Heißer Stahl und kalte Dusche
Der „Fall Gröditz“ könnte ein Menetekel für EU-Osterweiterung sein
In meiner Post fand ich unlängst eine Karte aus Gröditz. Unterzeichnet war sie vom Betriebsratsvorsitzenden des Stahlwerkes Uwe Jahn, der all denen dankt, „die Partei ergriffen haben für den Erhalt des Stahlstandortes Gröditz“.
Auf der Karte das Bild der Moritzburg im Morgenlicht; es suggeriert Frieden und Eintracht, doch das Idyll täuscht: Über Gröditz, einem Stahlstandort mit über 200-jähriger Tradition, lastet ein bleierner Schatten. Besteht die EU-Kommission auf Rückzahlung der staatlichen Beihilfen in Höhe von 281 Millionen DM, bedeutet dies das Ende für den Betrieb. In dieser ohnehin strukturschwachen Region hätte das Aus für den größten Arbeitgeber mit immerhin noch über 700 Beschäftigten verheerende Auswirkungen. Kein Wunder, dass die Betroffenen sich fragen: Ist das unser Europa?
Die Bitternis ist verständlich, der Zorn „auf die da in Brüssel“ nicht unberechtigt. Denn in der Tat entscheiden die Oberen der EU, gerade wenn es um Ostdeutschland geht, formal nach Buchstaben und Paragraphen, ohne gerechte, gleichmäßige und sachgerechte Bewertung aller Faktoren. Denn in ähnlich gelagerten Fällen in anderen Ländern hat die Kommission die Zahlung solcher Beihilfen toleriert.
Warum sie jetzt so beinhart ist, hängt nach meinem Eindruck auch mit der Art und Weise zusammen, wie die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft gerade in Sachsen mit den EU-Mitteln umgegangen sind. Wenn sich Biedenkopf jetzt als Anwalt der Gröditzer aufspielt, dann ist dies Heuchelei: Er hat an dem Ast gesägt, auf dem auch die Gröditzer sitzen, indem er Konzerne wie VW und Siemens mästete, Brüsseler Geld in Prestigeobjekte leitete. Nicht zu vergessen: Er und seine Regierungskollegen im Bund und im Land haben durch ihre hemdsärmelige Anschlusspolitik Ostdeutschland erst zu einem chronischen Pflegefall der EU gemacht. Und Gröditz ist ein Menetekel im Hinblick auf die Osterweiterung der EU. Denn zwischen Ostseeküste und Schwarzem Meer gibt es viele Gröditz.
Europäische Betriebsräte
Die Fraktion GUE/NGL hat mit den Gewerkschaftsvertretern aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Belgien von ABB und Alstholm Power – dem zum weltgrößten Energieerzeuger mit 34.000 Beschäftigten fusionierten Unternehmen – beraten. Die Gewerkschafter wiesen nach, dass die Fusion nicht nur mit Maßnahmen zur Umstrukturierung, sondern auch mit Massenentlassungen verbunden ist. Allein in Deutschland werden bis zu 1.700 Arbeitsplätze verschwinden. Hinzu kommt, dass die verbrieften Rechte der Beschäftigten auf Information über diesen Zusammenschluss und seine absehbaren Folgen ignoriert wurden. Zu befürchten steht darüber hinaus, dass derartige Fusionen dazu benutzt werden, gewerkschaftliche Rechte zu beeinträchtigen oder abzubauen.
Notwendig ist, dass die geltenden EU-Regelungen über die Tätigkeit der Europäischen Betriebsräte und zu Massenentlassungen eingehalten werden und die EU-Richtlinie so überarbeitet wird, dass bei derartigen Fusionen Europäische Betriebsräte nicht ausgehebelt werden können, so Sylvia-Yvonne Kaufmann.
Wirtschaftssanktionen
Im November vergangenen Jahres wandte sich Francis Wurtz, Fraktionsvorsitzender der GUE/NGL, auf Initiative von PDS-Abgeordneten schriftlich an den Hohen Vertreter für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, Javier Solana, um ein Ende der Wirtschaftssanktionen gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien zu fordern. Dieser Brief blieb unbeantwortet. Auch der Rat der Außenminister hat sich nicht auf die vollständige Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Serbien einigen können. Im Europäischen Parlament lehnte der Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik einen von der PDS eingereichten Änderungsantrag ab, der darauf verweist, „dass das Regionalkonzept des Stabilitätspaktes nur erfolgreich verwirklicht werden kann, wenn die Bundesrepublik Jugoslawien in die Entwicklungs- und Kooperationsprozesse integriert wird“ und dass „die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Jugoslawien im Interesse der Bevölkerung wie auch der Nachbarländer ist“.
Minderheiten
Hans Modrow überzeugte sich in Bautzen davon, dass das sorbische Volk besondere Unterstützung durch Fördermittel für die Pflege seiner Sprache und Kultur benötigt. Die Bundesregierung und auch die brandenburgische Landesregierung planen jedoch, an den ohnehin in den 90er Jahren gekürzten Mitteln weitere Streichungen vorzunehmen, die in erster Linie den Domowina-Verlag, der seit 1958 das gesamte sorbische Schrifttum verlegt und vertreibt, sowie das Sorbische Nationalensemble Bautzen in ihrer Existenz gefährden würden. Die PDS wird sich auch weiterhin für die Rechte der sorbischen Minderheit einsetzen. Auf Antrag der PDS-Fraktion wird der Hauptausschuss des Landtages Brandenburg am 8. Juni 00 dazu eine Anhörung durchführen.
Schulmilchprogramm
Mit äußerst knapper Mehrheit hat das Europäische Parlament die weitgehende Beibehaltung der Schulmilchförderung gefordert und sich damit gegen die Europäische Kommission durchgesetzt. Allerdings müssen die Länder tiefer in ihre Taschen greifen. Hat der Beschluss des EP Bestand, müssen sie künftig 15 anstatt 5 Prozent kofinanzieren. „Immer noch besser als die von der Kommission geplante Abschaffung des Förderprogramms“, kommentierte Christel Fiebiger.
Seit 1968 fördert die EU die verbilligte Abgabe von Milch und Milchprodukten an Schulkinder mit rund 91 Millionen Euro, das entspricht ungefähr einem Milchäquivalent von 310.000 Tonnen. Jetzt haben die Landwirtschaftsminister der 15 Mitgliedstaaten das letzte Wort, da das Parlament in dieser Frage nur gehört werden muss.
Fördergelder
Gegen den Willen des EU-Kommissars Franz Fischler wurde die Agenda 2000 verabschiedet, mit der die europäischen Bauern einen sicheren Finanzrahmen für den Zeitraum 2000-2006 zu bekommen glaubten. Durch die Hintertür versucht nun Fischler, eine Kürzung der gemeinschaftlichen Unterstützungen u. a. in den Bereichen Getreide, Zucker, Reis, Baumwolle, Flachs und Hanf zu erreichen. Beispielsweise ist vorgesehen, die Qualitätskriterien für die Unterstützungsleistungen bei Getreide zu verschärfen, dabei geht es u. a. um den Feuchtigkeitsgehalt.
Die damit verbundenen besonderen Anforderungen an die Lagerhaltung und die daraus folgenden reduzierten Einkünfte für Roggen und Weizen werden an die Landwirte, „die ja bekanntermaßen unter freiem Himmel produzieren“, durchgereicht, warnt Christel Fiebiger.
Nein zum Haushalt
Die Fraktion GUE/NGL hat den EU-Haushalt abgelehnt. Die vorgesehenen Mittel für Maßnahmen zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit, zur Verringerung der regionalen ökonomischen und sozialen Unterschiede, der sozialverträglichen Gestaltung des Erweiterungsprozesses der EU entsprechen nicht den Anforderungen, die die Entwicklung der europäischen Integration stellt. Die EU muss die adäquaten Mittel zur Bewältigung ihrer Aufgaben erhalten. Der dazu notwendige finanzielle Spielraum ließe sich durch die Ausschöpfung der vereinbarten Eigenmittelobergrenze von 1,27 Prozent des Bruttoinlandsprodukts jedes Mitgliedslandes erreichen. Es muss endlich eine Reform des Eigenmittelsystems der EU in Angriff genommen werden.
Euroabsturz
Die europäische Währungsunion wird zur internationalen Spekulationsunion, erklärte Andre Brie angesichts des anhaltenden Absturzes des Euro. Mit der stereotypen Gesundbeterei des Euro durch die Finanzminister der Euro-Staaten würden die Menschen für dumm verkauft. Noch unlängst hatten ihnen die Experten der konservativen, liberalen und sozialdemokratischen Parteien den Euro als sichere Erfolgsgeschichte einer starken und auch im Außenwert stabilen Währung verkauft, nun wird das eingetretene Gegenteil bagatellisiert. Schuld sei allein die vergleichsweise gute Wirtschaftsentwicklung in den USA. Doch der Euro fällt auch gegenüber dem Schweizer Franken, dem britischen Pfund und dem japanischen Yen auf Rekordtiefs. Die eigentlichen Ursachen des Euro-Sturzes dürften darin zu suchen sein, dass die europäische Währungsunion und das Statut der Europäischen Zentralbank von Anfang an fehlkonstruiert waren und der Währungsspekulation nicht nur Tür und Tor öffneten, sondern geradezu aktiv über die europäische Schwelle verhalfen. Der Monetarismus der deutschen Währungspolitik wurde von größten politischen Koalitionen europäisiert. Politische oder gar demokratische Einflussmöglichkeiten auf den Zentralbankrat wurden nach deutschem Bundesbankmodell verhindert. Die Währungsunion wurde ohne Beschäftigungs- und Sozialunion und selbst ohne ausreichende Koordinierung der makroökonomischen, der Finanz- und Steuerpolitik eingeführt. Die Eindämmung der rasant wachsenden internationalen Devisen- und Aktienspekulationen, zum Beispiel durch eine Steuer auf kurzfristige internationale Devisen- und Aktientransaktionen („Tobin“-Steuer) wurde mit ideologischem Fundamentalismus abgelehnt. Folgerichtig ist der Euro zum Gegenstand massiver Spekulationen geworden. Die Politik, die sich selbst entmachtet hat, sieht hilflos zu.