Bestimmung der politischen und sozialen Ziele der Europäischen Union ist vordringlicher als Debatte über ihre finale Ausrichtung

Zur europapolitischen Grundsatzrede des französischen Premierministers Lionel Jospin erklärt die PDS-Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann:

Sehr zu begrüßen ist, dass Lionel Jospin Ziele der Politik der Europäischen Union in den Mittelpunkt seiner Grundsatzrede stellt und sich nicht, wie vor ihm Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer, weitgehend auf Fragen der institutionellen Reform der EU beschränkt. Eine Ausrichtung der EU am Beispiel des deutschen Bundesstaates lehnt er unmissverständlich ab. In der Tat ist gegenwärtig der Inhalt der Politik der Europäischen Union vordringlicher als eine Diskussion über ihre finale institutionelle Gestaltung.

Nach Jospin müssten Gerechtigkeit, Solidarität und die Sozialpolitik als zentrale Aufgaben der Gemeinschaft im Mittelpunkt stehen. Nachdrücklich sprach er sich für eine EU-Wirtschaftsregierung aus. Angesichts der Tatsache, dass die Einführung der Währungsunion bislang nicht zu der erwarteten wirtschaftlichen Konvergenz der EU-Mitgliedstaaten beigetragen hat, die Fundamentaldaten bei Inflation und Wachstum zwischen ihnen immer stärker auseinander klaffen und die permanente Euro-Schwäche zunehmend zur wirtschaftspolitischen Schwäche des gesamten Euro-Raumes ausufert, sind diese Forderung Jospins ebenso wie sein Vorschlag zur Bildung eines Konjunkturfonds zur Unterstützung von EU-Mitgliedstaaten in Krisenzeiten höchst aktuell.

Unterstützung verdienen ferner die Vorstellungen des französischen Premierministers über eine europäische Verfassung mit der Grundrechtecharta als ihrem Herzstück, um Organisation und Funktion der Europäischen Union auf Dauer zu gewährleisten. Insbesondere betrifft dies die Einberufung eines Konvents auf europäischer Ebene zur Ausarbeitung dieser Verfassung. Es wird Aufgabe der bevorstehenden belgischen EU-Ratspräsidentschaft sein, diesen Verfassungsprozess auf den Weg zu bringen.

Berlin, den 28. Mai 2001