Deutsch-französische Beziehungen: Ein Motor mit Fehl-zündungen
Beitrag für das „Neue Deutschland“ am 1. März 2001
Die deutsch-französischen Beziehungen hatten in der Vergan-genheit für beide Staaten eine herausragende Bedeutung und galten zugleich als „Motor“ der westeuropäischen Integration. Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl stand am Beginn des westeuropäischen Integrationsprozesses. Frank-reich war damals – wenige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg – bestrebt, (West-) Deutschland dauerhaft in Strukturen einzubin-den, die eine erneuerte expansive deutsche Großmachtpolitik und ihre traditionelle antifranzösische Tendenz ausschließen sollten. Adenauer wiederum versprach sich von derartigen Inte-grationsschritten vor allem eine Widergewinnung politischer Handlungsmöglichkeiten und eine wirksame Begrenzung des sowjetischen Einflusses in Europa. In beiden Ländern, das sollte berücksichtigt werden, gab es aber auch den starke Inter-essen, eine dauerhafte positive Veränderung des deutsch-französischen Verhältnisses zu erreichen. Nach dem Scheitern des Projektes einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft an der Ablehnung der französischen Nationalversammlung wa-ren es die EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) und die Euratom mit der beide Staaten sowie die Beneluxländer und Ita-lien den Integrationsprozess weiter ausgestalteten, der schließ-lich zu den wesentlich von der französischen und der Bundes-regierung bestimmten Verträgen von Maastricht und Amsterdam in den neunziger Jahren und zur heutigen Europäischen Union führte.
Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des gesamt osteuropäischen Staatssozialismus war aber auch für das deutsch-französische Verhältnis und die Entwicklung der Euro-päischen Union eine völlig neue Situation entstanden. Die Bun-desrepublik gewann mit dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag nicht nur volle völkerrechtliche Souveränität und mit der Vereinigung an wirtschaftlicher und anderer Macht, sondern rückte politisch wieder in das Zentrum des Kontinents, während zuvor die BRD den östlichen Rand des westlichen, die DDR an den westlichen des östlichen Blocks gebildet hatten. Kohl und Mitterand setzten mit dem Euro noch einmal einen tiefen (sozial, wirtschaftlich und politisch allerdings auch sehr problematischen) Integrationsfort-schafritt durch. Deutschland zeigte dabei aber auch zum er-stenmal in strategischer Hinsicht, dass es nicht mehr bereit war, die machtpolitische Zurückhaltung der früheren Jahrzehnte fort-zusetzen. Kohl und Waigel zwangen Frankreich, das Bundes-bankmodell und die deutsche Währungspolitik als Grundlage der Europäischen Zentralbank und des Euro zu akzeptieren und setzten mit aller symbolischen Klarheit Franfurt am Main als Sitz der EZB durch und verhinderten schließlich auch noch den französischen Kandidaten für deren Vorsitz.
Wie immer man die Gestaltung der Europäischen Union in den neunziger Jahren bewerten mag, der Integrationsgewinn war noch einmal groß. Er verdeckte jedoch, dass der europäischen Integration und dem deutsch-französischen Verhältnis mit dem Ende der Blockkonfrontation die zentrale Idee abhanden und eine neue nicht gefunden worden war. Dass die die „europäi-sche Einigung“ sei, gehört in das Reich der Mythen und der Le-benslügen einiger Politiker. Politik ist profan. Sie braucht hand-feste Interessen. Die Einbindung und Zähmung Deutschlands war ein so elementares französisches Anliegen, das sich darauf politische Strategien gründen ließen. Gleiches galt für den Anti-kommunismus und für das westdeutsche Ziel, souveräne Macht durch die Integration und durch Frankreichs Unterstützung zu-rückzugewinnen. Die als endgültige Überwindung europäischer Spaltung ausgegebene „Osterweiterung“ der EU kommt dage-gen nicht als Integrationsprojekt oder (was ja eine große Chan-ce und eine wahrhaft historische Aufgabe sein könnte) als so-ziale, beschäftigungspolitische und demokratische Alternative zur neoliberalen Globalisierung und als Beitrag zu einem ge-samteuropäischen kooperativen Sicherheitssystem daher, son-dern als geografische Ausdehnung der EU und ihrer Entwick-lung zu einem zweiten westlichen Militärpakt daher.
Die Achse Berlin-Paris läuft derweilen in ausgeschlagenen La-gern, der deutsch-französische Motor der europäischen Integra-tion stottert mit einer Fehlzündung nach der anderen. Auf dem Gipfel in Nizza drohte der Motor ganz auszusetzen, und es wird sich wohl erst noch erweisen müssen, ob die dann doch wieder zu hörenden Motorengeräusche nicht eher Propagandagetöse waren. Dass beide Regierungen sich weniger darum bemühen, dem bi- und multilateralen Verhältnis einen wirklich neuen Inhalt zu geben, sondern ihre Energie darauf verwenden, die Proble-me und Differenzen vor der Öffentlichkeit zu verschleiern, macht das Ganze nur noch schlimmer. Denn niemand kann ein Inter-esse daran haben, dass das deutsch-französische Verhältnis Schaden nimmt. Widersprüche und Unterschiede sind etwas Normales. Wenn sie so sorgsam geleugnet werden, muss man misstrauisch sein. Das eigentliche Problem ist die deutsche Po-litik. Schröder und Fischer ist es ernst damit, zur „Normalität“ überzugehen, die (teilweise) machtpolitische Zurückhaltung der Vergangenheit aufzugeben und die wirtschaftlichen und politi-schen Interessen Deutschlands direkt und massiv zur Geltung zu bringen. Die „Osterweiterung“ der EU wird damit in ganz be-sonderem Maße ein Projekt Deutschlands, der Realisierung der ökonomischen Interessen deutscher Unternehmen und Banken in Osteuropa (Deutschland ist mit Abstand der größte Handels-partner dieser Länder und erzielt dort gewaltige Überschüsse). Statt dem Prinzip repräsentativer Demokratie durch die Stär-kung des Europäischen Parlaments (der einzigen demokratisch legitimierten und repräsentativ zusammengesetzten Institution der EU) Geltung zu verschaffen, haben Schröder und Fischer versucht, Deutschland im Europäischen Rat quantitativ größe-res Gewicht (als Frankreich) zu verschaffen und letztlich (ge-meinsam mit Frankreich) bürokratische Abstimmungsregeln im Rat durchgesetzt, die die Verwirklichung spezifischer nationaler Interessen gewährleisten. Fischers Vorschlag, ein zweites eu-ropäisches Parlament aus nationalen Abgeordneten zu installie-ren (offenkundig lässt ihn seine gleichzeitige Wahrnehmung ei-nes Minister- und eines Bundestagsmandats glauben, dass Ab-geordnetenaufgaben nebenher zu erledigen wären), deutet zu-sätzlich darauf hin, das die Bundesregierung an einer be-stimmten Renationalisierung der Europäischen Union interes-siert ist. Frankreich bleibt dabei nur der Part eines Juniorpart-ners, die EU läuft Gefahr aus einem zentralen Ziel der Politik zu einem Vehikel nationaler Interessen zu werden. Die Fortsetzung (Vertiefung) der Integration und die Demokratisierung der EU sind bereits jetzt auf das Ernsteste gefährdet. Dass Schröder in dieser Woche den französischen Präsidenten Chirac dazu ge-bracht hat, die deutsche Kehrtwende von der Kritik am amerika-nischen Rüstungsvorhaben zur Raketenabwehr hin zu deren Tolerierung und wohl sogar Befürwortung mitzumachen, ver-heißt nichts Gutes. Zum einen wird damit eine neue gefährliche Rüstungsrunde in Gang gesetzt und in Kauf genommen, dass wirksame Rüstungskontrollverträge zerstört werden, zum ande-ren zeigt sich, dass nun auch in sicherheitspolitischen Fragen Deutschland den europäischen Ton angibt. Frankreich fehlt die Kraft, das deutsch-französische Verhältnis auf gleicher Grund-lage mit einer erneuerten politischen Vision zu gestalten, und Deutschland fehlt inzwischen die machtpolitische Zurückhal-tung, ohne die die enorme wirtschaftliche und finanzielle Macht dieses Landes und seine europäischen Zentrallage zu einer ernsten Belastung für die zivile Fortsetzung und Neugestaltung der europäischen Integration werden.
Quelle:
„Neue Deutschland“ am 1. März 2001