Positionen: Zur Festnahme ihres Mitarbeiters Henning Nase
Christel Fiebiger am 10.5.00 aus Brandenburg Mit menschlichem Mass die Vergangenheit bewerten
Seit September 1999 ist Henning Nase mein persönlicher Mitarbeiter im Europäischen Parlament. Zur Zeit seiner Einstellung war mir bekannt, dass gegen H. Nase, der bis zur Vereinigung Bürger der Alt-BRD war, ein Ermittlungsverfahren wegen angeblicher geheimdienstlicher Tätigkeit für die DDR geführt und 1998 eingestellt wurde. Auch ein Disziplinarverfahren gegen H. Nase in Potsdam wurde ausgesetzt.
Meine Entscheidung zur Einstellung von H. Nase erfolgte auf Grund seiner guten fachlichen Kenntnisse auf dem Gebiet der Europa-Politik, verbunden mit hervorragenden Sprachkenntnissen. Zudem hat mir Henning Nase zu keinem Zeitpunkt das Gefühl gegeben, an seiner Loyalität zu zweifeln.
Darüber hinaus vertrete die Auffassung, dass 10 Jahre nach der Herstellung der deutschen Einheit eventuell Belastete eine faire Chance auf Arbeit erhalten sollten. Mit der anhaltenden Berufsverbotspraxis in Deutschland, die ich strikt ablehne, stellt sich die Bundesrepublik ins europäische Abseits! Ausschlaggebend sind für mich nicht die Mutmaßungen des Generalbundesanwaltes, sondern die Kriterien, nach denen der Brandenburger Landtag im Zusammenhang mit dem Abschlußbericht des Stolpe-Untersuchungsausschusses geurteilt hat. In der mit großer Mehrheit angenommenen Entschliessung heißt es: „Die Geschichte des ehemals geteilten Deutschlands kann nur gemeinsam aufgearbeitet werden und verlangt das wechselseitige Bemühen um Verständnis für die in Ost und West sehr unterschiedlichen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen, in denen die Menschen jeweils lebten.“ Niemandem dürfe die persönliche Weiterentwicklung und der Wille zur Neuorientierung abgesprochen werden.
Als langjähriges Mitglied des Brandenburger Landtages und zeitweiliges Mitglied des Stolpe-Untersuchungsausschusses habe ich diesem Antrag zugestimmt und werde mich auch im „Fall Henning Nase“ daran halten, weil es meine Grundüberzeugung ist.
Unabhängig davon, ob die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft zutreffen sollten, betrachte ich es im Übrigen als Siegerjustiz, wenn die Spione des Westens als Helden des Kalten Krieges gefeiert und jene des Ostens vor Gericht gestellt werden.
In diesem Zusammenhang weise ich drauf hin, dass die PDS-Fraktion im Deutschen Bundestag Ende März 2000 einen Antrag eingereicht hat, der darauf zielt, „Straffreiheit für Spionage zugunsten der DDR“ durch einen entsprechend durch die Bundesregierung zu erarbeitenden Gesetzentwurf zu ermöglichen. Die unterschiedliche juristische Beurteilung der deutsch-deutschen Spionage war in Politik, Medien und Rechtswissenschaft von Anfang an umstritten. Eine wachsende Zahl von Persönlichkeiten der BRD, wie der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker, haben ihr Unbehagen über die Ungleichbehandlung von Spionen Ost und Spionen West bekundet. Zehn Jahre nach der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands ist die Zeit herangereift, die strafrechtliche Verfolgung von Spionen der DDR zu beenden und den Betroffenen eine angemessene soziale Existenz zu ermöglichen.