Regierung. Sie wollten damit auch der Europäischen Union zeigen, dass nicht genug für Frieden, für den Wiederaufbau der zerstörten Dörfer, für die Anerkennung der Minderheitenrechte, für die Demokratisierung der Türkei getan wird. Die Europäische Union muss politischen Druck gegenüber Ankara ausüben, damit die Probleme im Südosten gelöst werden können.
Das Fest hat auf einem Messegelände, 10 km von der Stadt entfernt, stattgefunden. Hätten die türkischen Behörden das Fest innerhalb der Stadt genehmigt, hätten sicherlich viel mehr Menschen gefeiert.
Bereits frühmorgens fuhr ich mit dem Bürgermeister von Diyarbakir Feridun Celik, dem Hadep Vorsitzenden Murat Bozlak zum Fest. Kleinbusse, Motorräder, LKW´ s, Traktoren und Bagger brachten die Menschen zum Festtagsplatz. Auf der Fahrt dorthin kontrollierte die Polizei und das Militär nahezu jedes Fahrzeug. Düsenjäger der türkischen Luftwaffe flogen um den Festplatz, um die Feiernden daran zu erinnern, dass die Realität im Südosten eine andere ist. Doch die Menschen ließen sich die Freude zum Fest nicht nehmen.
Viele Frauen trugen ihre Folklorekostüme. Von der Ehrentribüne aus beobachtete ich die friedliche und feierliche Stimmung. Die festlich gekleideten Menschen tanzten in großen Kreisen zum Klang der kurdischen Trommeln und Flöten um die Newroz-Feuer herum traditionelle kurdische Tänze.
Neben musikalischer Darbietungen prominenter Künstler und Künstlerinnen aus der ganzen Türkei wurden viele Reden gehalten. Meine Grußbotschaft im Namen der GUE/NGL Fraktion im Europäischen Parlament wurden überbracht. Ich habe mich für ein friedliches Zusammenleben der kurdischen und türkischen Bevölkerung ausgesprochen. Eine demokratische und friedliche Lösung des Kurdenproblems ist der richtige und einzige Weg in die Europäische Union. Die Vorsitzenden der türkischen Linksparteien ÖDP und SIP, der IHD Ehrenvorsitzenden Akin Birdal, Gülten Kaya und der bekannte türkische Sänger und Musiker Ferhat Tunc haben an der Newrozfeier teilgenommen. Ferhat Tunc hätte eigentlich auf der Bühne für den Frieden singen sollen, doch der Gouverneur von Diyarbakir hat seinen Auftritt verboten.
Auch dieses Jahr haben viele ausländische Delegationen wie z.B. aus Frankreich, Deutschland, Italien, Griechenland und Belgien an den Newrozfestivitäten teilgenommen und das Geschehen beobachtet
Die Teilnahme an dem Newrozfest hat mich sehr berührt und die Atmosphäre war beladen vom Wunsch der Bevölkerung nach Frieden, Brüderlichkeit und Freiheit. Der Friedensprozess muss in der Türkei unterstützt und fortgesetzt werden. Die Freude in den Gesichtern der Menschen sollte tagtäglich ablesbar sein.
Feleknas Uca
MdEP
Brüssel, 30. März 2001