Europäisches Parlament stärkt Subsidiarität

In erster Lesung wurden die ÖPNV-Liberalisierungsvorhaben der Kommission vom Parlament abgelehnt von Helmuth Markov, Strassburg, 15. November 2001

Strasbourg, 15. November 2001: Mit der Annahme des Berichtes über die „Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge für den Personenverkehr“ in erster Lesung folgte das Plenum der Linie des holländischen Berichterstatters Erik Meijer der linken Fraktion (GUE/NGL), grundsätzlich den lokalen kommunalen Behörden die Entscheidungsbefugnis über Ausschreibungen zu übertragen. Kommissarin Loyola de Palacio hatte noch in der Diskussion vor der Abstimmung ihren Standpunkt bekräftigt, eine Ausschreibungspflicht für alle öffentlichen Dienstleistungsaufträge vorzusehen. Dies solle für die Gewährleistung der Rechtssicherheit im Wettbewerb erforderlich sein.

Eine relativ klare Mehrheit (317 ja zu 220 nein, bei 7 Enthaltungen) der Abgeordneten von Mitte-Links sah dies jedoch völlig anders. Sie gab dem öffentlichen Interesse den Vorrang vor dem besseren Zugang zum subventionierten Nahverkehrsmarkt der EU-Länder für internationale Nahverkehrsanbieter. Die generelle Pflicht zur Ausschreibung von Nahverkehrsleistungen für die lokalen oder regionalen Behörden hätte die Erbringung kommunaler Eigenleistungen im Personennahverkehr stark beeinträchtigt und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer schrittweisen Verdrängung kleiner ortsgebundener Transportfirmen vom Markt geführt. Integrierte Verkehrsnetze in großen urbanen Räumen laufen durch den ursprünglich geplanten Zwang zur Ausschreibung nun nicht mehr Gefahr, Einschränkungen des Betreibens miteinander verknüpfter, verschiedener Verkehrsträger oder gar eine Aufsplitterung in Kauf zu nehmen.

Verbessert gegenüber dem Kommissionsvorschlag wurden eine Reihe von zeitlichen Fristen und Obergrenzen. So sollen jetzt öffentliche Verträge für Busunternehmen eine Laufzeit von acht Jahren umfassen und für Bahnunternehmen 15 Jahre betragen können. Die Kommission signalisierte bereits ihr Einverständnis mit dieser Änderung. Bei der zulässigen Möglichkeit der Direktvergabe von öffentlichen Aufträgen ohne Ausschreibung wurde der Umfang der Verträge mit einem geschätzten jährlichen Wert von 400.000 Euro auf 1 Million Euro und bei Bündelung aller Anforderungen in einem einzigen Auftrag von 800.000 Euro auf 3 Millionen Euro heraufgesetzt.

Aus Sicht der Beschäftigten besonders wichtig sind die eingeführten Verpflichtungen zur Garantie der sozialen Rechte und Regelungen im Falle eines Betreiberwechsels und zur Respektierung der Tarifverträge und sonstigen arbeits- und sozialrechtlichen Bedingungen am Ort der Leistungserbringung. Das bezieht ebenfalls bestehende Verpflichtungen im Zusammenhang mit Arbeits- und Gesundheitsschutzvorschriften ein. Sollten Unternehmen die von den öffentlichen Auftraggebern festgelegten Qualitätskriterien einschließlich der genannten arbeits- und sozialrechtlichen Bedingungen nicht einhalten, können die bestehenden Verträge außerordentlich vorzeitig gekündigt werden. Die Einhaltung dieser sozialen Aspekte bis zum Zeitpunkt der Vergabe von neuen öffentlichen Transportaufträgen soll darüber hinaus zu einem Kriterium bei der Auswahl der Bewerber gemacht werden. Mit der Aufnahme dieser Regelungen wollen die Parlamentarier das dringende Problem des Sozialdumpings in diesem Bereich des Transportgewerbes lösen.

Angemahnt wird vom Parlament die Berücksichtigung von umweltpolitischen Faktoren bei der Bewertung der Qualität von öffentlichen Personenverkehrsdienstleitungen, bei der Festlegung von Auswahlkriterien und der Auftragsvergabe selbst. Dabei werden solche Faktoren wie rationelle Nutzung von Energie, örtliche, nationale und internationale Standards des Umweltschutzes, vor allem emissionsschutzrechtliche Normen, Lärm und Treibhausgase genannt. Des weiteren formulieren die EU-Abgeordneten das Ziel eines substantiellen Wechsels vom Individualkraftverkehr auf nachhaltigere Formen des Landverkehrs.

Der Zeitplan für den Abschluss des parlamentarischen Verfahrens orientiert darauf, dass die Verordnung Ende 2002 in Kraft treten soll. Ob dieser Zielhorizont realistisch ist, darf angesichts sehr konträrer Positionen zwischen Kommission und Parlament einerseits, sowie erheblichen Meinungsverschiedenheiten im Rat und im Parlament bezweifelt werden.