Europäisches Parlament trotzt den Sparvorschlägen des Rates
Beitrag Helmuth Markovs, veröffentlicht im Oranienburger Generalanzeiger vom 1. August 1999
Das Europäische Parlament hat sich in der ersten Lesung für eine deutliche Erhöhung des vom Rat, dem Gremium der Regierungen der Mitgliedstaaten, vorgelegten Haushalts der Europäische Union und eine Rücknahme der vorgesehenen Kürzungen ausgesprochen. Die Beschlüsse vom Donnerstag leiten ein grundsätzliches Kräftemessen zwischen Rat und Parlament über den finanziellen Gesamtrahmen und die Prioritäten der Europäischen Union ein. Der Rat, hat einen Haushaltsentwurf vorgelegt, der drastische Kürzungen in den Bereichen vorsieht, die ein soziales und solidarisches Europa und die Annäherung der Entwicklungsniveaus der Regionen befördern sollen. Dazu gehören undifferenzierte Kürzungen aller Agrarausgaben um 10%, deutliche Reduzierungen bei der Unterstützung der Regionen, Kürzungen um fast 18% bei Programmen zur Beschäftigungsförderung, in den Bereichen Jugend und Bildung, Umwelt und Kultur. Außerdem sollen die internationale Lebensmittelhilfe um 9%, die Kooperationsprogramme mit Afrika um 12% und die Mittel zur Unterstützung der Arbeit der nichtstaatlichen Organisationen um 35 % gekürzt werden. Begründet werden diese Umverteilungen im Haushalt mit „unvorhersehbaren neuen Prioritäten“ – dem Wiederaufbau des Kosovo, der Unterstützung von Ost-Timor, der Hilfe für die Erdbebenopfer in der Türkei und mit aus dem Fischereiabkommen mit Marokko entstehenden finanziellen Erfordernissen.
Maßnahmen zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit, die Verringerung der regionalen ökonomischen und sozialen Unterschiede, die sozialverträgliche Gestaltung des Erweiterungsprozesses – der Lösung dieser Aufgaben wird im EU-Haushalt nicht die ihnen gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Dies ist nicht verwunderlich, widerspiegelt der Haushalt doch die politischen Prioritäten der Europäischen Union. Und diese werden unter maßgeblicher Einflußnahme der rot-grünen Bundesregierung definiert.
Die Umverteilung im Haushalt, die nicht Eingeweihten als unabdingbare Notwendigkeit erscheint, ist jedoch keineswegs zwangsläufig. Ungeachtet der Tatsache, daß mit dem Amsterdamer Vertrag immer mehr Aufgaben in die Zuständigkeit der Europäischen Union verlagert wurden, hat der Rat einen Haushaltsentwurf vorgelegt, dessen Gesamtvolumen wesentlich geringer ist, als noch beim Berliner Gipfel im März vorgesehen. Dabei lagen die Finanzbeschlüsse von Berlin weit unter der ursprünglich vereinbarten Eigenmittelobergrenze von 1,27% des Bruttoinlandsproduktes. Der Versuch der EU-Mitgliedstaaten, insbesondere der Bundesrepublik Deutschland, ihre Haushalte zu Lasten der kommunalen, regionalen und des europäischen Haushaltes zu sanieren, ist jedoch der falsche Weg zur Lösung der gesamtgesellschaftlichen Probleme. Diese Entwicklung ist für das Europäische Parlament nicht akzeptabel. Die bevorstehenden Auseinandersetzung mit dem Rat werden sich in erster Linie um den Beschluß des Parlaments drehen, die sogenannte finanzielle Vorschau, d.h. den Finanzrahmen, in der Haushaltsrubrik „externe Aktionen“ zu revidieren und aufzustocken. Die Beschlüsse des Parlaments sehen außerdem die Rücknahme zahlreicher, vom Rat vorgeschlagener Kürzungen vor. Dazu gehört die Erhöhung der Agrarausgaben um 20 Mio. Euro sowie zusätzliche 150 Mio. Euro für Maßnahmen für den ländlichen Raum. Zu den Aspekten, die das Parlament hier stärker unterstützt, gehören die Gesundheits- und Verbraucherschutzpolitik, die Fördermaßnahmen zur Steigerung der Qualität landwirtschaftlicher Erzeugnisse und Nahrungsmittel, das Schulmilchprogramm, agroökonomische Maßnahmen zur Senkung der Agrarwerte sowie die Überwachung und Ausmerzung von Tierseuchen.
Quelle:
Oranienburger Generalanzeiger vom 1. August