Schlechte Nachrichten aus Nizza

Zu den Ergebnissen des EU-Gipfels erklärt der PDS-Abgeordnete im Europäischen Parlament, André Brie:

Die Ergebnisse des EU-Gipfels von Nizza sind in nahezu jeder Hinsicht enttäuschend. Es war der Gipfel der Superlative: der wichtigste, der längste, der mit den geringsten Resultaten. Die einzige gute Nachricht besteht darin, dass die Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Staaten in die Europäische Union nicht blockiert ist. Die Fähigkeit der EU, ihre Erweiterung demokratisch, sozial und effektiv zu gestalten, ist jedoch eher verringert worden. Gezeigt hat sich eine Renationalisierung der Europäischen Union, nicht zuletzt von deutscher und französischer Machtpolitik vorangetrieben. Insbesondere die Bundesregierung hat getreu der erklärten Ansprüche von Bundeskanzler Gerhard Schröder, deutsche Machtinteressen mit neuem Selbstbewusstsein zu vertreten, Lehren der Vergangenheit missachtet. Die Selbstbeschränkung Deutschlands ist in den letzten Jahrzehnten der europäischen Integration und im übrigen auch den Interessen der Bundesrepublik sehr wohl zugute gekommen. Sie ist offensichtlich endgültig aufgehoben worden. Warum auch der Parteivorstand der PDS in seinem Beschluss zum Gipfel von Nizza die Orientierung der Bundesregierung auf die weitere Stärkung des Rates und die Stärkung der deutschen Rolle (doppelte einfache Mehrheit) mitgetragen hat, bleibt unerklärlich. Die eigentliche Alternative – die Stärkung des Europäischen Parlaments, auch gegenüber dem Rat – wäre Voraussetzung für den Abbau der prinzipiellen Demokratiedefizite in der EU. Was wir nun haben, ist eine weitere Stärkung des Rates und die gleichzeitige Verringerung seiner Entscheidungseffektivität. Die große geschichtliche Aufgabe der EU-Erweiterung ist nach Nizza alles andere als ungefährdet, die Möglichkeiten, sie demokratisch und sozial zu gestalten, sind gering geworden.

Berlin, 11. Dezember 2000