Brüsseler Spitzen – EU-Haushalt mit falschen Ansätzen und ohne Reformwillen
Artikel von Helmuth Markov zum Beschluss des Europäischen Parlamentes über den Haushalt der EU für das Jahr 2001; veröffentlicht im ‚Neuen Deutschland‘ am Freitag, 27. Oktober
Alljährlich das gleiche Spiel: Die EU-Kommission entwirft den Haushalt, der Rat der nationalen Regierungen kürzt den Entwurf, das Parlament empört sich, zwei Monate Säbelrasseln und dann stimmt das Parlament doch wieder zu. So auch gestern.
Für das Jahr 2001 hat der Rat den niedrigsten Haushaltsansatz seit zehn Jahren vorgelegt. 1,05 % des Bruttoinlandproduktes soll er betragen, 1,12 wären nach den Beschlüssen des Berliner Gipfels möglich und auch notwendig. Anfang der 90er Jahre hatte man sich noch auf eine Eigenmittelobergrenze von 1,27% geeinigt. Doch die EU-Finanzminister wollen so wenig wie möglich an die EU zahlen.
Die Kürzungen betreffen wie so oft den Agrarhaushalt, die Strukturfonds, die Sozial-, Beschäftigungs- und Umweltpolitik und das Engagement der EU im Bildungs-, Jugend- und Kulturbereich. Haushaltslinien für Lebensmittelhilfe, der Entwicklungspolitik und der Mittelmeerpolitik sollen zugunsten der Balkanhilfe gekürzt werden. Der Europäische Rat hat den neuen jugoslawischen Präsidenten Kostunica 200 Mio Euro Soforthilfe aus dem Reservefonds zugesagt. Der Wiederaufbau des Landes nach den NATO-Bombardements erfordert Unterstützung in Milliardenhöhe. Woher dieses, vom Rat versprochene Geld kommen soll, ist ungeklärt.
Es genügt nicht, die Hilfsgelder wie Dominosteine zu verrücken und dem einen etwas weg zu nehmen, damit einem anderen Bedürftigen geholfen werden kann. Es müsse mit größerer Entschlossenheit eine Revision der Finanziellen Vorausschau in Angriff genommen werden, erklärte die Parlamentspräsidentin auf dem EU-Gipfel in Biarritz. Auch der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten hat sich erstmals einstimmig für eine Revision der Finanzplanung der EU bis 2006, ausgesprochen. Im entscheidenden Augenblick hat die Mehrheit des Parlament wieder einen Rückzieher gemacht: Der Antrag der linken Fraktion, in der ersten Lesung den Haushaltsentwurf für 2001 abzulehnen und den Rat aufzufordern, in Verhandlungen über die Revision der Finanziellen Vorschau zu treten, wurde abgelehnt – obwohl ihn viele Abgeordnete hinter vorgehaltener Hand für richtig halten. Offensichtlich vertreten Europaabgeordnete in ersten Linie nationale Regierungsinteressen.
Die PDS hat die Idee der Haushaltskonsolidierung immer unterstützt. Sie hat aber deutlich gemacht, dass der Etat den vor der Europäischen Union stehenden Herausforderungen gerecht werden muss. Und diese sind größer geworden mit der Wirtschafts- und Währungsunion, in den internen Politikbereichen wie hinsichtlich der internationalen Verantwortung der EU. Maßnahmen zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit, die Verringerung regionaler, ökonomischer und sozialer Unterschiede, die sozial verträgliche Gestaltung des Erweiterungsprozesses, der Wiederaufbau auf dem Balkan – diese Aufgaben können nicht auf Kosten der Landwirtschaft, der internationalen Lebensmittelhilfe oder der Unterstützung Afrikas finanziert werden.
Auch aus deutscher Perspektive, insbesondere jener der ostdeutschen Bundesländer, sind eine adäquate Ausstattung des EU-Haushaltes und solidarische Finanzierungsmechanismen unerlässlich. Alle ostdeutschen Länder sind Ziel-1-Fördergebiete und erhalten umfangreiche finanzielle Mittel von der EU, um zum durchschnittlichen ökonomischen Niveau der EU aufzuschließen. Dass dieses Ziel bis zum Beitritt der EU-Kandidaten erreicht sein wird, ist unrealistisch. Sollen die heutigen Ziel-1-Regionen nicht der notwendigen Förderung beraubt werden, um die künftigen in den osteuropäischen Beitrittsländern zu finanzieren, ist eine Umkehr der Tendenzen im EU-Haushalt erforderlich.
Quelle:
‚Neuen Deutschland‘ am Freitag, 27. Oktober