Interview mit André Brie

Interview mit André Brie, dem Verantwortlichen für den Wahlkampf von Gregor Gysi für die Wahl in Berlin am 21. Oktober

André, wie waren Deine Gedanken und Empfindungen am Wahltage kurz bevor die erste Prognose, und dann, als die erste Hochrechnung bekannt wurde?

Ich habe schon viele Wahlkämpfe mitgemacht. In einigen ging es für die PDS existenziell zu, wenn ich an 1994 denke, wo wir die Direktmandate bekommen mussten, um hineinzukommen oder 1998, wo wir um die 5-Prozent-Hürde gekämpft haben. Ich war noch nie so unruhig wie diesmal, wo das Hineinkommen gar nicht die Frage war. Es ging mir ziemlich schlecht. Ich war im Zelt vor dem Roten Rathaus und habe mir dort Halt in den Minuten vor der ersten Prognose bei Angela Marquardt gesucht. Als dann die Informationen kamen, bin ich in die Höhe gesprungen, bestimmt so 70, 80 Zentimeter hoch. Es war so toll, obwohl die 21,5 %, die als erstes verkündet wurden, noch deutlich unter dem endgültigen Wahlergebnis von 22,6% lagen.
Ich war glücklich. Erstens natürlich wegen des großen Erfolges für die PDS und wegen des Ausdrucks, den dieser Erfolg für zentrale politische Probleme in diesem Land bedeutet, vor allem in der Krieg-Frieden-Frage. Zweitens wegen Gregor, denn neben allem anderen hat mich den ganzen Wahlkampf über immer geleitet, dass Gregor Gysi kein Schaden nehmen durfte. Ich halte den Mann für zu wichtig für linke Politik, für Politik überhaupt in Deutschland. Ein weniger gutes Wahlergebnis wäre natürlich sofort gegen ihn gewendet worden.
Es war in jeder Hinsicht cool, um es vorsichtig auszudrücken.

Was war Gregor für ein Wahlkämpfer in dieser doch völlig neuen Situation? Er war zuvor aus der großen aktuellen Politik scheinbar heraus. Am 17. Juni hatte er sich glücklicherweise entschieden, wieder zurückzukommen. Wie hat er das, was Ihr ihm gesagt habt, angenommen? Was war er für ein Wahlkämpfer?

Erstens war er ein Wahlkämpfer, der mit Leidenschaft agiert hat, weit über die normalen Kräfte hinaus, die ein Mensch hat. Er hatte zahllose Veranstaltungen, auf die er sich vorbereiten musste, er hatte sehr viel zu lernen, wozu er auch bereit war. Er war zweitens natürlich kein einfacher Wahlkämpfer, denn er ist einer, der selbst sehr gut mit den Medien umgehen kann, der auch in seinem Verhalten festgelegt ist. Es ist nicht leicht, ihn da zu beeinflussen. Es ist überhaupt schwer, Menschen kritisieren zu müssen, erst recht Menschen, die man so sehr schätzt. Aber das ist mit Gregor immer möglich gewesen. Und drittens: Das ist für mich das Wichtigste. Er war ein Wahlkämpfer, mit dem wir als PDS zum erstenmal in jeder Hinsicht den Anspruch verkörpert haben, dass wir auf gleicher Augenhöhe mit den anderen kämpfen. Und das ist, bei aller Wertschätzung von anderen Politikerinnen und Politikern der PDS, die andere Stärken haben und auf einigen Gebieten auch größere als Gregor, eine überaus wichtige Tatsache. Er ist zur Zeit der einzige, mit dem dieser Anspruch sinnlich für viele Menschen erfahrbar ist. Das war eine qualitative Veränderung zu allen Wahlkämpfen, die ich jemals mitgemacht habe, auch in der Rolle, die Gregor dabei gespielt hat. Er war in früheren Wahlkämpfen immer unser „Zugpferd“. Aber hier war er auch das Symbol und hat das selbst austragen müssen: „Ich habe den gleichen Anspruch, die PDS hat den gleichen Anspruch wie Wowereit, SPD, wie Steffel, CDU. Wir sind in einer Stadt, die aus zwei Gesellschaften kommt und immer noch aus zwei Teilgesellschaften besteht, eine der drei großen Parteien. “

Erste Statistiken vom Wahltag haben gesagt, dass Gregor etwa 50 % an Zugkraft für dieses Wahlergebnis der PDS zuzuschreiben sind. Wie ist dazu Deine Sicht?

Diese 50 Prozent sind für mich fiktiv. Ich glaube, dass eine solche Zahl, eine solche Einschätzung auch ungerecht ist gegenüber der PDS insgesamt. Die PDS hat 1999 ohne Gregor immerhin 17,7 % in Berlin erreicht. Die Berliner PDS ist eine sehr kompetente, realistische und moderne linke Partei. Ich glaube, dass in den vergangenen 10 Jahren – wahrscheinlich auch unter dem Druck einer Stadt, in der zwei Drittel aus der westdeutschen Gesellschaft kommen – der Erneuerungsprozess in der Berliner PDS besonders weit gegangen ist, einschließlich auch in der Fähigkeit, neue Kompetenz zu erwerben. Es sind PDS-Persönlichkeiten stadtweit bekannt geworden.

Es gibt einen anderen Aspekt, der unbedingt bei dem Wahlergebnis zu berücksichtigen ist, – eigentlich ein trauriger Aspekt: Es ist die Tatsache, dass die PDS die einzige Partei ist, die in diesem Land Krieg ablehnt. Das ist uns nach dem 11. September erst mal auf die Füße gefallen. Wir sind damals in den Umfragen eingebrochen, weil die Menschen Sicherheit gesucht haben. Aber mit den amerikanischen Gegenschlägen wurde dann auch die Haltung der Menschen, sich mit Krieg als Antwort nicht abzufinden, wieder freigelegt. Aber dann gibt es natürlich den Gysi-Effekt. Dieses Phänomen ist schwer zu erklären. Er hat fast Kultstatus. Bei jungen Leuten vor allem hat er Kultstatus. Das ist ein psychologisches Phänomen, das man nicht zu Ende definieren kann, ein Platz, den Gregor sich aber wirklich verdient hat – über 10, 12 Jahre Politik durch Widerstandsgeist, sich nicht unterkriegen zu lassen und selbst in schwierigsten Umständen noch Pfiff, Witz, Selbstironie an den Tag zu legen, aber dies natürlich vor allem mit inhaltlichen Politikangeboten zu verbinden. Ich denke die Tatsache, dass die PDS gerade bei jungen Leuten so stark ist, sie auf Platz 1 mit Abstand zu den anderen Parteien gekommen ist, hat neben der Haltung gegen den Krieg maßgeblich mit der Person Gregor Gysi zu tun.

Nun haben Medien etwa im Juli,August versucht, Gregors Kompetenz mit der These „wunderbarer Talkmaster, spritzig, witzig, aber ohne Sachkenntnisse“ anzuzweifeln. Wie hast Du, wie habt Ihr bei der Führung des Wahlkampfes auf diesen Angriff reagiert?

Es ist erst mal kein Schande, dass man von bestimmten kommunalen oder landesspezifischen Dingen etwas nicht versteht oder kennt. Ich bezweifle auch, dass Steffel oder Wowereit von allen Fragen der Berlin-Politik etwas verstehen. Gregor kam auch als Lernender, einer der gern und schnell lernt. Wir hatten deshalb eine Wahlstrategie, eine Kommunikationsstrategie, in der wir die erste Phase ganz bewusst und in jeder Hinsicht als „Gregor Gysi macht sich sachkundig“ konzipiert haben. Dafür haben wir auch Fotos ausgewählt, die ihn nachdenklich oder im Gespräch mit Menschen zeigen. Gregor und wir haben uns aber vor allem wirklich informiert. Er hat sich mit zahllosen Leuten aus Gewerkschaften, Betriebsräten, aus Sozialverbänden, aus Unternehmerkreisen getroffen, die ihn „gebrieft“, informiert haben. Natürlich haben Politikerinnen und Politiker der Berliner PDS ihn inhaltlich aufgebaut. Er hat das angenommen, – bekanntlich steigt er ganz schnell in solche Dinge hinein. Nicht ausreichende Sachkompetenz, das war der Hauptangriff – zum Teil über den gesamten Wahlkampf hinweg – gegen Gregor Gysi. Wir mussten das sehr ernstnehmen. Das Problem dabei besteht darin, dass Menschen in einem Wahlkampf nicht einen Lernenden erwarten, sondern einen, der ihnen Antworten gibt. Sie wollen auch in erster Linie nicht diese detaillierten komplexen Antworten, um die wir uns bemüht haben, sondern möglichst einfache. Das ist ein Dilemma für jeden Wahlkämpfer, erst recht für linke Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer, die aufklärerisch sein wollen. Wahlkampf ist eigentlich und letztendlich eine Politikform der Zuspitzung, der Vereinfachung. Aber wir haben – und das ist vielmehr Gregors Verdienst, als das derjenigen, die ihm zugearbeitet haben, auch ein geschlossenes Konzept für Berlin und sehr weit ausgearbeitete Überlegungen für einzelne Sachgebiete angeboten. Das geschah mit der Berlin-Rede, aber auch mit einem Vortrag zur Osterweiterung vor Unternehmern. Ursprünglich war Wowereit zu dieser Veranstaltung eingeladen worden. Doch der sagte ab – demonstrativ nach dieser Absage wurde Gysi eingeladen. Er hat sich dort wacker geschlagen. Er hat sich also selbst ein Thema wie die Osterweiterung und die Berliner Wirtschaft schnell zu eigen gemacht. Wer Gysi heute über Berlin reden hört, wird zustimmen müssen, dass dieser Politiker ungewöhnlich lernfähig ist.

Zum Thema Belastung im Wahlkampf möchten wir gerne wissen, wie viele Veranstaltungen der Kandidat etwa absolvieren musste.

Das werden wohl fast 500 Veranstaltungen von Anfang August bis zum 21. Oktober gewesen sein. Und das in vielfältigster Form: so der Straßenwahlkampf, der sehr gut gelaufen ist. Wenn ich übrigens nur nach dem Straßenwahlkampf gegangen wäre, dann hätte ich die 22,6 % voraussagen müssen. Aber man kann sich nicht allein auf solche Dinge verlassen. Wahlkampf – dazu gehörten viele Veranstaltungen mit Schülerinnen und Schülern. Das waren spannende Veranstaltungen. Dazu gehörten sehr viele Veranstaltungen bei Unternehmern – ganz interne Beratungen, aber auch die Bereitschaft, sich einem größeren Kreis von Unternehmern zu stellen. Dazu gehörten Kundgebungen oder Treffen mit Wohlfahrtsverbänden und Sozialorganisationen. Wir hatten viele Anforderungen. Das war auch ein Problem, weil es den Wahlkampf zum Teil sehr zufällig gemacht hat. Es waren so viele Anforderungen, dass man gar nicht recht planen konnte; eine zeitliche Dramaturgie war dadurch erschwert. Auch wenn wir ganz bewusst versucht haben, Akzente zu setzen, z.B. auf sozialem Gebiet. Es war eine gute Erfahrung, gerade bei den unterschiedlichsten sozialen Organisationen offene Türen vorzufinden. Die waren meist richtig froh, dass Gregor kam. Es gab hier so gut wie keine Barrieren gegen uns, gegen Gregor. Ja, er hat ein enormes Pensum geleistet. Denn zu den Veranstaltungen muss man noch die Medientermine dazu rechnen. Die PDS war noch nie wie diesmal in Berlin und überregional über so viele Wochen – über mehr als vier Monate – das innenpolitische Thema Nummer 1. Wir hatten so viele große Interviews von Gregor gehabt – aber auch mit anderen PDS-Politikerinnen und Politikern – , das übertrifft eigentlich alles, was wir bisher erreicht hatten.

Im Wahlkampf gab es für Dich, für uns auch schwierige Momente. Sicher auch in den Tagen und Wochen, als die Umfragewerte für Gregor und die PDS im Zusammenhang mit dem 11. September herunter gegangen waren.

Natürlich sind die Werte schon vor dem 11. September etwas heruntergegangen – so auf 21 %. Aber solche Werte sind nur bedingt ernst zu nehmen, wie wir gerade hautnah erlebt haben. Das sollten wir diesmal vielleicht doch nicht vergessen und uns von Meinungsumfragen nicht so sehr beeinflussen lassen.
Zuerst war da dieser Gysi-Bonus, als er bereit war, zu kandidieren: Es gab geradezu eine Euphorie. Dann haben Medien massiv versucht, ihn zu demontieren. Das war mit dem Angriff: „Der ist ein Überflieger. Er kommt hier nur her, schaut vorbei, und dann ist er wieder verschwunden. Er hat keine Berlin-Kompetenzen.“ Das ging über Monate. Wir wissen: Kaum hatte er sich bereiterklärt, zu kandidieren, da war es schon losgegangen. Gerade noch war er ein Lieblingskind der Medien, dann wurde er von einem Tag zum anderen über mehrere Monate hinweg stark angegriffen.
Das hat noch eine andere Seite: Diese Euphorie über die Gysi-Kandidatur kam auch aus dem Erleben heraus, aus dem Bewusstsein der dramatischen Krise dieser Stadt, des Filzes, der Provinzialität, dieser unsäglichen Vetternwirtschaft, in die die SPD mit eingebunden war – viel länger zum Teil als die CDU. Es ist für mich ein Phänomen, wie schnell dieses Thema aus den Medien heraus war und damit ein Stück weit aus dem Massenbewusstsein.
Die Gysi-Rolle war daher auch vor dem 11. September schon auf ein normales, aber sehr hohes Maß zurückgeführt worden. Was für mich im Wahlkampf bedenklich war, wie sehr sich viele, auch wichtige Leute aus der PDS von solchen Umfragen anstecken lassen. Oder die Panikreaktionen nach dem 11. September: Ich muss sagen, dass ich innerlich auch nicht frei war. Ich habe aber versucht, mich rational zu kontrollieren und nach außen, gegenüber den Medien, aber auch nach innen, im Wahlkampfteam, Zuversicht auszusenden.
Es gab auch Tendenzen im Wahlkampf, vieles umzuschmeißen. Und das, obwohl wir viele Erfahrungen in Wahlkämpfen haben, obwohl die PDS eine Partei ist, die unter den Menschen lebt und die weiß, dass für die Menschen die Terroranschläge und Gegenreaktionen ungeheuer wichtig sind, dabei aber alles andere – Soziales, Berlin-Politisches – ebenso seinen Stellenwert behält wie Gregor Gysi seinen Platz, weil er – das wissen wir seit dem Kosovo-Krieg – wie kein anderer Politiker in Deutschland für eine konsequente Haltung gegen Krieg steht. Er ist auch in dieser Hinsicht ein Symbol für unsere Politik.

Noch mal zur Rolle von Gregor Gysi: Wir wollen das ein bisschen ausbauen, weil das auch für die nächsten Wahlen -Landtags- und Bundestagswahlen – sehr wichtig wäre. Hier ist dieser Aspekt, den Du nennst, dass er der Mann ist, der für die PDS und für diese Partei als Friedenspartei steht. Was sind das noch für andere Aspekte?

Ich möchte keinen Personenkult machen. Aber erstens möchte ich schon das Recht behalten, meine Sympathie und Bewunderung für einen Menschen ausdrücken zu dürfen. Ich bedaure, dass in der PDS manche Zuneigung und Wärme, die 1989/90 so deutlicht gezeigt wurden, heute verpönt ist. Zweitens: Gysi hat in bitteren Stunden im Zusammenbruch der DDR, in Tendenzen des Zusammenbruchs der PDS 1990 – wir haben monatlich 100.000 und mehr Mitglieder verloren, wir hatten den Finanzskandal, wir hatten viele andere dramatische Entwicklungen, wir waren völlig isoliert, wir hatten abnehmende Wahlergebnisse – immer den Kopf oben behalten. Von ihm ging Zuversicht aus. Ich selbst habe ihn im Januar 1990 kennen gelernt. Da hatte ich mich angeboten, Wahlkampf für die SED/PDS mitzumachen. Ich wurde dann unter eigenartigen Umständen nicht Wahlkämpfer sondern Wahlkampfleiter. Ich kam irgendwann zur Mitternacht im alten ZK-Gebäude zu ihm. Mein Bruder war gerade aus dem Vorstand der SED/PDS ausgetreten. In Dresden und Leipzig hatten die gesamten Bezirksvorstände die Partei verlassen. Und ich erlebte einen Gysi mit Galgenhumor. Er sagte zu mir: „Das ist ja schön, ein Brie. Da brauchen wir ja nur den Vornamen zu wechseln.“
Wenn ich selbst am Boden war, hat er mich immer aufbauen können. Ich habe jetzt versucht, auch ein bisschen etwas davon zurückzugeben. Ich kann das vielleicht inzwischen auch ein paar Dinge, die ich früher nicht konnte.
Dazu gehört eine dritte Sache, was etwas ganz Seltenes und in der Politik fast einzigartig ist: Er kann sich selbst auf den Arm nehmen. Er hatte 1990 den Spruch: „Man muss die Sache wichtig nehmen, aber nicht sich selbst.“ Diesen Spruch hat er von sich aus auf sein Personenplakat gebracht. Eine bestimmte Eitelkeit gehört auf dem hohen Niveau von Öffentlichkeit, in der Gysi leben muss und lebt, dazu. Anders kann man sich gar nicht schützen. Anders steht man das gar nicht durch. Das ist auch – so glaube ich – im bestimmten Maße sympathisch. Das finde ich aber wirklich alles andere als abstoßend, zumal er auch darüber seine Scherze machen kann. Aber er hat diese Seite, die Selbstironie, wirklich immer bewahrt. Das ist zum Teil entwaffnend, und es bringt dann das viel Wichtigere, nämlich das, wofür er politisch steht, immer wieder in den Vordergrund. Ich glaube, das ist ein Großteil seiner Überzeugungskraft, auch und gerade für junge Menschen, die Parteien, etablierter Politik und Politikern distanzierter gegenüber stehen. Eine vierte Sache: Er ist ein hoch gebildeter und sehr kluger Mensch, der ganz schnell lernt und auch Details sehr ernst nimmt. Beispiel: Die PDS hat nach meiner Überzeugung ein wirklich gutes Rentenkonzept. Es beinhaltet die Finanzierbarkeit und den solidarischen Charakter. Ich habe erlebt, wie Gregor an Einzelheiten dieses Konzeptes – obwohl er kein Rentenexperte ist – mitgearbeitet hat. Wenn ihn ein Thema packt, dann geht er eben auch ins Detail. Ist das rechtlich möglich, ist das finanzierbar, politisch realistisch usw.?

Noch mal zur Friedensfrage: Der Vorwurf lautet von verschiedenen Seiten: „Die PDS rettet sich wieder in einen keine Probleme lösenden Pazifismus hinein. Sie sagt nicht, was zur Bekämpfung des Terrorismus getan werden kann. Sie sagt bloß, wir sind eine Friedenspartei.“

Zum einen halte ich es erst mal für legitim und dringend notwendig, dass es eine Partei gibt, die sagt: Und wenn noch so Schwieriges in der Welt passiert: Krieg – mit dem Töten von Kindern und Frauen, von Unschuldigen und der allgemeinen kulturellen Verrohung – lässt sich nicht rechtfertigen. Gewalt mit Krieg vergelten, das ist im eine Antwort, die nur schief gehen kann, die neue Gewalt, neuen Hass, neue Ursachen für Terrorismus, für Militarisierung von Denken, von Politik hervorbringt.
Wir haben in einem immer kleiner werdenden Abstand den Ruf nach militärischen Antworten. Zivile und politische Antworten sind naturgemäß unendlich kompliziert. Hier liegt ein Dilemma der PDS. In der Hinsicht ist auch ein Teil der Kritik an der PDS berechtigt. Wir haben einige Antworten nicht, denn eine abstrakte intellektuelle Antwort, für die die politischen Mehrheiten und das geistige Klima in der Gesellschaft fehlen, ändert die Probleme nicht, beseitigt die Gefahren nicht, von denen einige entsetzliches Ausmaß haben. Aber es ist ein normales Problem, dass zivile Antworten schwieriger sind. Und eine Partei wie die PDS, die in dieser Frage isoliert ist, kann Antworten vielleicht auf dem Papier entwickeln, aber noch nicht gesellschaftlich. Diese Antworten zu finden, das könnte nur mit großen Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft geschehen. Zum anderen bin auch ich der Meinung, dass es hier einen Aspekt gibt, wo wir mit uns kritisch umgehen müssen. Ich nenne ein aktuelles Problem: Die Haltung, die Roland Claus im Bundestag eingenommen hat, finde ich bewunderungswürdig. Ich finde ermutigend, wie er das gemacht hat. Es gibt aber einen Satz, über den ich heftig mit ihm und mit der PDS streiten möchte, nämlich: In Afghanistan drohe jetzt die größte humanitäre Katastrophe der letzten Jahrzehnte. Abgesehen davon, dass mich Superlative oft misstrauisch machen, möchte ich vor allem darauf hinweisen, dass „in den letzten Jahrzehnten“ mit Pol Pot ein Mann, der sich selbst Kommunist nannte und von der DDR und der SED auch Kommunist genannt wurde, ein Drittel seines Volkes umgebracht hat. Und in Afghanistan hat die Sowjetunion – ein ehemals sozialistisches Land – einen Krieg geführt hat, in dem eine Million Afghanen umgekommen sind. Es wäre andere ungeheuerliche Geschehnisse zu nennen, für die die USA und ihre Partner die Verantwortung haben. Ich möchte jedoch ganz einfach eins: Wenn die PDS heute pazifistische Positionen vertritt, dann muss der Veränderungsprozess unseres Denkens und unserer Politik transparent werden, warum wir damals zu Afghanistan und zu Pol Pot geschwiegen, gar zugestimmt haben und warum wir heute Pazifisten sind. Ich glaube, dass die Öffentlichkeit ein Recht hat, das von uns zu verlangen. Vor allem: Wir brauchen es selbst. Wenn wir selbst in realistischer Weise so grundlegende Veränderungen in unseren sicherheitspolitischen Überlegungen vornehmen wollen, dann müssen sie auch tief verankert sein. Dazu gehören diese Auseinandersetzungsprozesse.
Schließlich als drittes Moment: Die Vorwürfe gegen die PDS haben zum Teil mit dem Erschrecken der Sozialdemokraten und Grünen vor dem eigenen Versagen zu tun. Wenn ich Frau Beer von den Grünen nehme, die noch zur Zeit des Golfkrieges fundamental Krieg als Antwort abgelehnt hatte und die heute solche Kriege rechtfertigt, auch schon zur Zeit des Kosovo-Krieges gerechtfertigt hat, dann vermute ich neben der Prinzipienlosigkeit von Machtbeteiligung auch ein psychologisches Problem. Gerade Leute wie Fischer, Trittin, Künast, auch manche Sozialdemokraten, die noch vor kurzer Zeit Pazifisten waren, können sich nur rechtfertigen, wenn sie alles verdrängen und Gewalt opportunistisch rechtfertigen.
Die PDS hat aber nicht nur gesagt, dass Krieg keine Antwort ist. Es gibt in der PDS ein auch strittiges Nachdenken darüber, ob z.B. mit polizeilichen internationalen Einsätzen die aktuelle Seite von Terrorismus bekämpft werden kann. In der grundsätzlich langfristigen Frage – politische, soziale, ökonomische, kulturelle Bedingungen in der sogenannten Dritten Welt so zu ändern, dass dem Terrorismus die Wurzeln entzogen werden – da sind wir uns alle einig. Aber der Terrorismus ist auch eine aktuelle und massenmörderische Gefahr. Da sollte jeder dem anderen zugute halten, dass es ein Recht geben muss, darüber nachzudenken, wie sie real, zum Beispiel polizeilich, eingedämmt werden kann. Was die Ablehnung direkter militärischer Schläge dabei betrifft, haben wir auch wieder einen Konsens. Der bedeutet für niemanden, dass Terroristen nicht bestraft werden sollen. Im Gegenteil: Unsere Ablehnung von Terrorismus ist uneingeschränkt – und jede Form von Terrorismus, den baskischen, den irischen Terrorismus -, auch wenn er von angeblich linken Leuten kommt, lehnen wir ab, auch jeden „revolutionären“ Terrorismus lehnen wir ab. Wir haben hier wirklich grundlegende Schlussfolgerungen aus der Vergangenheit gezogen.

André, Du hattest schon vorhin darauf hingewiesen, mit welcher Kompetenz auch in diesem Wahlkampf Positionen der PDS zu Sachfragen vorgetragen werden konnten, nicht zuletzt durch Gregors Anstrengungen. Dennoch die Frage zu Erfahrungen aus diesem Wahlkampf: Wo, würdest Du sagen, muss die PDS recht rasch, ohne Zeitverzug – nicht nur im Hinblick auf den Bundestagswahlkampf – inhaltlich Positionen genauer fassen, auch präziser in die Öffentlichkeit tragen?

Das ist für mich ein doppeltes Problem. Eine Seite betrifft gar nicht die formal inhaltliche Kompetenz. Berlin hat gezeigt, was die Finanzen betrifft – hier ist bei Harald Wolf hohe Kompetenz. Das hatte bei ihm eine zweite Seite, und das ist unser Problem: Harald Wolf galt auch als derjenige – das hat sich auch in der Stadt, unter den Menschen herumgesprochen -, der diese Kompetenz hat. Das fehlt uns zum Teil auf der Bundesebene. Wir haben kluge Papiere, aber in der Gesellschaft weiß man es nicht. Dass man Presseerklärungen dazu macht und Parteitagsbeschlüsse, hilft allein nicht. Das muss mit Personen verbunden werden, das muss sinnlich und erfahrbar werden. Harald Wolf, Carola Freundl oder Petra Pau sind in Berlin Politikerinnen und Politiker, die für konkrete PDS-Politik stehen. Denn was die Menschen nicht erreicht, ist eine leere, eine abstrakte Kompetenz, die in der Politik nicht zählt. Daran muss vor allem gearbeitet werden. Diese Seite von Politik, von Öffentlichkeitsarbeit wird bei uns – so glaube ich – maßlos unterschätzt. Wir haben hier etwas, was ich als deklaratorische Politik bezeichne. Das reicht nicht aus. Politik muss sinnlich werden, sie muss bei den Menschen ankommen, muss ein Gesicht haben. Sie muss zu hören, zu sehen, zu „riechen“ sein. Das sind Image-Fragen, die sich im Alltag abspielen müssen.
Das zweite: Es gibt sicherlich keinen Zweifel daran, dass wir auf manchen Gebieten nach wie vor auch intellektuelle Rückstände haben. Das hat sicherlich damit zu tun, dass unsere Verankerung in manchen Teilen der Gesellschaft nicht so intensiv ist wie bei anderen Parteien – in Teilen der Verwaltung, in Hochschulen, Medien – und damit zu wenig Impulse aus einigen wichtigen gesellschaftlichen Bereichen kommen – Medienpolitik, Bildungspolitik partiell, Wissenschaftspolitik. Gerade Naturwissenschaften, Technikwissenschaften bilden eine entscheidende Seite von gesellschaftlicher Entwicklung. Da kommt bei uns zu wenig an, und zu wenig geht von uns aus. Es gibt Leute bei uns, die sich mit Leidenschaft darum kümmern. Aber als Gesamtpartei haben wir da Rückstände. Da ist für mich ein Problem offensichtlich, wo ich auch Grund zu Kritik sehe. PDS-Politikerinnen und PDS-Politiker gehen zu wenig auf Naturwissenschaftler, auf Technikwissenschaftler, auf Medienleute, auf Künstler zu. Wir schmücken uns gerne mit ihnen. Wahlaufrufe – da rufen wir bei ihnen an. Können Sie nicht… Kannst Du Dich nicht bereit erklären, für Gregor Gysi zu unterschreiben. Aber man kann es wirklich gut beobachten: Wenn sie dann auf der Bühne stehen, dann kennen wir sie nicht, und dann sprechen wir nicht mit ihnen. In Wahlkämpfen gehen wir gerne – vor allem, wenn wir Journalisten mitnehmen können, beispielsweise auch in ein Genwissenschaftliches Institut. Aber organisiere mal einen solchen Besuch außerhalb von Wahlkämpfen. Da gibt es kaum Beteiligung von PDS-Politikern, außer von Fachpolitikern. Wir suchen diese Begegnungen – das ist auch eine Frage von sozialer Kompetenz – zu wenig selbst. Hier liegt etwas brach, und auf jeden Fall sind das Politikbereiche, wo viel Arbeit notwendig ist.
Und der wichtigste Bereich in dieser Hinsicht, geradezu die Zukunftsfrage der PDS, das ist die Jugend. Wir haben eine große junge Wählerschaft, und das nicht zum erstenmal – das war schon 1994 und 1998 so. Jetzt sind wir die jüngste Partei in Berlin, mit Abstand die stärkste Partei bei den 18- bis 24-Jährigen, noch stärker bei den Erstwählerinnen und Erstwählern. Aber das war schon am Wahlabend so, dass wir diesen jungen Menschen im Party-Zelt kein Angebot für die weitere Kommunikation mit der PDS geboten haben. Da lagen nicht einmal unsere Adressen aus, wo sie uns in Zukunft finden können. Unsere Arbeitsgemeinschaften – kannst Du nicht…, willst Du nicht… Wo man sich also wirklich um sie kümmert. Ich weiß, einiges ist jetzt in Gang gekommen. Aber richtig intensiv – und das kulturell, und als soziale Bereitschaft, auf junge Leute zuzugehen, findet viel zu wenig statt. Da darf man sich dann auch nicht wundern, dass unsere jugendpolitischen Positionen als Gesamtpartei – ich rede nicht über einzelne Leute, ich rede schon gar nicht über die jungen Leute, die wir zum Glück haben, wo Gutes passiert – kaum eine reale Rolle spielen in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen.

Noch mal zu Erfahrungen für nächste Wahlkämpfe. Du hast schon so viele Wahlkämpfe geleitet und erfolgreich geführt. Vorhin hast Du erwähnt, wie es Dich in den zurückliegenden Monaten selbst auch gepackt hat, in ganz besonderer Weise auch durch Dein freundschaftlich enges Verhältnis zu Gregor. Welche Erfahrungen besonders für den Bundestagswahlkampf sind für Dich wichtig?

Der Bundestagswahlkampf muss demokratisch entschieden werden hinsichtlich seiner Grundlagen – Finanzen, Wahlprogramm, Wahlstrategie usw. Dann muss er ganz straff geleitet werden. Ich glaube, wir müssen an unserer Strategiefähigkeit arbeiten. Der Wahlkampf hier in Berlin – das ist kein Vorwurf an irgendjemanden, außer vielleicht an mich und an Gregor – unterlag sehr vielen Zufälligkeiten. Das hat auch mit der Stärke von Gregor zu tun, vieles waren eben Selbstläufe. Aber insgesamt müssen wir uns alle sagen, dass wir die guten strategischen Vorstellungen, die wir formuliert hatten, in viel zu geringer Weise diesem Wahlkampf zugrunde gelegt haben. Wo unser Konzept keine Rolle mehr gespielt hat. Im Gegenteil. Wo wir nach dem 11. September sogar Gefahr liefen, in bedrohlicher Weise alles über den Haufen zu schmeißen. Eine weitere Sache: Wir müssen konzentrierter sein. Wenn ich unsere Plakate im Berliner Wahlkampf nehme (die Plakate nur als ein Ausdruck dieses Problems): Wir hatten viel zu viele Plakate. Die Konzentration der PDS auf bestimmte Themen und Erscheinungsformen war zu gering. Da zerfaserte zu viel. Das ist ein Phänomen, was wir auch in früheren Wahlkämpfen schon hatten und kritisch auswerteten, aber wiederum besaßen wir nicht die Fähigkeiten, unsere Erkenntnisse wirklich durchzusetzen. Das hat mit einer anderen Frage zu tun, nämlich mit dem Einschwören auf Dinge, die wir eigentlich mal festgelegt haben. Eine weitere Sache: Wir müssen unbedingt inhaltlich sein. Eine linke Partei muss auf die Veränderungen in der Werbelandschaft im politischen Wettbewerb reagieren können. Man kann die Amerikanisierung von Wahlkämpfen von den Formen her nicht ignorieren. Wahlkampf muss sehr modern, sehr lebendig sein. Die modernsten Werbeformen müssen aufgegriffen werden. Aber eine Partei wie unsere darf niemals Inhalte hinten anstellen. Jede andere Partei kann Möllemann- oder Westerwelle-Wahlkämpfe machen, nur um der Show willen, wie z.B. auch die SPD 1998. Eine linke Partei muss Inhalte mit den modernsten Formen verbinden. Sie darf auf beiden Gebieten nicht ignorant sein. Wenn sie nur Inhalte hat, isoliert sie sich von der kulturellen Entwicklung der Gesellschaft und der kulturellen Entwicklung von Werbung. Dann wirken die Inhalte auch nicht. Aber sie muss in einer Gesellschaft, die Gefahr läuft, alles Aufklärerische wegzuwerfen – auch in Wahlkämpfen, nicht nur in der Politik überhaupt – eine aufklärerische Kraft bleiben.

Nur noch zwei Dinge: Was hat Dich am allermeisten geärgert? Gab es eine solche Situation, wo du gesagt hast, ich schmeiß jetzt alles hin?

Ich habe in diesem Wahlkampf auch mal gebrüllt, aber über den Anlass rede ich hier nicht. Wenn ich das offen sagen soll: Ich habe zum Anfang des Wahlkampfes in ungefähr 12 grundsätzlichen und konkreten Fragen Unterstützung beim Parteivorstand der PDS gesucht: In grundsätzlichen Fragen mit Wahlstrategiepapieren oder auch in konkreten Finanzproblemen. Ich habe nicht ein einziges Mal auch nur eine Antwort bekommen. Bis heute hat mir niemand erklären können, warum das so ist. Das war sehr empörend. Ich habe es dann auch aufgegeben, diesen Kontakt zu suchen. Aber es war im Grunde genommen kein Problem, wo ich am liebsten alles hingeschmissen hätte. Es hat mich niedergedrückt und verwirrt. Aber was ich zu Beginn des Wahlkampfes gesagt und empfunden habe – dass dieser Wahlkampf für Gregor Gysi und in dieser politischen Situation in Berlin die geilste Aufgabe ist, die ich jemals gehabt habe – davon blieb auch in den schwierigsten Momenten immer ein großer Rest erhalten, und am 21. Oktober 18 Uhr war sogar alles wieder da.

Was war eines Deiner schönsten Erlebnisse?

Was mich am meisten neben dem Wahlergebnis wirklich glücklich gemacht und nach dem Tief vom 11. September unerhört aufgebaut hat, das war der 3. Oktober. Ich hatte versucht, meine Arbeit im Europäischen Parlament weiterzuführen, so dass niemand mir hätte vorwerfen können, dass „der Herr Abgeordnete“, der aus Steuergeldern bezahlt wird, auf Kosten seiner eigentlichen Aufgaben Gysi-Wahlkampf macht. Ich kam also am 3. Oktober von Strasbourg angeflogen und habe noch einen Rest erlebt von dem, was die anderen Landesverbände neben Berlin auf dem Einmischmarkt veranstaltet haben. Sehr viele Leute standen vor der Bühne. Und dann eine Stunde später – und darauf will ich hinaus – spielten die „Brothers Keepers“ auf dem Alex – eine sowieso tolle Gruppe, musikalisch und mit ihrem politischen Anspruch – und Gregor hat das Konzert eröffnet. Da standen etwa 10.000 nur junge Leute. Die wollten nicht Gregor hören, sondern die „Brothers Keepers“, aber sie haben Gregor großartig angenommen. Sie lachten auch über seine Aussprache von „Brothers Keepers“, aber er hat eine so wunderbare Rede gehalten. Rhetorisch ist er ja immer gut, aber so habe ich ihn wirklich seit Jahren nicht erlebt. Es war auch der Grund, warum ich ihm schon vier Tage vor dem Wahltag in einem Motivationsbrief geschrieben habe: „Du, wir haben hier die Chance, stärkste Partei bei den jungen Leuten zu werden.“ Ich hatte es erlebt – sie haben ihn akzeptiert.

Das Interview mit André Brie war am 26. Oktober geführt worden, drei Tage später entschied sich die Berliner SPD, Koalitionsverhandlungen nicht mit der nach Stimmen zweitstärksten PDS, sondern mit den Grünen und der FDP zu führen. Wir fragten André also: Was bedeutet für Dich diese Entscheidung der SPD?

Für mich ist sie zunächst eine eindeutige Missachtung des Wählerinnen- und Wählerwillens. Ich weiß gar nicht, wie man darüber streiten kann. Man muss sich erinnern: Die SPD war lange Gefangene der „großen“ Koalition. Zum Teil zutreffend, zum Teil nur vorgeblich hieß es, in Berlin, dass so elementar vom kalten Krieg geprägt sei, könne die SPD die politische Mehrheit links von der CDU, eben mit der PDS, nicht nutzen. Im Frühsommer 2001 sprang sie dann doch über ihren Schatten und ließ sich von der PDS wählen. Das eben ist das Entscheidende am Wahlergebnis vom 21. Oktober: Sie ist für diesen Schritt nicht „abgestraft“, sondern gestärkt worden. Gleichzeitig auch die PDS. Schröder nennt heute Meinungsumfragen zugunsten der „Ampel“ als sein wichtigstes Argument. Was solche Umfragen bedeuten, haben wir am 21. Oktober zum hundertsten Mal erlebt, erstrecht, wenn das gemessene Verhältnis 44 zu 43 (Ampel zu SPD-PDS-Koalition) ist. Bedeutsamer aber ist das Wahlergebnis. Die Menschen haben eine SPD gewählt, die sich von der PDS an die Regierungsspitze hatte hieven lassen. Sie haben – anders als in Hamburg – auch den grünen Regierungspartner nicht abgewählt. Und sie haben diese PDS gewählt. Es gibt weitere Gesichtspunkte – so die arrogante Geringschätzung des Ostberliner Wahlverhaltens und der Notwendigkeit, Ost- und Westberlinerinnen und -berliner endlich zusammenzuführen, was jetzt bestenfalls die Westberliner Politiker mal wieder für die Menschen und statt ihrer tun sollen. Zwei Fragen aber stehen für mich eigentlich im Vordergrund. Zum einen bin ich überzeugt, dass eine rot-rote Koalition angesichts der Berliner Finanzkatastrophe ein äußerst schwieriges Amt gehabt hätte, aber auch, dass sie die einzige Chance für den erforderlichen politischen Wandel in Berlin gewesen wäre. Die Ampel wird es nicht sein. Parteipolitisch sind wir als starke Opposition gegen eine schwache Regierung in einer komfortablen Situation, aber die Perspektive des Landes Berlin und seiner Einwohnerinnen und Einwohner ist wichtiger, viel wichtiger. Ich bin auch überzeugt, dass die Berliner PDS und Gregor die Herausforderung bestanden hätten. Manchmal kommt bei der Entzauberung“ vielleicht kein schöner Prinz, aber eine hochkompetente, sozial und kulturell engagierte Partei heraus. Zum anderen ist es für mich besonders empörend, vor allem aber gesellschaftlich bedrohlich, dass die SPD-Entscheidung ausdrücklich als Ausgrenzung von Anti-Kriegspositionen gemeint ist. Tut mir leid, Herr Schröder, das hat die SPD 1914 schon einmal praktiziert. Das Ergebnis war verheerend. Dieses aus Kriegen stammende Wort verwende ich bewusst angesichts der Gefahren, die von dieser Politik fast zwangsläufig ausgehen werden. Doch ich bin nicht niedergeschlagen. Ich sehe eine zunehmend kritische Nachdenklichkeit in der deutschen Gesellschaft und den Widerstand gerade junger Menschen.