Grenzüberschreitende Regionalisierung als Basis europäischer Integration

Beitrag von Helmuth Markov auf der Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 16./17. Juni 2000 in Berlin zum Thema ‚Osterweiterung der Europäischen Union – die soziale Dimension‘

Grenzüberschreitende Regionalisierung als Basis europäischer Integration ordnet sich selbstverständlich und ganz natürlich in den Gesamtkontext der Entwicklung von Regionalkonzepten und Schaffung regionaler Wirtschaftskreisläufe ein. Bezug nehmend auf das, was heute Vormittag Frau Professor Luft in ihrem Beitrag gesagt hat, ist bei einer Betrachtung der jetzigen Mitgliedsländer festzustellen, dass die Regionen in den Randlagen und in den Grenzgebieten relativ gleiche Kennzeichen aufweisen: In diesen Regionen sind kaum selbst tragende regionale Wirtschaftskreisläufe vorhanden, das endogene Potenzial fehlt. Die harten Standortfaktoren in ihrem Vierklang Großunternehmen, Klein- und Mittelstand, öffentliche Aufträge und privater Konsum funktionieren nicht, Infrastrukturentwicklung als eine notwendige Voraussetzung ist in diesen Gebieten nicht vorhanden. Aber auch die weichen Standortfaktoren, d. h. das Wissenschaftsangebot, das Bildungsangebot, das Ausbildungsangebot fehlen. Demzufolge sind die meisten Randregionen im Verhältnis zu den Agglomerationszentren kaum in der Lage, tatsächlich eigenständige regionale Wirtschaftskreisläufe aufzubauen. Das heißt, sie brauchen a priori eine staatliche Intervention. Das zweite Moment ist, dass in diesen Regionen der vorhandene Klein- und Mittelstand größtenteils in Sektoren arbeitet, die sich dadurch auszeichnen, dass sie in einem degressiven Markt tätig sind, kaum über überregionale Marktzugänge verfügen, es einen gnadenlosen Verdrängungswettbewerb gibt, in diesen Regionen die Wertschöpfungspotenziale derart gering sind, dass der Rückgriff auf Kooperationspartner daher nur auf sehr kleinteilige mittelständische Unternehmen bezogen ist, so dass damit natürlich auch der gesamte Umsatz, die gesamte Produktion enorm gering sind. Replik auf die Problematik der Produktivität. Die Produktivität in diesen Regionen (nur von den Regionen in den Mitgliedstaaten der EU gesprochen) ist natürlich geringer. Produktivität kann man aber nicht zum alleinigen Maßstab machen. Produktivität berechnet sich ja anhand der Produktion pro Beschäftigten. Das heißt, die Produktivität könnte in sehr vielen dieser Regionen entschieden höher sein, wenn es den Marktzugang gäbe. Man kann feststellen, dass in diesen Regionen die Auslastung der Produktion in der gewerblichen Wirtschaft nur bei etwa 60 Prozent liegt. So wird deutlich, dass dadurch natürlich auch die Produktivität entschieden geringer ist. Schlägt man nun den Bogen zu den grenzüberschreitenden Regionen, so ergibt sich folgendes Bild: Die Gesamtlänge der kontinentalen EU-Außengrenze beträgt 5421 km, von der 56 Prozent, nämlich 3033 km, auf Grenzstrecken zu den MOE-Staaten entfallen.

Prinzipiell würde die EU-Osterweiterung wenigstens drei wichtige regionale Wirkungen mit sich bringen. Erstens würden sich mit dem Beitritt der baltischen Staaten zwei zusätzliche Möglichkeiten ergeben, wie das m. A. Finnland, selbst wenn man das nicht überbewerten darf, während des Helsinki-Gipfels mit seinem Verständnis der „Nordischen Dimension“ zum Ausdruck gebracht hat. Nämlich, diese Staaten in ihre Sphäre unbedingt einbinden, sozusagen ein geschlossenes Konzept schaffen, das man baltisch nennen könnte im Gegensatz zu dem, was jetzt die südlichen Mitgliedstaaten in Südeuropa und am Mittelmeer haben. Gleichzeitig liegt es natürlich auch im Sinne der Regionalpolitik, grenzüberschreitend insbesondere in den Gebieten Kaliningrad, in den Gebieten St. Petersburg, in den Gebieten Murmansk etc. Handelstätigkeit allmählich zu verstärken. Der zweite wichtige Aspekt: Wenn die Donaustaaten hinzukommen, ergibt sich sofort eine ganz andere Dimension. Griechenland, das als Mitgliedsland der EU jetzt relativ isoliert ist, wäre natürlich zusammen mit den Staaten Rumänien, Bulgarien, Ungarn sofort in einer ganz anderen Phase, hätte ganz andere Möglichkeiten einer regionalen Verknüpfung, wodurch sich eben auch zusätzlich regionale Wirtschaftskreisläufe ergeben könnten, die jetzt durch die staatliche Grenzziehung einfach nicht gegeben sind. Und das dritte Moment ist die Scharnierfunktion von Polen, Tschechien und der Slowakei als Bindeglied zwischen den nördlichen und nordöstlichen Mitgliedstaaten zu den südosteuropäischen. Man kann feststellen, dass in den Grenzregionen mittlerweile die Tendenz besteht zu versuchen, über die sogenannten Euroregionen allmählich ganz wichtige Schwerpunkte schon jetzt zu setzen. Und es ist gleichgültig, ob man sich die Euroregion POMERANIA, Viadrina, Spree-Neiße Bober oder auch andere anschaut – das Ziel ist bei allen gleich: „die Aufnahme gemeinsamer Aktivitäten, um die Entwicklung der Region und die Annäherung der Bewohner und Institutionen in den beteiligten Regionen zu fördern“. Hier gibt es Übereinstimmung. Doch es bleibt ein Grundproblem. In diesen Regionen sind die Träger des Versuchs der Zusammenarbeit die kommunalen Gebietskörperschaften: die Städte, die Gemeindeverbände, die Kommunalverbände, die zwar wirtschaftspolitisch gesehen durchaus über Genehmigungsverfahren, über Ansiedlungsverfahren, über Entwicklung kleinteiliger Wirtschaft eine relativ große Wirkung haben, die aber in ihren Handlungsmöglichkeiten beschränkt sind, weil sie eingebunden sind in den gesamten Kontext Europanationalstaat, dann vielleicht noch Föderalstaat wie in der Bundesrepublik und erst dann als Region agieren können. Unabhängig davon entwickelt sich in diesen Regionen ein besonderes Potenzial, das sich dadurch ausdrückt, dass man sukzessive in der Phase des Vorbeitritts – also bevor die Länder beitreten – versucht, schon bestimmte Voraussetzungen zu schaffen:

Zusammenarbeit und den Austausch von Gesellschafts-, Wissenschafts-, Kultur-, Jugend- und Berufsgruppen zum besseren Kennenlernen der Bevölkerung der grenznahen Regionen
Ausbau und Anpassung regionaler Infrastruktur an die Bedürfnisse
Entwicklung einer koordinierten Raumplanung beiderseits der Grenzen
Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit
Einrichtung gemeinsamer Gymnasien oder Universitäten
Entwicklung grenzüberschreitender Naturschutzmaßnahmen (z. B. Unteres Odertal).

Es ließen sich genügend Projekte benennen, die in diesem grenzüberschreitenden Raum bereits realisiert worden sind und gut funktionierten, die durch diese Zusammenarbeit eine Vielzahl regionaler Effekte erbracht haben. Der große Nachteil ist aber, dass wir zwei europäische Programme haben: Interreg und Phare. Interreg als das Programm, das den Mitgliedstaaten zur Verfügung steht, und Phare als das Programm der Beitrittskandidaten. Es ist ein enormer Verwaltungsaufwand vonnöten, der meist nicht zahnt, weder bei der Mittelbereitstellung noch bei der Mittelausgabe, um gemeinsame Projekte zu entwickeln. Das heißt, durch die Trennung der beiden Programme diesseits und jenseits der Grenze bei Mittelbereitstellung und -einsatz sind sie in ihrer Effektivität eingeschränkt. Es gibt sehr viele Beispiele, dass auf der einen Seite Gelder ein Jahr früher genehmigt worden sind als auf der anderen, was sich natürlich hemmend auswirkt. Also ein enormer Verwaltungsaufwand, der der regionalen Entwicklung im grenzüberschreitenden Verkehr nicht gerade förderlich ist. Es gibt ein weiteres europäisches Programm im Rahmen des Vorbeitritts – ISPA. Damit werden jährlich ca. 1 Milliarde DM für alle Beitrittskandidatenländer sowohl der Luxemburg-Gruppe als auch der Helsinki-Gruppe zur Verfügung gestellt. 1 Milliarde hört sich sehr viel an. Die Gelder dieses Programms sind vorrangig auf die Verkehrsinfrastrukturentwicklung und den Umweltschutz fokussiert. Stellt man diese Summe ins Verhältnis zu dem notwendigen Finanzbedarf in den Beitrittskandidatenländern, so beträgt diese 1 Milliarde lediglich 3 Prozent des gesamten Finanzbedarfs. Es macht also deutlich, dass es zwar ein Tropfen auf den heißen Stein ist, aber letztlich in einer kurzen Zeit – und ich bin dafür, das auch fair zu benennen – nicht dazu beitragen wird, diese Probleme in den Beitrittskandidatenländern im Vorfeld des Beitritts zu lösen. Natürlich räumt die Europäische Union den Beitrittskandidatenländern großzügig die Möglichkeit ein, Kredite aus der Europäischen Investitionsbank aufzunehmen. Das können sie aber nicht, da sie nicht in der Lage sind, diese zurückzuzahlen. Zudem sind in den MOE-Staaten die Möglichkeiten, aus den nationalen Haushalten oder durch die Bildung von privat-public partnership zusätzlich Kapital zu akquirieren, objektiv mehr als begrenzt. Diese Empfehlungen sind theoretisch hervorragend, praktisch aber nicht realisierbar. Bei der Behandlung dieser Problematik kommt man jedoch nicht umhin fair zu sagen: die Europäische Union ist der eine Part, der andere Part sind die Nationalstaaten, die auch ihrer regionalen Entwicklung in den zurückgebliebenen Regionen entschieden mehr Aufmerksamkeit widmen müssen, als sie es bisher tun. In der Wissenschaft gibt es drei verschiedene Theorien. Sie treffen hier insofern zu, da von jeder ein Stück stimmt und ein Stück nicht stimmt. Die eine Theorie, das sogenannte Heckscher-Ohlin-Samuelson Theorem, geht davon aus, dass sich grenzüberschreitende Arbeitsteilung zuerst in benachbarten Regionen herausbildet, weil die Transportkosten geringer sind, wobei aus den fortgeschrittenen Regionen arbeitsintensive Fertigungen abwandern und wissensintensive zuwandern; Kapital fließt in die zurückgebliebene Region, mobile Arbeitskräfte strömen in die fortgeschrittene, in dessen Folge sich längerfristig Entwicklungsniveaus angleichen. Das mag stimmen, wenn es in diesen Grenzregionen fortgeschrittene und nicht fortgeschrittene unterschiedliche Regionen gibt. Da sie aber meist auf einem ähnlich angenäherten Entwicklungsniveau sind, dauern diese Entwicklungsprozesse entschieden länger und ich glaube nicht, dass das als allein gültige Theorie gelten kann.

Die zweite Theorie, die neue Außenhandelstheorie, besagt, dass intensiver Handel zwischen zwei Regionen nicht unbedingt davon abhängig ist, wie hoch die komparativen Kostenvorteile sind.

Die dritte Theorie, die sogenannte neue Wachstumstheorie, ist die mutigste, denn sie lässt prinzipiell offen, ob freier Handel und unbegrenzte Faktormobilität zu Konvergenz oder Divergenz von Regionen führen, da sie den entscheidenden Faktor wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung in der Wissensakkumulation sieht.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf die Diskussion von heute morgen zurückkommen – zur Migration. Dieses Problem muss man sehr differenziert betrachten. Ich glaube nicht, dass es eine große Migration von einer armen in eine andere arme Region geben wird. Vielmehr glaube ich, dass sich die Migration aus den Beitrittskandidatenländern fast ausschließlich in die Agglomerationszentren bewegt, dass das hochqualifizierte wissenschaftliche Personal abwandert, von den Bauarbeitern und Zeitarbeitern einmal abgesehen. Damit geht natürlich Wissenspotenzial aus den Beitrittskandidatenländern einfach verloren, was dringend notwendig wäre im Interesse ihrer eigenen Entwicklung. Demzufolge ist wirtschaftspolitisch zu trennen zwischen betriebswirtschaftlichem und volkswirtschaftlichem Verständnis.

Unabhängig davon läst sich aber sagen: Betrachtet man die kumulierten ausländischen Investitionen von Unternehmen in Beitrittskandidatenländern, so ist festzustellen, dass sich westliche Unternehmen fast ausschließlich – zu 85 Prozent – in den Agglomerationszentren engagieren bzw. deren unmittelbarem Umland, weil sich dort auch vorrangig Industrie oder Dienstleistungszentren befinden, Hochschulen mit qualifiziertem Personal etc. vorhanden sind und auch ein leichter zu erreichender Markt mit hohem Konsumentenpotenzial auf dichtem Raum zur Verfügung steht. .

Nimmt man als exemplarisches Beispiel Polen, wird dies deutlich. Warschau, Gdansk, Szczecin, Posnan und Wroclaw sind absolut bevorzugt. Die Gebiete entlang der Westgrenze sind für Auslandsinvestitionen alles andere als attraktiv. Übrigens stammen nur 20 Prozent der Investitionen in Polen aus der Bundesrepublik Deutschland, obwohl man als Nachbar natürlicher Kooperationspartner wäre. 80 Prozent entfallen auf andere westeuropäische Unternehmen. Demzufolge ist die häufig geäußerte These, wirtschaftliche und soziale Entwicklung bilde sich längerfristig ohne öffentliche Intervention heraus, auch praktisch nicht haltbar. Ohne gezielte Strukturpolitik unter Berücksichtigung endogener regionaler Potenziale wird es keine Annäherung, sondern mehr Auseinanderdriften geben. Mir ist durchaus bewusst, dass selbst die enormen Mittel aus den Strukturfonds in den Ziel-1-Regionen der Mitgliedstaaten keine grundlegende Verringerung der Beschäftigungslosen gebracht hat, wie auch der jüngste Bericht des EP zu diesem Thema zeigt. Aber ohne dies wären die Unterschiede noch entschieden größer. Im übrigen, aber darauf wird Frau Prof. Etxezarreta nachfolgend bestimmt eingehen, liegt dies auch in der Zielrichtung der Strukturfonds begründet. Infrastrukturentwicklung ist ein wichtiger Punkt zur Regionalentwicklung, aber eben nur einer. Im Gegensatz dazu – bei allen Unzulänglichkeiten – hat der Kohäsionsfonds der Europäischen Union in den betroffenen vier Ländern doch erhebliche Entwicklungen freigesetzt. Dies setzt aber auch voraus, dass die Mitgliedstaaten der EU bereit sind, die erforderlichen Finanzressourcen aufzubringen und nicht die gegenwärtige Tendenz weiter verfolgen, die Mittel permanent zu kürzen und neuen politischen Herausforderungen lediglich durch Umschichtungen, also Streichungen bei anderen Notwendigkeiten, begegnen zu wollen.

Die Europäische Union investiert natürlich eine große Anzahl von Mitteln insbesondere in die Strukturfonds, die ja zum größten Teil in die Ziel-1-Regionen gehen. Zum Verständnis: Ziel-1-Regionen sind die Regionen, die unter 75 Prozent des Durchschnitts des Bruttosozialproduktes der Mitgliedstaaten der EU liegen. Von 50 Regionen in den Beitrittskandidatenländern Zentraleuropas haben 48 Regionen ein registriertes Bruttosozialprodukt von unter 75 Prozent des Durchschnitts der 15 Mitgliedstaaten. Nur zwei Regionen, die Region Prag und die Region Bratislava, wären nach heutiger Definition kein Ziel-1-Gebiet. Betroffen wären etwa 100 Millionen Bürger in diesen 10 hinzukommenden Staaten. Die Europäische Union hat vier Einnahmequellen. Ich konzentriere mich auf eine, darauf, dass zumindest die maximal möglichen 1,27 Prozent des Bruttosozialproduktes der Mitgliedstaaten in den europäischen Topf fließen müssen. Der Prozentsatz liegt gegenwärtig bei 1,1 Prozent. Aber in der Agenda ist vorgesehen, dass bei Beitritt diese Mittel bis zu dieser Höhe ausgeschöpft werden könnten. Das stellt tatsächlich ein zusätzliches Finanzpotenzial dar, was den Beitrittskandidatenländern vorrangig nutzen sollte. Anderenfalls würde dies bedeuten, dass eine Neubestimmung der jetzigen Ziel-1-Regionen bei den Strukturfonds vorgenommen wird, was dramatische Folgen in den heutigen Grenzregionen der Mitgliedstaaten der EU hätte, und damit bei Beitritt der Kandidatenländer insbesondere diese Regionen dann grenzüberschreitend entschieden geringere Chancen auf einen selbsttragenden Wirtschaftskreislauf bekämen. Die Europäische Union ist also gezwungen, entweder zu akzeptieren, dass es diese regionalen Unterschiede auch in einem sehr langem Zeitraum noch geben wird, was natürlich Auswirkungen auf die sozialen Standards hätte, oder aber sie entschließt sich dazu, zusätzliche Finanzmittel zu erschließen.

Gleichwohl rücken natürlich die heutigen Grenzregionen geopolitisch vom Rand in Richtung Zentrum, partizipieren über das Grundprinzip der dezentralen Konzentration, nehmen eine neue Stellung zwischen Agglomerationszentren ein. Regionalpolitisch gesehen verschieben sich dadurch Entwicklungspotenziale, die Divergenz zwischen den dann neuen Grenzregionen zu Russland, der Ukraine, Moldawien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Jugoslawien verstetigt sich.

Das heißt, Regionalpolitik müsste man heute schon so ausrichten, dass man sie nicht vorrangig in die heutigen Grenzregionen legt, sondern sie generell in die regionale Entwicklung der Beitrittskandidatenländer verlagert.

Hier greift natürlich auch im Sinne des Subsidiaritätsprinzips die Verantwortung der Länder, im Vorfeld des Beitritts den regionalen Strukturwandel zu befördern, Additionalität zu den EU-Fonds zu gewährleisten, mehr Eigenständigkeit des Handelns in den Regionen zu befördern.

Akzeptierter Standpunkt aller Fraktionen im Europäischen Parlament als auch der Kommission ist es, dass im Rahmen des gemeinschaftlichen Besitzstandes bei der Diskussion des Kapitels 21 „Regionalpolitik“, welches unter portugiesischer Ratspräsidentschaft am 6.4.2000 geöffnet wurde, besonderer Wert auf ein in sich geschlossenes Konzept – von Programmierung, Kofinanzierung, Partnerschaft, Projektentwicklung, Kontrolle, Finanzmanagement bis hin zu Evaluierung – gelegt wird, bei dem auch die sektoralen Bedingungen in den Regionen entschieden stärkere Berücksichtung finden müssen.

Gerade auch im Zusammenhang mit der Agrarproblematik – auf das auf diesem Gebiet zur Verfügung stehende SAPARD-Programm will ich nicht eingehen, da es dazu einen eigenen Beitrag gegeben hat – muss man die Entscheidung fällen, wie man in Zukunft nicht nur für Westeuropa einen Markt eröffnen, sondern wie man tatsächlich eine Integration der osteuropäischen Länder in dieses Gesamteuropa vollziehen will.

Viele Politiker der Mitgliedstaaten sagen heute schon, die Erweiterung der Europäischen Union ist keine Transferunion. Das heißt, sie sind nicht willens und nicht bereit, zusätzliche Gelder aus ihren eigenen Haushalten für die Erweiterungsländer zur Verfügung zu stellen. Und wenn sie dies nicht tun werden, sind wir von einer Annäherung der Sozialstandards weit entfernt. Wie sollen Polen, Tschechien, Litauen, Slowenien, Estland, Ungarn oder Rumänien in der Lage sein, über 20 Prozent des gesamten Bruttosozialprodukts für Sozialtransferleistungen aufzubringen? Allein schaffen es diese Länder nicht, da die Umverteilungsmasse ja erst einmal erwirtschaftet werden muss. Wir wissen, dass die Wirtschaftssituation in den Beitrittskandidatenländern es gegenwärtig nicht zulässt, einen so hohen Sozialtransfer in ihren Ländern zu realisieren. Regionalpolitik muss sich im Vorfeld des Beitritts vorrangig darauf konzentrieren, den Strukturwandel bereits sektoral vorzunehmen, das heißt, es ist festzulegen, in welchen Wirtschaftssektoren, auf welchen Wirtschaftsgebieten das Potenzial sowohl ökonomisch, ökologisch als auch bildungsmäßig vorhanden ist und dort den Schwerpunkt setzen. Und dieser Strukturwandel muss dann im Vorfeld des Beitrittes auch mit Hilfe der Europäischen Union befördert werden.

Ich habe versucht, in meinem Beitrag verschiedene Seiten der Chancen und Risiken in den Regionen zu beschreiben, hege aber auch die Befürchtung, die kürzlich Claude Juncker, der luxemburgische Regierungschef, geäußert hat: „Ich habe sogar Zweifel, dass wir (gemeint sind die jetzigen Mitgliedstaaten der EU) unsere Hausaufgaben schaffen und am 1.1.2003 erweiterungsfähig sind.“ Den Grund dafür sehe ich vor allem darin, dass man sich in politischen Traumvorstellungen ergeht und es versäumt, die notwendigen wirtschafts- und sozialpolitischen Voraussetzungen für diesen Prozess zu schaffen.