PDS: Rentenreform für die Menschen statt für die Finanzmärkte
Zur Verabschiedung des Cercas-Alonso-Berichts über zukunftssichere Renten durch das Europäische Parlament erklärt Sylvia-Yvonne Kaufmann im Namen der PDS-Gruppe im EP
Die Mehrheit des Europäischen Parlaments setzt beim Thema „Rentenreform“ auf allgemeine Solidaritätslyrik statt auf konkrete Vorschläge zur solidarischen Erneuerung der Rentensysteme in Europa. Sie trägt den Übergang zu einem Drei-Säulen-Modell der Altersvorsorge voll mit. Der Cercas-Alonso-Bericht entwickelt keine grundlegenden Alternativen zum unsozialen Rahmen der „Rentenreform“, den die EU-Gipfelbeschlüsse von Lissabon und Stockholm vorgezeichnet haben. Die europäische Sozialdemokratie leitet mit der Teilprivatisierung der solidarischen Rentenversicherung einen drastischen Bruch mit ihrer gesamten historischen Tradition ein. Mehr als hundert Jahre hat die Sozialdemokratie für das Projekt eines umverteilenden und solidarischen Sozialstaats gekämpft – jetzt steht sie in vorderster Front, um ihn zu demontieren. Die PDS kritisiert diese Wende aufs Schärfste und wird gemeinsam mit Kräften aus Gewerkschaften und sozialen Initiativen Druck für eine zukunftsfähige und solidarische Altersversorgung machen.
„Arbeite länger, spare mehr, lebe bescheidener“ ist das Leitmotiv der „Rentenreform“, die Kommission und die Mehrheit der Regierungen der Mitgliedstaaten anstreben. Sowohl die Kommission als auch die hochrangige Arbeitsgruppe zum Sozialschutz fordern neue Regelungen, um das aktuelle Renteneintrittsalter hinauszuschieben. Die gesetzliche Rentenversicherung soll künftig nicht mehr den erreichten Lebensstandard auch im Alter sichern, sondern nur noch eine „Basisversorgung“ ermöglichen. Damit wird das Gewicht solidarisch umverteilender Mechanismen in der Altersversorgung drastisch verringert. Im Gegenzug werden kapitalgedeckte Formen der Altersversorgung gestärkt und ausgebaut, die naturgemäß keine solidarisch umverteilenden Mechanismen kennen. Die Arbeitgeber werden durch die „Rentenreformen“ finanziell entlastet. Die Arbeitnehmer müssen durch privates Sparen ganz alleine die Beiträge für die kapitalgedeckte Altersvorsorge aufbringen. Der Übergang zu einem „Drei-Säulen-Modell“ der Altersvorsorge beinhaltet damit eine deutliche Umverteilung zugunsten der Kapitalseite.
Den EU-Finanzministern geht es um eine Entlastung ihrer Haushalte. Die Europäische Kommission sieht in Betriebsrenten und Pensionsfonds ein Vehikel, um einen integrierten europäischen Finanzmarkt zu schaffen. Die Profiteure dieser „Reform“ sind Banken, Investmentfonds und Versicherungen. Die von den Reformen Betroffenen zahlen im Ergebnis höhere Beiträge, erhalten niedrigere Leistungen und sind überdies den Risiken der Finanzmärkte ausgeliefert.
Die Mehrheit des Parlaments überdeckt diese Widersprüche mit einer wohlfeilen Solidaritätsrhetorik. Sie macht aber keine Vorschläge, wie solidarisch umverteilende Mechanismen in einem Drei-Säulen-Modell der Altersvorsorge zum Tragen kommen können, um auskömmliche Alterseinkommen für alle zu sichern. Die Erfahrungen in den USA stimmen skeptisch, ob dies auf dieser Grundlage überhaupt möglich ist:. Die Einkommen unter den Rentnerinnen und Rentnern sind dort extrem ungleich verteilt (Variationskoeffizient von 212 gegenüber 37 in Deutschland). 50, 9 % der Witwen im Ruhestand leben in Armut (gegenüber 23 % in Deutschland) und rund 11 % des unteren Fünftels der Einkommen im Rentenalter müssen von Sozialhilfe leben (gegenüber 3,6 % in Deutschland).
Die bundesdeutsche IG BAU, die bundesdeutschen Jugendverbände und die PDS haben Konzepte zum Ausbau der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Volksversicherung vorgelegt. Sie kombinieren die Einbeziehung aller Einkommensarten in die Sozialversicherungspflicht mit einer Ausweitung des Kreises der Beitragszahlenden. So können die gesetzlichen Rentensysteme gleichzeitig eine Grundsicherung im Alter für alle und auskömmliche, lebensstandardsichernde Renten gewährleisten. Wir fordern, dass solche und ähnliche Konzepte zur solidarischen Erneuerung der Altersversorgung gleichberechtigt in den europäischen Dialog zu zukunftsfähigen Renten einbezogen werden.
Strasbourg, 17. Mai 2001