Benzinpreiskrise in Europa

Helmuth Markov am 20. September 2000 in Brüssel

Die steigenden Benzinpreise lassen Europa spätestens seit der letzten Woche kopfstehen. Das verwundert nicht wirklich: Die heute fast grenzenlose Mobilität setzt bisher beinahe vollständig auf den Rohstoff Öl. Die Nachfrage nach Warentransport und individueller Mobilität steigt ständig und damit auch der Bedarf an Rohölprodukten. Das bringt vor allem 3 Probleme mit sich:

Erstens: Die Produktionskapazitäten stoßen an ihre Grenzen. Die tägliche Fördermenge an Rohöl beträgt 26,6 Mio. Barrel (1 Barrel = 159 Liter). Die Hälfte der weltweiten Reserven ist verbraucht. Außerdem führt der steigende Verbrauch zu massiven Belastungen für Umwelt und Gesundheit.

Zweitens: Mit der Nachfrage steigt der Preis für Rohöl. Lag er Anfang letzten Jahres noch bei 10 US$, so beträgt er heute bis zu 37 US$/Barrel (=84 DM =43 Euro). Selbst bei weiterer Erhöhung der Fördermenge sehen Marktexperten und Ölkonzerne keine Preisnormalisierung innerhalb der nächsten Monate. Vor einer Woche wurde beschlossen, ab Oktober 800.000 Barrel/Tag mehr zu fördern. Daraufhin gab es kaum eine Preisreaktion.

Drittens: Europa hat ein besonderes Problem: Öl wird in US$ gehandelt, nicht in Euro. Dieser hat seit seiner Einführung über 26% seines Wertes verloren. Bekam man am 1.1.1999 für einen Euro noch 1,17 US$, so sind es heute unter 85 Cent! Auch infolge dessen ist der Rohölpreis seitdem über 400% gestiegen.

Es sieht so aus, dass zumindest für absehbare Zeit in Europa mit solchen Preisen umgegangen werden muß. Langfristig wird die Weltgesellschaft nicht an einer Reduktion des Rohstoffverbrauches vorbeikommen. Hierzu gibt es zwei zu kombinierende Möglichkeiten. Die eine ist, den Verbrauch von Energie deutlich zu senken. Dazu trügen Maßnahmen wie die Verlagerung von Transporten von der Straße auf die Schiene, Verkürzung von Transportwegen für Rohstoffe und Fertigungsteile bei. Hier läßt sich über den Aufbau regionaler Wirtschaftskreisläufe, intelligentes Produktions- und Vertriebsmanagement und Informationsaustausch über moderne Kommunikationsmittel/Internet viel erreichen. Die zweite Möglichkeit ist die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien – Wasser- und Windkraft, Solar- und Biomasseenergie.

Die aktuelle Diskussion dreht sich vor allem um Steuererleichterungen und Beihilfen. Es ist verständlich, dass Transportunternehmen, Bauern, Menschen, die auf das Auto als Transportmittel und auf Heizöl angewiesen sind, gegen die hohen Preise und Steuern auf die Straße gehen. Es geht schließlich oftmals um ihre Existenz. Ebenso unstrittig ist aber, dass die Staaten und auch die EU auf Steuereinnahmen angewiesen sind, wenn öffentliche und gemeinschaftliche Aufgaben gewissenhaft wahrgenommen werden sollen. Natürlich müssen kurzfristig Hilfen für die akut Betroffenen bereitgestellt werden. Ein Ansatzpunkt ist z.B. eine Verkehrsmittel-unabhängige Kilometerpauschale sowie Wohngeldzuschüsse für Heizöl.

Was die EU tun kann und sollte ist u.a. Folgendes:

technische Standards EU-weit vereinheitlichen, damit beispielsweise beim grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr nicht zwischendurch die Lok gewechselt werden muß, weil die nationalen Schienensysteme nicht kompatibel sind.
die Steuerpolitiken harmonisieren. Es wird so schnell nicht möglich sein, ein einheitliches Steuersystem zu schaffen. Zumindest überall in der EU die gleichen Steuerarten zu erheben, wäre aber ein Schritt in die richtige Richtung.
Regelungen schaffen, die Großkonzernen keine besonderen Steuerentlastungen bieten. Gerade sie sind doch die „Stromfresser“ und gerade sie könnten finanzielle Belastungen am ehesten verkraften. Ebenso sollten deren Steuerverpflichtungen auch von ihren Gewinnen abhängen.
Flugzeugtreibstoff zumindest in Europa besteuern. Hier gibt es eine unfaire und unverständliche Wettbewerbsverzerrung zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern.
den öffentlichen Verkehr, dessen Ausbau und dessen bezahlbare Verbraucherpreis-Gestaltung, fördern.
in diesem Zusammenhang weitere Privatisierung und Liberalisierung gewissenhaft überdenken, da hiermit Einflußmöglichkeiten stark begrenzt würden. Beispielsweise kompensieren private Unternehmen gestiegene Transportkosten oftmals zunächst mit Senkung der Einkommen, weniger Einstellungen oder Entlassungen von Arbeitnehmern. Das vergrößert schon bestehende Arbeitsmarktprobleme zusätzlich.