Der Brandstifter und die Biedermänner – Haider in Europa

Andreas Wehr

Ist zu diesem Thema in den letzten Wochen nicht schon alles gesagt worden? Nein: Geführt wurde die Debatte fast allein um die Frage, ob die Sanktionen der EU-Staaten Haider bremsen, ob sie ins Leere gehen oder ihm gar am Ende nutzen, wofür einiges spricht. Kaum thematisiert wurde hingegen der Umstand, warum sich die Europäische Union quasi über Nacht zu einer anti-nazistischen Wertegemeinschaft wandelte, voller Sorge um die demokratische Stabilität eines ihrer kleinsten Mitgliedsländer. Dabei ist die europäische Reaktion alles andere als der Normalfall, wurde doch noch vor sechs Jahren Berlusconi mit seiner Rechtsregierung klaglos hingenommen, trotz Lega Nord und Neofaschisten. Und als 1991 die islamistische FIS die Wahlen in Algerien gewann, da mahnte nicht zuletzt die EU die algerischen Machthaber, das demokratisch zu Stande gekommene Ergebnis gefälligst zu respektieren.

Sollten die herrschenden Eliten Europas hinzugelernt haben? Oder ist es nicht so, dass die Sanktionen ein Akt der Prävention gegenüber einer europaweiten Bewegung sind, die nicht nur anti-demokratische und rassistische Ideologien vertritt, sondern zentrale soziale Probleme thematisiert? Hier die FPÖ, dort der Vlaams Blok, die Dansk Folkeparti, der Front National, schließlich die Lega Nord Bossis. All diese Sumpfblüten gedeihen wohl in ihren jeweils eigenen nationalen Biotopen und doch finden sich zwischen ihnen erstaunlich viele Gemeinsamkeiten. So sind sie alle militant fremdenfeindlich, antisozialistisch, geprägt von sozialdarwinistischen Vorstellungen, und vor allem geben sie sich europafeindlich. An die Stelle eines vereinigten Europas setzen sie auf die nationale bzw. auf die regionale Differenz.

Obwohl ihre Mitglieder- und Funktionäre weitgehend dem kleinbürgerlichen Milieu verhaftet sind, verdanken sie ihren Aufstieg der wachsenden Zustimmung der sozial Benachteiligten, der von der Globalisierung aus dem Gleis geworfenen Modernisierungsverlierer. So haben in Österreich bei der jüngsten Nationalratswahl 52 % der wählenden Arbeiter für die FPÖ gestimmt. Da kann es nicht verwundern, wenn diese rasch wachsenden Bewegungen nicht nur von der Linken als gefährliche Bedrohung empfunden werden, sondern auch von denen, die gegenwärtig im Namen Europas die in der Nachkriegszeit erkämpften Wohlfahrtsstaaten demontieren und an die Stelle nationalstaatlicher Schutzräume das neoliberale „Jeder-gegen-jeden“ des globalisierten Turbo-Kapitalismus setzen. Fürchtet man dort doch nicht so sehr Gefahren für die Demokratie als vielmehr eine Blockade der EU-Erweiterung, in deren Vollzug noch bestehende soziale und ökologische Mindeststandards geschleift werden sollen.

„Brüssel“ ist alles andere als ein unschuldiger Prügelknabe: Es gibt in den Mitgliedsländern kaum ein neoliberales Projekt, das nicht über den Europäischen Rat und die Kommission eingefädelt und vorangetrieben wird, angefangen von der Einführung des Binnenmarkts und des Euro, über die Privatisierung im Bereich von Post, Telekommunikation und öffentlichen Nahverkehrsunternehmen hin zur der Liberalisierung der Strommärkte. Die im Europa der Bürger versprochene Schaffung einer Beschäftigungs- und Sozialunion hingegen blieb papierne Erklärung. Nicht einmal zu einer Schließung der Steuerschlupflöcher reichte es. So erleben die Menschen, wie die Nationalstaaten und die in ihrem Rahmen durchgesetzten sozialstaatlichen Errungenschaften immer weiter ausgehöhlt werden, ohne dass auf supranationaler Ebene entsprechende Regelungen träten.

In Österreich, das erst 1995 der EU beitrat, ist die Demontage des Sozialstaats im Namen Europas besonders handfest zu spüren. Die österreichischen Sozialdemokraten, die den Sozialstaat einst aufgebaut hatten, beschränken sich derzeit auf Schönfärberei und verweisen auf kommende bessere Zeiten. Als die SPÖ im Wahlkampf ihren Spitzenmann Klima mit Blair und Schröder vor der blauen Europaflagge plakatierte, war das eine Steilvorlage für Haider. Die SPÖ verlor glatte sechs Prozent und machte damit die Regierungsbildung von ÖVP und FPÖ erst möglich.

Zu analysieren ist die nur auf den ersten Blick paradoxe Situation, dass mit Hilfe europäischer Sanktionen ein Brand eingedämmt und gelöscht werden soll, dem von den gleichen Kräften immer neuer Brennstoff zugeführt wird. Der Ruf der Anti-Haider-Demonstranten auf dem Wiener Heldenplatz „Europa steht hinter uns“ könnte sich daher als verhängnisvoller Trugschluss erweisen. Eine Linke, die den Zusammenhang von Sozialabbau und Demagogieanfälligkeit nicht begreift, springt zu kurz und kann den Populisten von rechts ihr Aktionsfeld nicht nehmen. Wir müssen Ängste und Sorgen der Menschen – etwa vor einer allein marktorientierten Erweiterung der EU mit der Folge ungehemmter Arbeitskräftekonkurrenz – ernst nehmen. Von den Sozialdemokraten der Neuen Mitte ist da nichts zu erwarten. Im Gegenteil: Die spektakuläre Ankündigung Schröders, trotz Arbeitslosigkeit auch in diesem Sektor jetzt junge, leistungsstarke und vor allem billige EDV-Spezialisten ins Land zu holen, zeigt die Richtung an, die dort eingeschlagen wird. Dabei wird es nicht bleiben. Aus dem Handwerk kommt schon der Ruf nach billigen Arbeitskräften von außen. Die Opfer solch provozierter Arbeitskräftekonkurrenz werden, nicht nur in Österreich, weiteren Zulauf für die Haiders sichern, wenn die Linke ihnen keine Perspektive anbieten kann, die soziale Absicherung und Demokratie nationalstaatlich wie europäisch verbindet!

Quelle:
Neuen Deutschland am 27. März 2000