Zur Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Frankreich
Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann am 30.06.00 in Berlin
Die französische Ratspräsidentschaft steht vor einer schwierigen Aufgabe: Auf dem Dezember-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Nizza müssen die Institutionen so reformiert werden, dass auch eine Gemeinschaft mit etwa 30 Mitgliedstaaten funktions-, entscheidungs- und handlungsfähig bleibt. Erreicht werden muss eine Einigung über die „Überbleibsel“ des Amsterdamer Gipfels, was bislang an nationalen Prestige- und egoistischen Machtinteressen scheiterte. Dabei geht es um Größe und Zusammensetzung der Kommission, eine neue Stimmgewichtung im Rat und die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen.
So wichtig die Lösung dieser Fragen auch ist, der Schlüssel für die Stabilität, die Erweiterungs- und Zukunftsfähigkeit der EU liegt nicht in konstitutionellen oder Prozedurfragen. Er liegt vielmehr im sozialen Zusammenhalt der EU und darin, dass die Gemeinschaft transparent und demokratisch wird und zugleich zivil bleibt. Dringend gestärkt werden muss deshalb ihre soziale Dimension. Die Schaffung einer Sozial- und Beschäftigungsunion als Ergänzung zur Wirtschafts- und Währungsunion muss Integrationsziel werden.
Von daher sollten das Gemeinwohl und die Bedürfnisse der in der EU lebenden Menschen Ausgangspunkt der anstehenden institutionellen Entscheidungen sein. Dazu gehört, dass Reform und Erweiterung der EU mit der Frage verbunden werden, welchen Beitrag die Union zum Erhalt des Sozialstaatsmodells in den Mitgliedstaaten und zu dessen Aufbau in den mittel- und osteuropäischen Beitrittsländern leistet. Weichen für eine klare Kompetenzabgrenzung zwischen EU, Mitgliedstaaten und Regionen sind zu stellen, um vor allen den Unions-bürgerInnen die berechtigte Sorge zu nehmen, immer mehr Entscheidungsrechte würden unbedacht nach Brüssel verlagert. Die sich derzeit in Erarbeitung befindliche Grundrechte-Charta darf nicht als unverbindliches Beiwerk ad acta gelegt werden. Benötigt wird keine Militärunion, auf die während der französischen Ratspräsidentschaft die sogenannte verstärkte Zusammenarbeit einiger Mitgliedstaaten unter deutsch-französischer Führung gerichtet werden soll. Politisch und finanziell gestärkt werden müssen vielmehr die Instrumente nicht-militärischer Konfliktprävention und -beilegung in Europa und seinen Nachbarregionen.
Werden diese Fragen während der französischen Ratspräsidentschaft nicht entschlossen in Angriff genommen, dann wird Nizza ebenso wie Amsterdam „Leftovers“ produzieren. Dies wäre mehr als fatal sowohl für die Reform als auch für die Erweiterung der Union.