Wie weit ist Europa den Kommunen wirklich? Über den Einfluss der Europäischen Union auf die Kommunen in der Bundesrepublik

Vortrag von Helmuth Markov auf einer Tagung des kommunalpolitischen forums Land Brandenburg e.V. am 20. Mai 2000 in Potsdam

Um es vorwegzunehmen: Eine Unmenge gemeindlicher und städtischer Aktivitäten, seien es freiwillige oder pflichtige Aufgaben, haben eine europapolitische Dimension. Diese ist freilich nicht immer erkennbar. Insbesondere wenn Kommunen übertragene Aufgaben von Bund und Länder wahrnehmen ist Europa meist nur indirekt und mittelbar beteiligt. Wahrscheinlich ist der größte Teil gemeindlichen Handelns von europäischer Politik und Gesetzgebung beeinflusst. Das kann nicht verwundern, sind doch wenigstens 80 Prozent der Bundesgesetzgebung Folge europäischer Rahmengesetzgebung bzw. durch diese mitbestimmt.

Das Maß europäischen Anteils an gemeindlicher Politik zu bestimmen ist außerordentlich schwierig. Dies ist einem Prinzip geschuldet, welches eine recht klare Kompetenzhierarchie schafft und den Einfluss der jeweiligen politischen, legislativen und administrativen Ebenen untereinander definiert und abgrenzt. Subsidiarität heißt hier das Schlagwort, welches immer wieder zitiert wird, wenn sich die Akteure verschiedener Ebenen um das Wieviel des Einflusses der anderen Ebenen streiten. Insbesondere Vertreter der kommunalen Spitzenverbände wehren sich immer häufiger gegen Bestrebungen, gemeindliche und städtische Aufgaben zunehmend vom Land, vom Bund und sogar von der Europäischen Union bestimmen zu lassen.

Das Subsidiaritätsprinzip und die Aufgabenhierarchie ist auch der Grund dafür, dass wohl die meisten europäischen Einflüsse auf die Kommunalpolitik indirekt und über die Ebenen Bund und Land wirken. Selbst die wohl bekanntesten und offensichtlichsten Auswirkungen der EU-Politik, nämlich die Förderung von Projekten und Investitionen über die verschiedensten Programme und Fonds sind nur in den wenigsten Fällen absolut direkter Art, läuft doch die Mittelausreichung regelmäßig über die Administration von Land und Bund. Nur einige wenige Programme werden direkt von der Kommission verwaltet und ausgereicht.

Damit ist bereits ein erster, sehr großer Einflussbereich der EU genannt. Jährlich fließen Milliarden Summen aus den Töpfen der EU in die Regionen auch Ostdeutschlands. Davon profitieren nicht zuletzt auch die Kommunen, welche sehr oft als Träger der geförderten Maßnahme oder Investition auftreten.

Die Palette zu fördernder Maßnahmen ist recht vielseitig. Oft sind es Projekte zur Berufsausbildung oder Umschulung, die von der EU unterstützt werden. Einen weiteren Förderbereich stellen Investitionen in Infrastruktur und Dienstleistung dar.

In den Komplex der positiven Beeinflussung durch die EU gehören ebenfalls die Beihilfen, die wegen verschiedener Erwägungen ohne gesonderte Förderanträge und Fristen, gewissermaßen pauschal gezahlt werden, auch hier wieder über die Haushalte der Länder. Erst jüngst beschäftigte sich das EP beispielsweise mit den Beihilfen für die Abgabe und den Verbrauch von Schulmilch an Kita- und Hortkindern. Hier werden Beihilfen an die Mitgliedsstaaten gezahlt, damit die tägliche Schulmilch für entsprechende Altersgruppen möglichst preiswert abgegeben werden kann. Neben dem gesundheitspolitischen Aspekt ist diese Beihilfe, die es seit Ende der 60er Jahre gibt, hauptsächlich absatzfördernd begründet und damit auch und gerade eine marktpolitische Beihilfe. Sie wird von den Ländern kofinanziert und an die Schulmilchlieferanten weitergegeben. Die Kommunen übernehmen dann noch einen sehr geringen Eigenanteil.

Weit weniger positiv, weil fördernd, sondern eher restriktiv, weil einschränkend wirkt die Europäische Union auf die Kommunen auf dem Gebiet der Gesetzgebung und der Wahrung des EU-Rechts. Dabei ist wieder das Feld der mittelbaren Einflussnahme größer als das der direkten. Grundsätzlich nimmt die EU über ihre Rahmengesetzgebung Einfluss auf die Normen des gesellschaftlichen Systems ihrer Mitgliedsländer, so dass es meist die Bundes- und Landesgesetze sind, die die EU-Richtlinien widerspiegeln und von den Kommunen einzuhalten und durchzusetzen sind. Die Spanne reicht von Richtlinien für die technische und bauliche Ausführung von Gebäuden, Anlagen und Verkehrswegen über Richtlinien für Sicherheitsstandards und Gefahrenabwehr bis hin zu Regelungen für die Temperatur in Kindergärten.

Aktuell in die Diskussion geraten ist das weite und komplizierte Feld des europäischen Wettbewerbsrechts, welches seine Finger auf die Arbeit kommunaler Unternehmen oder öffentlich-rechtlichen Einrichtungen ausstreckt. In den Medien ist derzeit viel über das deutsche Sparkassenwesen zu erfahren, welches aufgrund seiner Organisations- und Aufgabenstruktur ins Blickfeld der Brüsseler Wettbewerbshüter geraten ist. Es geht hier um Fragen des EU-Beihilferechts hinsichtlich der kommunalen Gewährträgerhaftung und der öffentlichen Anstaltslast. Diese stehen offenbar dem streng liberalen Weltbild der Brüsseler Kommissare und dem Interesse der Privatbanken entgegen. Ziel der angestrebten Entwicklung ist letztlich die Abkehr vom öffentlichen Auftrag der Sparkassen und der vollständige Wettbewerb mit den Privatbanken.

Die Liberalisierungsbestrebungen der EU treffen nicht nur die Sparkassen. Im Grunde ist das gesamte deutsche öffentlich-rechtliche Unternehmungswesen Gegenstand unterschiedlicher Meinungen zwischen EU und Bundesrepublik. Betroffen sind auch kommunale Ver- und Entsorgungsbetriebe und der ÖPNV. Dem Wettbewerbskommissar Mario Monti missfällt beispielsweise die z.T. gängige Praxis der Quersubventionierung in öffentlichen Unternehmen. Sollte sich die Meinung durchsetzen, die Subventionierung des defizitären Personennahverkehrs durch Überschusszuweisung aus z.B. dem gewinnbringenden Strommarkt sei eine unzulässige Beihilfe, könnte dies das Ende der Quersubventionierung bedeuten und schließlich sogar das Aus des gesamten kommunalen Leistungssystems. Bürgerfreundliche Angebote der öffentlichen Daseinsvorsorge wären in Gefahr.

Erhebliche Auswirkungen auf die Kommunen hat auch die Liberalisierung des Energiemarktes, die über eine EU-Binnenmarktrichtlinie geregelt wurde. Die Folge des vollständigen Preiswettbewerbs, der vom Bund entgegen den gemäßigten Möglichkeiten der EU-Richtlinie eingeführt wurde, sind beachtlich: Es ist mit erheblichen Verlusten bei den Einnahmen aus den Konzessionsabgaben zu rechnen in deren Folge wiederum der Quersubventionsausgleich nicht mehr wie bisher funktioniert. Auch die Gewerbesteuereinnahmen der Versorgungsunternehmen wären insgesamt rückläufig. Mit der Aufhebung der Geschlossenheit der Versorgungsgebiete und der Einführung der Leitungsbenutzung durch Dritte sehen sich die kommunalen Versorger dem massiven Preisdruck überregionaler Anbieter ausgesetzt.

Nicht ohne Auswirkungen für die Städte und Gemeinden würde eine Ausweitung der Verpflichtung zur europaweiten Ausschreibung von Bau-, Liefer- und Dienstleitungen bleiben. Bund, Länder und Gemeinden vergeben jedes Jahr Aufträge für rund 400 Mrd DM, der kommunale Anteil liegt bei 50 Prozent. Wie weit die Ausschreibungspflicht reicht, ist indes zwischen Kommission, Kommunen und Bund umstritten. Der Streit umfasst die Einbeziehung bestimmter öffentlich-rechtlicher Unternehmen in die Ausschreibungspflicht, die Auswirkung der Liberalisierung im Strom- und Telekommunikationsmarkt sowie Ausnahmen vom Vergaberecht für In-house-Geschäften zwischen den Gemeinden und von ihnen beherrschten Unternehmen. Eine Ausschreibungspflicht ohne Ausnahmeregel für Kommunen und kommunale Unternehmen führt zu einem verschärften Wettbewerb für die städtischen betriebe, deren Existenz dadurch u.U. gefährdet ist. Es bestünde ebenfalls die Gefahr, dass durch die Ausschreibungspraxis lukrative gewinnbringende Unternehmensbereiche privatisiert und defizitäre Bereiche in kommunaler Hand verbleiben.

Sämtliche genannten Einflüsse der EU auf die Städte und Gemeinden sind nicht im ausschließlichen Zusammenhang mit der EU-Erweiterung zu sehen. Beihilfen, Programme, Gesetzgebung und Liberalisierung sind ständige Instrumente der EU. In unterschiedlichem Maße werden diese aber im Falle der EU-Osterweiterung eine Veränderung erfahren.

Große Teile der Gesetzgebung und der Richtliniensetzung durch die Union bleiben hinsichtlich der Wirkung auf die deutschen Kommunen wohl unverändert- Zahlreiche EU-Richtlinien sind von den Beitrittsstaaten zu übernehmen und in nationales Recht umzusetzen. Diese dürften keine neue Wirkung auf die bisherigen Mitgliedsstaaten entfalten.

Insbesondere wenn es aber um Beihilfen und Förderprogramme geht, steht der EU eine große Herausforderung bevor. Vor allem wenn dem großen Finanzbedarf der vorwiegend finanz- und strukturschwachen Regionen der Beitrittsstaaten nicht auch ein entsprechend gleichhoher Einnahmebetrag entgegensteht, muss mit einer Neuverteilung europäischer Mittel gerechnet werden.

In Abhängigkeit des Gelingens und des Umfangs der Reform des EU-Eigenmittelsystems, ist mit einer Verringerung der Ausgaben der EU für weite Teile des bisherigen Unionsgebietes zu rechnen. Ob auch die ostdeutschen Ziel-1-Gebiete dabei sind, hängt wesentlich vom Ausgang der Verteilungsverhandlungen innerhalb der europäischen Institutionen und der Mitgliedsstaaten ab.