Verantwortung übernehmen über BSE
In diesen Tagen, wo Politiker aller parlamentarischer Ebenen, die Wissenschaftler, die Händler in allen Ernährungsstufen die Verantwortlichkeit für die BSE Krise noch breit diskutieren, ist die Agrarproduktion in Not geraten. Die Preise für gesunde und marktfähige Tiere sind gefallen auf 50% des Wertes. Niemand sagt, dass gesunde Tiere für die menschliche Ernährung geeignet sind. Größte Unklarheit besteht darüber, wer die Kosten für die steigenden Futtermittelpreise und die notwendig gewordenen Schnelltests trägt.
Der Bundeskanzler ist zum besten und obersten Verbraucherschützer geworden. Jetzt muss er auch in Verantwortung bleiben, um den Wirtschaftsfaktor Agrarproduktion in Deutschland zu sichern. Im Jahre 1984 wurde erstmals BSE festgestellt, im Jahre 1990 die Übertragbarkeit von Rind zu Rind. Im Juli 1994 wurde von der Europäischen Kommission die Verfütterung von Tiermehl in der Rinderproduktion verboten. Im Juni 2000 wurde der Erlass für Schnelltestverfahren erhoben und im September 2000 die Rindfleischetikettierung veranlasst.
Mit all dem haben sich viele Experten befasst – wie sich heute herausstellt, nicht gründlich genug. Die Gemeinschaft ist der größte Importeur und Exporteur von Lebensmitteln. Diese Branche hat einen Jahresumsatz von 600 Mrd. EURO und beschäftigt 1 Million Bürgerinnen und Bürger. Innerhalb diesen riesigen Märktströmen ist die Forderung nach einer Nullsicherung der Lebensmittelproduktion schon immer ein Risiko an sich. Bei allen von der Europäischen Kommission erarbeiteten Richtlinien zur Sicherung des Verbraucherschutzes, bleibt Vieles offen wie zum Beispiel im Weißbuch für Lebensmittelsicherheit zahlreiche, die Lebensmittelbehörde betreffende Fragen ungeklärt sind:
Welche Beziehungen wird die Lebensmittelbehörde zu den Verbrauchern aufbauen?
Wie erfolgt ihre Finanzierung?
Wie erfolgt die Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten?
Wie effektiv sind die Kontrollen?
Wie erfolgt die Überwachung durch das Parlament?
Wie erfolgt die Leitung der Überwachungsbehörde?
Und wie werden die Kompetenzen der Behörde definiert?
Die notwendigen Entscheidungen darüber werden so verzögert. Die im Rahmen der Agenda 2000 reformierte gemeinsame Agrarpolitik gilt es zu verteidigen. Eine nachhaltige landwirtschaftliche Produktion und die Sicherung gesunder Erzeugnisse sollte allen Beteiligten gestattet sein. Eine Aufspaltung dieser Leitlinien in Agrarfabriken oder Nichtagrarfabriken ist der schlechteste Weg. Die in den letzten Jahren schnell vollzogene Liberalisierung des Handels mit Lebensmitteln ohne Garantie der Rückverfolgung ist die Ernährungsfalle. Ich gehe davon aus, dass eine standortbezogene landwirtschaftliche Produktion innerhalb der Region der geeignetere Weg ist, den Verbraucherinnen und Verbraucher von Lebensmittel den notwendigen Schutz zu bieten.
Brüssel, 4. Dezember 2000