Militärschläge gegen Afghanistan widersprechen politischer Vernunft
André Brie am 08. Oktober 2001 in Brüssel
Am Sonntag abend begannen die USA und Großbritannien mit Militärschlägen gegen Afghanistan, bei denen offensichtlich auch Zivilisten getötet wurden. Diese Aktionen widersprechen der politischen Vernunft:
Erstens wird mit der Bombardierung Afghanistans das Problem des Terrorismus nicht gelöst. Dem berechtigten Anliegen, die Urheber der Anschläge vom 11. September in den USA zur Verantwortung zu ziehen, ist man damit keinen Schritt näher gekommen. Vielmehr besteht nun die Gefahr, dass die Spirale des religiösen Extremismus weiter gedreht wird.
Zweitens wird die katastrophale Situation der Bevölkerung in Afghanistan weiter verschärft. Die Zahl der Flüchtlinge, unter denen jetzt schon hunderte Tote zu beklagen sind, wird angesichts der militärischen Aktionen noch stärker anwachsen. Daran wird auch die Bereitstellung von Hilfsgütern nichts ändern.
Drittens wurde den Anstrengungen, das Problem des Terrorismus auf politischem und diplomatischem Weg und über die Beseitigung der sozialen und wirtschaftlichen Wurzeln dafür anzugehen, ein schwerer Schlag versetzt. Die Chancen auf eine friedliche Beilegung des Konflikts um Afghanistan scheinen verspielt. Auch der erklärten Absicht, international abgestimmt gegen den Terrorismus vorzugehen, wurde schwerer Schaden zugefügt. Insbesondere die europäischen NATO- und EU-Staaten wurden abermals zu Handlangern des militärischen Kurses Washingtons gemacht.
Viertens schließlich wurden bei den Militärschlägen gegen Afghanistan rechtsstaatliche Prinzipien außer acht gelassen. Weder wurden bislang die Beweise für die Urheberschaft Osama Bin Ladens für die Anschläge in den USA öffentlich gemacht, noch wurden Haftbefehle gegen mutmaßliche Hintermänner in Afghanistan ausgestellt. Gerade vor dem Hintergrund der militärischen Aktionen hat die Bevölkerung aber ein Recht auf sachliche und umfassende Information.
Angesichts der aktuellen Entwicklung kommt es nun für alle Kräfte der Vernunft darauf an, eine weitere Eskalation der Situation auszuschließen und einen Kreislauf von militärischen Aktionen und Gegenaktionen zu stoppen.