Die Erweiterung muss gelingen

Francis Wurtz (Fraktionsvorsitzender der GUE/NGL)

Beitrag von Francis Wurtz auf der Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 16./17. Juni 2000 in Berlin ‚Osterweiterung der europäischen Union – die soziale Dimension‘

Ich denke, unsere Fraktion stimmt weitgehend darin überein, dass die erfolgreiche Gestaltung der EU-Erweiterung nach Mittel- und Osteuropa (MOE) eine der größten Herausforderungen ist, vor der unsere Generation steht. Die progressiven Kräfte müssen sie nach unserer Meinung zu einem wichtigen gesamteuropäischen politischen Projekt gestalten.

Übrigens finde ich schon das Wort „Erweiterung“ nicht sehr treffend, auch wenn ich es der Einfachheit halber selbst verwende. Denn es kann einfach nicht das Ziel sein, 10 bis 15 Länder in die Europäische Union zu holen und sozusagen in eine fest vorgegebene, unveränderliche Form zu pressen. Vielmehr spricht alles dafür, das erweiterte europäische Projekt auf neue Grundlagen zu stellen. Da sich die EU erweitert, muss sie sich auch selbst verändern.

Wir, die Völker Europas, müssen versuchen, gemeinsam die wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen, kulturellen und politischen Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden und eine nachhaltige Entwicklung auf unserem Kontinent zu schaffen. Zugleich muss das vereinte und erweiterte Europa zu einem geachteten und einflussreichen Faktor im internationalen Geschehen werden. Geachtet und einflussreich genug, um den gegenwärtigen Zustand der Globalisierung verändern zu können. Nicht einer gegen alle und als ein Block gegen andere Blöcke, sondern in Partnerschaft mit allen Ländern, allen sozialen und politischen Kräften, die dies wünschen und ein analoges Ziel verfolgen, insbesondere mit den Ländern des Südens.

Das ist für die Europäische Union ein einzigartiges Experiment. Die Erweiterung, die vor uns liegt, hat nichts mit den Erweiterungen zu tun, die wir bereits hinter uns haben – weder nach ihren geographischen und demographischen Dimensionen, noch nach der historischen und politischen Tragweite. Selbst wenn wir unsere Analyse nur auf die zehn mittel- und osteuropäischen Länder (MOEL) beschränken, mit denen die Beitrittsverhandlungen laufen, wird die Gemeinschaft in etwa zehn Jahren nahezu 500 Millionen Menschen umfassen – ein Zuwachs von fast einem Drittel. Das Territorium wird sich ebenfalls etwa um ein Drittel auf über vier Millionen km² vergrößern. Das ist ungefähr das Achtfache der Bevölkerung und der Fläche eines Landes wie Frankreich.

Die Europäische Union wird nun neben der skandinavischen und mediterranen Dimension ihre sprachliche und kulturelle Vielfalt durch die Zivilisationen Mittel- und Osteuropas sowie die der baltischen Länder und später der Türkei spürbar bereichern. Damit eröffnen sich völlig neue Horizonte.

Die Umsetzung eines solchen Projekts ist gewiss kein Spaziergang. Eine einzige Zahl soll uns die Widersprüche verdeutlichen, die dabei zu überwinden sind: Wenn sich bis dahin nichts ändert, wird mit der Erweiterung der EU von fünfzehn auf fünfundzwanzig Mitgliedstaaten zwar die Bevölkerung, wie bereits erwähnt, um etwa ein Drittel wachsen, die Produktion materieller Güter aber nur um 4 bis 5%. Wenn auch weniger quantifizierbar, so sind andere Widersprüche doch ebenso real. In unserer Welt, die von erbarmungslosem Vormachtstreben geprägt wird, sind das sehr komplizierte Zukunftsaussichten.

Deshalb setzt eine erfolgreiche EU-Erweiterung starken politischen Willen, die Mobilisierung großer Energien, Kreativität und beträchtliche Mittel voraus.

Dabei ist das vorbehaltlose Engagement der fortschrittlichen Kräfte in ihrer ganzen Vielfalt gefragt. Denn es geht in der Tat um eine Herausforderung von historischer Tragweite.

Ich denke, von einer gelungenen Erweiterung wird man dann sprechen können, wenn sich jedes Volk, das zum künftig vereinten Europa gehören soll, als Vollmitglied dieser neuen Gemeinschaft fühlt. Die europäische Linke sollte sich nach unserer Meinung das Ziel setzen, mit ihren Möglichkeiten an der Schaffung der Voraussetzungen dafür mitzuwirken. Ich bin davon überzeugt, dass wir in drei eng miteinander verbundenen Richtungen agieren müssen:

Abbau des Entwicklungsgefälles zwischen den Fünfzehn und ihren zehn Partnern aus Mittel- und Osteuropa sowie dem Baltikum;
weitere Demokratisierung und Achtung der Souveränität und Würde eines jeden Volkes;
Beseitigung von Spannungs- und Konfliktherden innerhalb des erweiterten Europas sowie in den Beziehungen zu den Nachbarländern.

Auf diese drei Ziele soll im folgenden näher eingegangen werden.

Abbau des Entwicklungsgefälles

1. Zur Frage der Strukturfonds und der Gemeinsamen Agrarpolitik

In einer Reihe von Beitrittsländern nimmt die Landwirtschaft einen wichtigen Platz ein. Bei den laufenden Verhandlungen wird das zweifellos die umstrittenste Frage sein. Die Beitrittskandidaten bestehen darauf, in Zukunft die gleichen Direkthilfen zu beziehen wie die heutigen Mitgliedsländer. Die EU verhält sich dazu aus haushaltspolitischen Gründen sehr zurückhaltend. Dabei ist diese Frage in den Beitrittsverhandlungen noch gar nicht angesprochen worden. Dennoch ist kaum einzusehen, dass nicht in jedem Land der künftigen Union die gleichen Kriterien angewandt werden sollen. Wenn man ein Ziel festlegt, dann müssen die dafür notwendigen Mittel, auch die finanziellen, bereitgestellt werden. Die in diesem Zusammenhang genannten Summen klaffen weit auseinander und sind kaum verlässlich. Dieser Problemkreis ist einer strengen Prüfung zu unterziehen.

Gegenwärtig sind zweierlei Beihilfen vorgesehen. Zum einen geht es um die Vor-Beitrittshilfen, die knapp über 3 Milliarden Euro liegen; zum anderen sind es die mit 45 Milliarden für fünf Jahre veranschlagten Beitrittshilfen. Das ist eine durchaus nicht zu vernachlässigende Größe. Man sollte jedoch bedenken, dass dieser über fünf Jahre gestreckte Finanzstrom für zehn Beitrittsländer immer noch unter dem liegt, was mehr als ein Jahrzehnt lang jedes Jahr aus der Bundesrepublik Deutschland in die Ex-DDR geflossen ist. Allerdings sind deren Probleme damit auch nicht gelöst worden. Weit davon entfernt! Diese Solidarfonds sind zwar nötig, können aber allein die enormen Probleme nicht lösen.

Jedenfalls lassen sich damit die destabilisierenden Effekte einer “ offenen Wirtschaft mit freier Konkurrenz“ – wie sie im Maastrichter Vertrag als wichtigster Grundsatz formuliert ist, nicht abfangen. Angesichts der gewaltigen Entwicklungsunterschiede im produktiven Bereich hat diese goldene Regel des europäischen Binnenmarktes verheerende Auswirkungen auf die Beschäftigungslage, ja auf die Wirtschaft als Ganzes.

2. Zum Problem des so genannten acquis communautaire (Regelwerk) der Gemeinschaft der Fünfzehn – einem Begriff, den ich aus drei Gründen für kritikwürdig halte:

In diesem „Regelwerk“, das in der vierzigjährigen Geschichte der EU inzwischen auf Zehntausende von Seiten angewachsen ist, wie auch in den für die Beitrittsländer verbindlichen „Kopenhagener Kriterien“ gibt es demokratische Regeln, die nach unserer Meinung tatsächlich eingehalten werden müssen, zugleich aber auch neoliberale Beschlüsse, die man aus unserer Sicht einem Beitrittsland nicht einfach aufzwingen darf.
Diese „acquis“ enthalten Aspekte wie Liberalisierung, Deregulierung, Öffnung des staatlichen Sektors für die Konkurrenz, Kürzung der öffentlichen Haushalte, besonders der Sozialausgaben, gegen die die fortschrittlichen Kräfte in den heutigen EU-Mitgliedsländern kämpfen. Bei einigen wird sich in Zukunft sicher etwas ändern. Daher dürfen die Beitrittsländer nicht gezwungen werden, sie widerspruchslos zu übernehmen.
Zugleich müssen auch die positiven Errungenschaften der Beitrittsländer geprüft werden, die uns durchaus inspirieren können. Auf jeden Fall müssen sie die Freiheit haben, daran festzuhalten.

Wie dem auch sei – die liberalsten, konkurrenzverschärfenden Regeln eines überzogenen Freihandels scheinen uns schwerlich mit dem Ziel vereinbar zu sein, das Entwicklungsgefälle zwischen den Fünfzehn und den Beitrittsländern abzubauen. Der Begriff des „acquis communautaire“ muss daher spürbar aufgelockert und der konkreten Spezifik des jeweiligen Beitrittslandes angepasst werden.

3. Schließlich geht es um die neue Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Europäischen Investitionsbank (EIB).

Sie können den Beitrittsländern sehr günstige langfristige Kredite gewähren, wenn es um Investitionen für die Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen, für den Umweltschutz oder für den Ausbau von Dienstleistungen und Infrastruktur geht, die sich an den Bedürfnissen der EU-Bevölkerung orientieren. All das trifft nach unserer Meinung auch auf die heutigen Mitgliedsländer der Europäischen Union zu.

Demokratie, demokratische Teilhabe der Bürger, Achtung der Souveränität und Würde eines jeden Volkes

Das ist die zweite Richtung von Aktionen der fortschrittlichen Europäer, die zum Gelingen der Erweiterung beitragen können.

1. Zuallererst muss unserer Meinung nach dem patriarchalischen Verhalten gegenüber den Menschen der Kampf angesagt werden. Sowohl die in der Gemeinschaft der Fünfzehn, als auch die in den MOEL lebenden Menschen sind als verantwortungsbewusste Bürger zu behandeln

Obwohl in Ost- und Westeuropa Skepsis und Befürchtungen hinsichtlich der EU-Erweiterung zunehmen, kümmert sich die Kommission nicht darum, welche Veränderungen in ihrer Politik und ihrem Verhandlungsstil die öffentliche Meinung in den betroffenen Ländern für erstrebenswert hält, sondern startet eine großangelegte Kampagne , um diejenigen über ihre Politik und die daraus resultierenden Vorteile „aufzuklären“, die diese noch nicht „begriffen“ haben. Dafür werden 150 Millionen Euro ausgegeben. Zielgruppe sind die „Meinungsmacher“ wie Presse, politische Institutionen, Geschäftskreise und die Zivilgesellschaft.

Gewiss ist es eine gute Sache zu informieren, doch für den Erfolg reicht das nicht aus. Die Bürgerinnen und Bürger müssen an der Bewertung der Probleme und dem Treffen von Entscheidungen beteiligt werden. Die Rolle der Bürger und der Akteure der sozialen Bewegungen im Prozess der Erarbeitung europäischer Politik gehört zu den großen Schwachstellen der EU-Institutionen. Die Erweiterung der Union macht Veränderungen auf diesem Gebiet noch dringlicher. Die auf der Tagesordnung der Regierungskonferenz stehenden Fragen sind zwar legitim, werden aber dieser hohen Forderung nach Demokratie nicht gerecht.

2. Zweitens ist unserer Meinung nach die Idee vom „harten Kern“ einiger Mitgliedsländer im künftigen erweiterten Europa abzulehnen.

Viele der diskutierten institutionellen Projekte, wie das von Joschka Fischer, können zu einer Konzentration der Macht in den Händen eines kleinen Clubs von Großmächten führen. Das können wir nicht hinnehmen. Denn jede „Vorhut“ bedingt auch eine „Nachhut“. In einem vereinten Europa darf es keine Mitglieder erster und zweiter Klasse geben. Werden die verbrieften demokratischen Grundwerte in allen Mitgliedsländern respektiert, muss jedes Volk gleich sein und seine Entscheidungsfreiheit in allen grundlegenden Fragen bewahren. Basiert auch die Teilung der Verantwortlichkeiten auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, sind Enttäuschungen bei der Aufnahme vermeidbar. Hierin sehen wir eine Voraussetzung für dauerhaften Erfolg.

3. Drittens erfordert es nach unserer Meinung die volle Achtung der Würde der Völker Mittel- und Osteuropas, dass ihre Bürger die gleiche Freizügigkeit in der erweiterten EU genießen wie alle anderen auch.

Nun ist die Freizügigkeit für Personen aber eines der heiklen Themen der Verhandlungen, und die Fünfzehn haben offiziell noch keine Position dazu bezogen. Unserer Auffassung nach muss die gegenseitige Durchdringung der Zivilgesellschaften gefördert werden. So sollte das Erasmus-Programm, das es Studenten ermöglicht, ein Studienjahr in einem anderen Land der EU zu verbringen, wesentlich aufgestockt werden, denn von 12 Millionen Studierenden in der EU kommen bisher nur 100 000 Studenten in den Genuss eines solchen Stipendiums. Mit dem Ausbau derartiger Möglichkeiten könnten im erweiterten Europa ein besseres gegenseitiges Kennenlernen und das Verständnis füreinander vorangebracht werden.

Wenn infolge der Freizügigkeit für Arbeitssuchende in einem anderen EU-Land Arbeitsbedingungen und Löhne akzeptiert werden, die die sozialen Errungenschaften der Lohnabhängigen dort gefährden, dann ergeben sich Fragen. Unserer Überzeugung nach liegt es im ureigensten Interesse einer erfolgreichen gegenseitigen Durchdringung der Gesellschaften, jegliches Sozialdumping zu vermeiden. Grundsätzlich kann der Gefahr, dass die Völker in der künftig erweiterten EU gegeneinander ausgespielt werden, nur mit dem politischen Willen zum Abbau des Entwicklungsgefälles begegnet werden.

Dass dies möglich ist, zeigen die Teilerfolge, die bei den vorangegangenen Erweiterungsrunden, wenn auch unter anderen Bedingungen, erzielt wurden:

Heute arbeiten EU-weit lediglich 2% der Lohnabhängigen in einem anderen Land. Im krassen Gegensatz dazu wirbt man in einigen der mächtigsten EU-Länder um hochqualifizierte Fachkräfte aus Drittländern, auch aus MOEL, und dies selbst auf die Gefahr hin, dass diesen für die eigene Entwicklung unverzichtbare Arbeitskräfte entzogen werden. Wenn die Erweiterung gelingen soll, ist eine konsequentere und dynamischere Politik bei Beschäftigung und Ausbildung in der ganzen EU unabdingbar.

Zur Beseitigung von Spannungs- und Konfliktherden

Hier stellt sich die Frage nach dem gegenwärtig praktizierten Verhandlungsmodus.

Mit jedem einzelnen Beitrittsland diskutiert die EU 31 Kapitel, wobei je nach Anpassungsfähigkeit des jeweiligen Landes ein Kapitel nach dem anderen geöffnet wird. Regelmäßig verkündet die Kommission die „Leistungen“ und „Verdienste“ der einzelnen Länder bei der Anpassung an den „acquis communautaire“. So wird zwischen den MOEL ein Klima der Konkurrenz geschaffen, das nach unseren Vorstellungen nicht erstrebenswert ist. Wir glauben hingegen, ohne den Wettbewerbsgedanken auszuschließen, dass die Grundlagen für eine konstruktive und dauerhafte Partnerschaft gelegt werden müssen, die nicht auf Konkurrenz, sondern auf Kooperation beruht.

Es muss unbedingt verhindert werden, dass die Völker der heutigen EU gegen die der neuen Mitgliedsländer ausgespielt werden. Nur so ist es möglich, Spannungsherde abzubauen.

Wenn aber das EU-Budget zugeschnürt wird, wie es gegenwärtig im Namen des Stabilitätspaktes geschieht, dann entsteht die Gefahr, dass die MOEL nicht von den erwarteten Beihilfen profitieren können, ohne dass die aktuellen Hilfszahlungen an die Mitgliedsländer gekürzt werden. Das wäre ungerecht und zugleich gefährlich für den sozialen Zusammenhalt.

Prozentual zum BIP schrumpft der EU-Haushalt seit fünf Jahren von Jahr zu Jahr. Wenn es in der EU nicht zu einem Umdenken kommt, liegt darin ein künftiger Spannungsherd. Das Gleiche gilt für die Steuerparadiese, die das Dumping stimulieren. Ich habe bereits davon gesprochen, welch brisante Spannungen entstehen, wenn das Gefälle bei Entwicklung und sozialem Schutz dauerhaft bestehen bleibt. Die Chefs einzelner Unternehmen drohen bereits ganz offen, ja geradezu erpresserisch damit, den Standort ihrer Aktivitäten zu verlegen. So erklärte der Vorstandsvorsitzende von Siemens, dass ihn bei gleicher Qualifikation die Arbeitsstunde in Deutschland 45 DM, in den MOEL dagegen nur 4,50 DM koste. Wenn uns die Erweiterung gelingen soll, muss eine solche Unternehmensstrategie im Interesse aller Völker verhindert und bekämpft werden.

Will man Spannungen abbauen, dann stellt sich auch die Frage nach den Beziehungen zu den künftigen Nachbarn der erweiterten EU, insbesondere zu Russland, der Ukraine und Belarus.

Natürlich brauchen wir eine strenge Überwachung der Außengrenzen der EU. Schmuggel jeglicher Art muss unterbunden werden. Das darf aber nicht dazu führen, dass ein neuer eiserner Vorhang entsteht. Unter diesem Gesichtspunkt würden wir eine Revision der Schengener Bestimmungen, die jetzt in den Unionsvertrag integriert sind, begrüßen.

Abgesehen von diesen Maßnahmen sind wir in unseren Beziehungen zu Russland weder dafür, die tschetschenische Tragödie auszublenden, noch das russische Volk zu isolieren. Ich hielte es für sinnvoll, auf eine globale Partnerschaft der EU mit der GUS hinzuarbeiten. Diese könnte zum einen aus einer Art Marshallplan – ohne Vorherrschaftspläne – bestehen, um die GUS bei der Wiederbelebung ihrer eigenen Wirtschafts- und Handelsstrukturen zu unterstützen, was für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung vorteilhafter wäre als die gegenwärtig praktizierte Öffnung für die internationale Konkurrenz . Andererseits müsste eine solche Partnerschaft den politischen Dialog, den grenzübergreifenden Austausch und das gemeinsame ausdrückliche Engagement für die verbindliche Einhaltung demokratischer und friedlicher Grundregeln einschließen. Wir müssen erreichen, dass die Bevölkerung dies unterstützt, statt weiterhin einen gefährlichen Nationalismus zu pflegen.

Unter diesem Gesichtspunkt halte ich für unseren Kontinent den Ausbau der OSZE unter behutsamer Einbeziehung der Zivilgesellschaften für unverzichtbar, wobei ich

als ihre zentralen Aufgaben im Gegensatz zur NATO eine aktive Politik der Konfliktverhütung, vertrauensbildende Maßnahmen und Abrüstungsinitiativen für den gesamten europäischen Kontinent sehe.

1.1. XXX

Abschließend möchte ich auf die Fragen antworten, die sich jede und jeder unter uns im Hinblick auf erstrebenswerte Veränderungen im bereits begonnenen Erweiterungsprozess stellt: In welchem Rahmen könnte man verschiedene Auffassungen und Optionen debattieren? Und vor allem: Ist es dafür nicht schon zu spät?

Immerhin gibt es seit nunmehr zehn Jahren einen offiziellen Rahmen für die umfassende Auseinandersetzung mit diesem Problem. Das ist die „Europäische Konferenz“. Ihr gehören die Fünfzehn, alle Beitrittsländer und weitere Länder mit Beobachterstatus an. Aber bislang ist dieses Forum im Grunde eine leere Hülse geblieben. Meiner Meinung nach ist die Konferenz substantiell aufzuwerten. Sie muss zu einem echten Konsultationszentrum für die Beitrittsländer werden, wo man Veränderungsvorschläge zur Erweiterung ohne Tabus verhandeln kann, damit letztere zu einem Erfolg für alle Seiten wird. Sie könnte auch das Gremium sein, das ohne Verzug über eine Zusammenarbeit von fünfundzwanzig, siebenundzwanzig oder achtundzwanzig Staaten Europas entscheidet, wenn dies für Wirtschaft, Soziales, Kultur und Politik erstrebenswert und realisierbar erscheint.

Ist es zu spät, um solche Entwicklungen ins Auge zu fassen? Die Verhandlungen sind zwar schon im Gange, und der Inhalt scheint von der Europäischen Kommission fest vorgegeben. Allerdings wurden die wirklich brisanten Probleme bisher ausgeklammert. Und auch die Bürger sind noch nicht zu Wort gekommen – weder die der MOEL, noch die der Fünfzehn. Unsere Parlamente müssen dazu noch Stellung nehmen. Hier und da werden vielleicht Referenden stattfinden. Es ist durchaus keine Utopie sich vorzustellen, dass die Zivilgesellschaften noch Bewegung in diesen Prozess bringen. Die Frage ist nur, wie sie das tun – auf konstruktive und solidarische oder auf negative und populistische Weise. Darin liegt der Kern der zivilisatorischen Herausforderung, der wir uns als europäische Linke zu stellen haben.